Tichys Einblick
Interview des Verfassungsschutzpräsidenten

Wie Haldenwang den Verfassungsschutz zum Staats- und Politikerschutz umdeutet

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang interessiert sich offenbar weniger für den Schutz der Verfassung als den des Staates und seiner Repräsentanten. Vermeintliche "Staatsfeinde" wirft er mit Pegida in einen Topf, weil sie eine Parole von 1989 rufen.

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz

IMAGO / IPON

Thomas Haldenwang interpretiert die Aufgabe des Verfassungsschutzes um: Statt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht offenbar der Staat im Zentrum der Aufmerksamkeit des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kommt das Wort Grundgesetz gar nicht und Verfassung nur zweimal als Terminus technicus in den Kombinationen „Bundesamt für Verfassungsschutz“ und „verfassungsschutzrelevante Informationen“ vor.

Statt von Feinden der Verfassung beziehungsweise der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, die zu schützen das Verfassungsschutzgesetz seiner Behörde aufträgt, spricht Haldenwang da im Zusammenhang mit den jüngsten Demonstrationen gegen die Corona-Politik über „Staatsfeinde“, „die nicht eindeutig den bisherigen Kategorien wie Rechts- oder Linksextremismus zuzuordnen sind, die keine ideologische Klammer verbindet, sondern die inzwischen eine Verachtung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten eint“. 

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Wenn der Präsident dieses Bundesamtes, also einer dem Bundesinnenministerium „nachgeordneten“ und dessen Dienst- sowie Fachaufsicht unterstehenden Behörde, öffentlich solche hochpolitischen Äußerungen macht, ist davon auszugehen, dass diese vorher mit Ministerin Nancy Faeser abgesprochen und von ihr gebilligt sind. Was geschehen kann, wenn dies nicht unbedingt der Fall ist, hat man in der Affäre um den 2018 in den Ruhestand versetzten Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen erleben können. Die neue Bundesinnenministerin dürfte also einverstanden sein mit der Neuinterpretation der Aufgabe des Verfassungsschutzes, die Haldenwang schon im Frühjahr 2021 noch unter der Ägide Horst Seehofers (CSU) mit der Schaffung des neuen „Phänomenbereichs“ „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ einleitete. 

Statt Schutz der Verfassung wird also der Schutz des „Staates“ und sogar seiner „Repräsentanten“ zur Aufgabe erklärt. Schon Ersteres ist höchst fragwürdig, Letzteres ist in keinem Fall seine Aufgabe. Im Verfassungsschutzgesetz ist aus guten Gründen nicht vom „Schutz des Staates“ als Aufgabe die Rede – das unterschied bislang den bundesrepublikanischen Inlandsgeheimdienst von der „Staatssicherheit“ der DDR –, sondern vom „Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder“.

Nun könnte man „Bestand und Sicherheit des Bundes und der Länder“ vielleicht noch als eine Art Umschreibung von Staatsschutz verstehen. Aber die Schöpfer des Gesetzes waren sich wie die Väter des Grundgesetzes bewusst, dass der „Staat“ an sich nicht unbedingt schutzwürdig ist, weil er nach historischer Erfahrung selbst zum Organ des Unrechts werden kann. Jedenfalls ist an keiner Stelle des Gesetzes davon die Rede, dass die von Haldenwang genannten „Repräsentanten“ des Staates, also Politiker und andere Amtsträger, durch Haldenwangs Amt vor Kritik oder Diffamierung geschützt werden sollen. 

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Dass die Verlockung für Regierungspolitiker groß ist, sich selbst als generell schutzwürdig vor jeglicher fundamentalen Anfechtung zu erklären, liegt nahe. Gerade deswegen ist diese Aussage Haldenwangs eine nicht hinnehmbare Grenzüberschreitung. Hier müssten in einer funktionierenden, kritischen Medienöffentlichkeit die Alarmglocken schrillen. Immerhin in den sozialen Netzwerken war dies auch ansatzweise der Fall.

Bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch eine weitere Aussage Haldenwangs, wenn er behauptet, man habe „auch erleben müssen, dass aus solchen Demons­trationen heraus zum offenen Widerstand gegen den Staat aufgerufen wird. Und an dieser Stelle beginnt der Extremismus.“ 

Dass mit „Widerstand gegen den Staat“ der Extremismus beginne, ist gerade angesichts der Geschichte des deutschen Totalitarismus nationalsozialistischer und kommunistischer Art eine unhaltbare Aussage. Deswegen wird Widerstand gegen den Staat im Verfassungsschutzgesetz auch nicht als Anlass oder Grund genannt, aktiv zu werden, sondern nur „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben“. 

