Tichys Einblick
"Selbstinszenierung" und Kontaktschuld

Die Vorwürfe der Grünen gegen Wagenknecht und Schwarzer sind perfide

Nach der von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Demonstration "Aufstand für Frieden" gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist die Empörung vor allem bei den Grünen groß. Aber nicht um den Ukraine-Krieg geht es dabei, sondern darum, dass beide sich nicht genug "abgrenzen".

Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht auf der Demonstration vom 25.02.2023 in Berlin

dts Nachrichtenagentur

Vor allem in der Grünen Partei ist die Wut auf die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die berühmteste Feministin des Landes, Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer, riesig. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann meint dabei, besser als die beiden Initiatorinnen der Demonstration „Aufstand für Frieden“ in Berlin am Samstag zu wissen, um was es ihnen gegangen sei: „Bei dieser Demonstration von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ging es doch nicht um Frieden“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Es ging nicht um die Ukraine, die seit einem Jahr brutal und völkerrechtswidrig angegriffen wird von Putins Russland. Es ging nicht um das Leid und die Zerstörung, der die Menschen in der Ukraine tagtäglich ausgesetzt sind.“

Sondern? Es sei um „Selbstinszenierung“ gegangen. Der Vorwurf ist nun wirklich abwegig, wenn er von einer Politikerin kommt. Politik besteht schließlich zum großen Teil aus (Selbst-)Inszenierung. Haßelmann selbst hat sich, indem sie mit dem RND sprach, zweifellos auch inszeniert.

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Auch die völlig unbelegbare Unterstellung, den beiden Frauen gehe es nicht um den Frieden und das Leid der Menschen im Krieg, ist nicht nur perfide und bösartig, sondern fällt auch auf Haßelmann und andere Kritiker zurück. Schließlich argumentieren Haßelmann und Co nicht über die Ukraine und den Krieg, als vielmehr „ad personas“, nämlich indem sie die Anwesenheit von bestimmten Personen auf der Demonstration skandalisieren: „Wer sich da alles gemein gemacht hat mit Wagenknecht und Co. und ihrer Selbstinszenierung, zeigen die Bilder von Demonstrierenden aus der rechten Szene und von Verschwörungsideologen, die ihrem Aufruf gefolgt sind.“ Diesen Menschen bereite die Linken-Politikerin „in voller Absicht eine Bühne“. Das sei ein „durchschaubares gefährliches Spiel, mit dem sofort Schluss sein muss“. Es geht wieder nicht um Ziele – sondern um „Rechte“. Erneut wird wieder nicht um falsche oder richtige Maßnahmen gestritten und demonstriert, sondern darüber, ob die „Richtigen“ demonstrieren, wobei die Regierung und die sie tragenden Parteien entscheiden, wer richtig und wer falsch ist.

Natürlich weiß Haßelmann, die dieses „gefährliche Spiel“ anprangert, dass die völlige Aussperrung bestimmter Personen aufgrund deren Überzeugung durch Demonstrationsanmelder kaum möglich ist. Diese Methode – bekannt als „guilt by association“ oder „association fallacy“ – hat nur den Zweck, Demonstranten abzuschrecken, also Demonstrationen klein zu halten und ihr Anliegen moralisch so zu diskreditieren, dass ein Diskurs über das eigentliche kritische Anliegen nicht mehr notwendig erscheint. Wenn Schwarzer und Wagenknecht über das Stöckchen gesprungen wären, hätten sie ihrer Demonstration von vornherein die Durchschlagskraft genommen und sich ihren politischen Kontrahenten unterworfen. Kontaktschuld ist die schlimmste Form von Schuld, die es in der deutschen Debatte dieser Jahre geben kann.

Ein „gefährliches Spiel“ ist also eher genau das, was Haßelmann und andere mit der Methode der „association fallacy“ betreiben: Es ist eine Einschüchterung von Menschen, die ihr Grundrecht auf friedliche Versammlung und Demonstration ihrer politischen Ansichten wahrnehmen.

Natürlich wissen auch diejenigen, von denen sich die beiden Frauen und alle öffentlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine auftretenden Personen nach Wunsch von Haßelmann und Co distanzieren sollen, über diese vernichtende Wirkung bescheid. AfD-Rechtsaußen Björn Höcke führt die ganze Situation bewusst ad absurdum, indem er Wagenknecht öffentlich „Kommen Sie zu uns“ zuruft. Dies macht nur deutlich, wie verunstaltet die politische Kultur in Deutschland durch das etablierte Primat der Kontaktschuld geworden ist.

Im Übrigen tritt der Autor dieses Textes für eine auch militärische Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf ein. Aber diese Unterstützung der Verteidigung der Freiheit der Ukraine darf nicht zum Vorwand werden, die Freiheit der politischen Debatte im eigenen Land auszuhebeln. Am Ende hätten wir nichts mehr zu verteidigen.

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