Tichys Einblick
Was Habeck "eigentlich sagen" wollte

Im Zweifel für Habeck: Wie Meinungsmacher einen blamierten Minister in Schutz nehmen

Jene, die Robert Habecks Aufstieg in den vergangenen Jahren medial flankierten, lassen ihn auch nach seinem peinlichen Auftritt bei Sandra Maischberger nicht im Stich. 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck während der 51. Sitzung im Bundestag am 08.09.2022

IMAGO / Emmanuele Contini

Robert Habeck ist durch seine jüngsten Taten und Worte in die Defensive geraten. Doch da hat er weiterhin lautstarke Verbündete, die sich für ihn in die Bresche werfen. Viele Medien und prominente Meinungsmacher kritisierten weniger den Wirtschaftsminister, der vor den Augen und Ohren der Fernsehnation den Handwerkern, Händlern und produzierenden Unternehmen rät, einfach aufzuhören mit der Arbeit, und den Eindruck vermittelt, dass das nicht deren Insolvenz bedeutete, sondern diejenigen, die sich über diese abstruse Aussage empörten. So titelte etwa das Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Twitter-Nutzer poltern gegen Insolvenz-Aussage des Wirtschaftsministers“. Das Verb sollte wohl deutlich machen, dass nicht Habeck, sondern seine Kritiker inkompetent seien. Die Zeit setzte auf Mitleid: Habeck sei „Vom Geliebten zum Gemobbten“ geworden.

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Der Front der Habeck-Verteidiger voran schritt der für seine Nähe zu SPD und Grünen und seine jahrelange Verharmlosung jeglicher Inflationsgefahr notorische Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW, Marcel Fratzscher. Angesichts seiner Medienpräsenz kann man ihn wohl mittlerweile eher zu den Meinungsmachern als den forschenden Ökonomen rechnen. Der „Top-Ökonom“ (so nennen ihn ZDFheute und der Stern) rechtfertigte Habecks Aussagen mit spitzfindigen Argumenten als „zutreffend“. Er tat das per Twitter, und die DPA nahm das auf, womit dafür gesorgt war, dass es in zahlreichen Zeitungen stand, wie zum Beispiel im Tagesspiegel. Noch deutlicher als Fratzscher wurde sein Kollege Peter Bofinger (auch er übrigens durch seine jahrelange Verharmlosung der Inflationsgefahr bekannt) in einem Tweet: „Stoppt das Habeck-Bashing!“

Fratzscher sieht sich offenbar als eine Art Interpret von Habeck, der dessen Aussagen nachträglich ergänzt, um klar zu machen, was Habeck eigentlich gemeint habe: „Man könnte lediglich kritisieren, dass er nicht über die staatlichen Maßnahmen gesprochen hat, die in solchen Fällen greifen. Aber es ist bei dieser gegenwärtigen Unsicherheit eher klug, dies nicht zu tun.“ Abstruser gehts kaum: Fratzscher ergänzt Habeck, um ihn vor Kritik zu schützen, und bezeichnet diese Auslassung des Ministers dann wiederum als „klug“.  

Und dann, als er seinerseits auf Twitter kritisiert wird, setzt Fratzscher noch einen drauf. Er, der vermeintliche Alpha-Ökonom, retweetet nun einen Handelsblatt-Journalisten, der auf die Hunderttausenden Gastronomie-Betriebe verweist, die in der Pandemie geschlossen waren und dank staatlicher Ausgleichszahlungen nicht insolvent wurden. 