Haldenwang vergisst oder unterschlägt bewusst, dass das Grundgesetz sogar explizit in Artikel 20 Absatz 4 ein Widerstandsrecht einräumt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Dieses Widerstandsrecht ist nicht zufällig 1968 mit der Notstandsgesetzgebung eingeführt worden, aus Furcht vor Missbrauch dieser Notstandsbefugnisse durch die Staatsgewalt. Der Nachsatz macht allerdings klar, dass dieses Recht nur im absoluten Ausnahmefall und nicht bei einzelnen Rechtsverstößen des Staates gilt. 

Wenn diese Aussage Haldenwangs staatsrechtlich bedenklich ist, so ist eine andere als unredlich zu werten. Ihm geht es ganz offensichtlich darum, die aktuellen Demonstrationen moralisch zu delegitimieren, wenn er „immer stärkere Parallelen zwischen Pegida und den ‚Corona-Spaziergängen‘“ behauptet. Seine vermeintlichen Belege dafür belegen das dann allerdings gerade nicht, sondern eher das Gegenteil: „Die Parolen, die gerufen werden, sind teilweise sehr ähnlich. ‚Wir sind das Volk‘, ‚Widerstand‘.“  

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Weder „Wir sind das Volk“ noch „Widerstand“ sind Parolen, die Pegida prägten, geschweige denn auf deren Demonstrationen erfunden wurden. Erstere ist bekanntlich durch die Montagsdemonstrationen in der DDR 1989 geprägt worden. Die heutigen Demonstranten, vor allem jene in den neuen Bundesländern, beziehen sich damit auf 1989, nicht auf Pegida. Und „Widerstand“ ist traditionell ein eher linker Leit- und Lieblingsbegriff. Heribert Prantl etwa hat ein Buch mit dem Titel „Vom großen und kleinen Widerstand“ geschrieben, laut Klappentext eine „Laudatio auf Widerständler“. Die Glorifizierung des Begriffs auf der linken Seite geht vor allem auf linke Autoren wie Antonio Gramsci, Michel Foucault und Pierre Bourdieu zurück.   

Auch Haldenwangs weitere Parallelisierung von Pegida und der aktuellen Demonstrationsbewegung ist verzerrend: „Ob das jetzt Corona ist oder die Flüchtlingspolitik. Oder auch die Flutkatastrophe: Da hat man teilweise die gleichen Leute gesehen, die versuchten, den Eindruck zu vermitteln, der Staat versage und tue nichts für die Menschen.“ 

Ist es die Aufgabe eines Verfassungsschutzpräsidenten, Demonstranten dafür zu diskreditieren, dass sie den Eindruck haben, der Staat versage und tue nichts für die Menschen? Diese Ansicht zu haben, ist wohl schlicht genau das, was man unter politischer Kritik und Opposition versteht, also elementar für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Es gibt eben in Demokratien keine Bürgerpflicht, mit dem Staat, also konkret der Leistung der Politiker und der von ihnen geleiteten Verwaltungsapparate zufrieden zu sein. Das unterscheidet sie von autoritären bis totalitären Staatsformen.

Haldenweg will diese Pflicht offenbar durchsetzen. Und er blickt dabei auch schon in die Zukunft, indem er prophylaktisch die Kritik an der Klimaschutzpolitik in den Ruch der Illegitimität bringt: „Extremisten versuchen grundsätzlich, krisenhafte Situationen und staatliche Maßnahmen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Wenn es zu Veränderungen bei den Lebensumständen kommt, kann das bei manchen Menschen Emotionen wecken. So könnte eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation durch Corona bei dieser Gruppe die Staatsverdrossenheit hin zu einer noch stärkeren Delegitimierung des Staates forcieren. Denkbar ist auch, dass man auf das Thema Klimaschutz aufsattelt. Eine Intensivierung staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels könnte als unrechtmäßig empfunden und abgelehnt werden.“ 

Und eine solche Ablehnung – daran muss der Verfassungsschutzpräsident offenbar erinnert werden – ist im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vollkommen legitim. 

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