Der Lockdown als Muster für die Energiekrise? Will Fratzscher die Betriebsschließungen durch behördliche Anordnung und mit staatlichen Ausgleichszahlungen mit Betriebsschließungen durch unabsehbar hohe Energiekosten gleichsetzen? Oder will er gar andeuten, dass Insolvenzen jeglicher Art ohnehin im künftigen Interventionsstaat der Vergangenheit angehören werden? So muss man wohl seine Aussage interpretieren: „Wenn es zu einer Gasknappheit kommt, dann werden eine Reihe von energieintensiven Unternehmen gezwungen werden, ihre Produktion einzustellen. Dies wird der Staat nur machen können, wenn er die Unternehmen ausreichend kompensiert, so dass diese in Zukunft wieder öffnen können.“

Mit dieser Äpfel-gleich-Birnen-Methode nimmt auch Spiegel-Autor Nikolaus Blome den Wirtschaftsminister in Schutz. Während es in der Maischberger-Sendung um kleine Betriebe, konkret Bäckereien, ging, weiß Blome „… nur mal so: In der Finanzkrise haben deutsche Autohersteller die Produktion massiv gedrosselt oder zeitweilig oder werksweise eingestellt. In die Insolvenz ging selbst Opel nicht.“ Ähnliche Naseweiserei hat auch der WDR-Redaktuer Jürgen Döschner im Angebot, der auf die „über viele Jahre nur Verluste“ machenden Internetgiganten Apple, Amazon und Google verwies. 

Ohne Umweg über Ökonomen will stern.de Habecks „rhetorische Insolvenz“ zurechtbiegen und teilt mit: „Was er uns eigentlich sagen wollte“. Jedenfalls seien das „ernsthafte Überlegungen“ von Habeck. Zunächst mal beginnt der Artikel mit der Behauptung, Habeck sei „ein Krisenmanager im Dauerstress“ und: „Wie ein Feuerwehrmann mit einem Großbrand kämpft Habeck mit der Energiekrise dieses Landes.“ 

Auch der Bayrische Rundfunk behauptet zu wissen, was „der Minister eigentlich sagen“ wollte und vermittelte so den Eindruck, dass die Kritiker ihn falsch interpretierten. Im Text selbst beschränkt sich der Autor dann allerdings auf die Feststellungen, dass die „Zahl der Insolvenzen weiter deutlich unter Vor-Corona-Niveau“ liege und die „Insolvenzstatistik … nur begrenzt aussagekräftig“ sei. 

Die Tagesschau gab sich ebenfalls sichtlich Mühe, Habeck gegen seine Kritiker zu verteidigen und berichtete unter der Überschrift „Ministerium kontert Kritik an Habeck“ ausführlich die „Klarstellung“ von Habecks Pressestelle. Habeck habe darlegen wollen, dass die Gefahr von „stillen Betriebsaufgaben“, also Betriebsaufgaben ohne Insolvenz-Anmeldung, ein Problem für eine Volkswirtschaft darstelle und die Regierung beides im Blick haben müsse. „Der Blick auf die Insolvenzen allein“ greife zu kurz. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen seien drohende Aufgaben aufgrund der hohen Energiekosten ein „ernstes Problem“. Nur: Wieso hat Habeck das dann in der Sendung von Maischberger nicht so gesagt? Er hat in der Maischberger-Sendung eben gerade nicht vor „stillen Betriebsausgaben“ gewarnt, sondern den Eindruck vermittelt, ein Betrieb könne auch mal eine Zeitlang ohne zu arbeiten fortbestehen. 

Der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk interviewte zur Verteidigung Habecks die Politologin Astrid Séville. Und die erklärt ihn, ohne auf leidige Themen wie Energiepreise oder Insolvenzen im Detail einzugehen, zu einem Politiker neuen Typs: „Im Grunde erzähle Habeck das eigene Erleben der gegenwärtigen Krise so wie ein kluger, belesener Bürger, der unversehens in die Rolle des Ministers geraten sei und nun nach Lösungen suchen müsse, sagt Séville. Auf diese Weise gelinge es ihm, viele Menschen mitzunehmen – jedoch um den Preis, dass er manchmal unvorbereitet wirke und seine Äußerungen den Eindruck von Ad-hoc-Krisenmanagement erweckten.“ So kann man Dilettantismus im Regierungsamt natürlich auch sehen. 


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