Tichys Einblick
Koalitionskrach

Die gestutzten Grünen und das Luder Wirklichkeit

Nach dem Koalitionsausschuss stehen die Grünen erstmals als Verlierer da. Nach ihrer Bekanntschaft mit der unmoralischen Wirklichkeit ist immerhin deutlich geworden, dass der Mythos von der Alternativlosigkeit grüner Wunschvorstellungen brechen kann.

Annalena Baerbock und Robert Habeck bei der Ankunft zum Empfang beim Bundespräsidenten anlässlich des Staatsbesuchs von König Charles III. und Königin-Gemahlin Camilla im Schloss Bellevue. Berlin, 29.03.2023

IMAGO / Future Image

Im politisch-medialen Betrieb der deutschen Gegenwart kommt es nicht wirklich auf die sachlichen Ergebnisse oder auf die mittel- und langfristigen Folgen politischer Entscheidungen an. Sondern auf den über die Massenmedien vermittelten Eindruck.

Die Inszenierung der Entscheidungsfindung selbst forciert dies immer wieder. Warum eigentlich setzen sich die Koalitionsspitzen rund 30 Stunden ohne Schlaf in eine solche Ultra-Sitzung? Wer zwang sie zu diesem künstlichen Zeitdruck in einem ohnehin künstlichen Gremium „Koalitionsausschuss“, das kein Grundgesetz und keine Geschäftsordnung dieses Staates vorsieht? Sie selbst und der Wille zur Inszenierung von Dramatik.

Nach dem Koalitionsausschuss
Das grüne Desaster – Radikalisierung der „Klimaretter“ wird zunehmen
Es sollen also große Überschriften dabei herauskommen. Am liebsten wäre dem Kanzler natürlich, alle titelten so ähnlich wie sein realsatirischer Tweet: „Es hat sich gelohnt“. Aber für Geschichtenerzähler, die Journalisten nunmal sind, muss es nach solchen Events Gewinner und Verlierer geben.

Schauen wir also auf die Überschriften der Kommentare. Wer Verlierer ist, kann als eindeutig geklärt gelten. Die Welt beispielsweise titelt: Nach 30 Stunden gibt es vor allem einen Verlierer – die Grünen. Der notorisch grünenfreundliche Spiegel meint: „Und am Ende schlucken die Grünen wieder Kröten“. Das Ergebnis des Koalitionsausschusses werde bei ihnen für „Unmut“ sorgen. Ein anderer Spiegel-Kommentator kündigt den Grünen sogar aus klimaradikaler Perspektive die Gefolgschaft: Die Partei fällt als Anwältin für Nachhaltigkeit zunehmend aus. Und auch die noch notorischer grünenfreundliche Taz erkennt einen grünen Offenbarungseid.

Die Grünen, die ganz zweifellos die sachpolitische Agenda in dieser Koalitionsregierung bestimmen mit ihren vermeintlich dem Klimaschutz dienenden Verbotsprojekten, haben Bekanntschaft mit der Wirklichkeit gemacht. Und die ist ein erbarmungsloses Luder, das sich überhaupt nicht um die Moral des Juste Milieu schert. Wenn es ganz konkret wird, haben Millionen Menschen eben vielleicht doch mehr Angst vor der unmittelbaren Verarmung als vor den mittelbaren Folgen einer „Klimakatastrophe“.

Es wird also nun kein radikales Verbot von Verbrennungsheizungen geben, so wie es auch kein radikales Verbot von Verbrennungsmotoren geben wird. Die Vorgabe, dass für beide, Motoren und Heizungen, künftig nur E-Fuels, also nicht fossile, sondern CO2-neutral erzeugte Brennstoffe zulässig sein sollen, ist eine Besinnung in letzter Minute auf ein Mindestmaß an Vernunft. Technologieoffenheit ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und gehört zum Kernbestand einer Marktwirtschaft. Dass diese Marktwirtschaft auch sozial ist, sollten spätestens jetzt auch Sozialdemokraten verstanden haben.

Nach 30 Stunden Koalitionsausschuss
Olaf Scholz regiert als Merkel-Klon
Den Verbrauchern vorzuschreiben, welches Auto und welche Heizung sie einzubauen haben, ist dagegen unter keinen denkbaren Umständen sozial. Spätestens jetzt, nachdem der Kelch der Zwangssanierung an Millionen deutschen Bürgern vorübergegangen ist, sollte auch allgemein klargeworden sein, was die im grünen Vorfeld so verbreitete Forderung nach „Klimagerechtigkeit“ tatsächlich bedeutet: nämlich die Gefahr der Verarmung gerade für die finanziell Schwächeren. 

Die Grünen sind also gestutzt. Robert Habeck und Co können ihre „Wir ziehen das jetzt durch“-Transformation eben doch nicht so einfach durchziehen, wenn FDP, SPD und der Rest des Politikbetriebs ihre Ehrfurcht ablegen und die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse und Interessenlagen zur Geltung bringen. Der seit Angela Merkels Herrschaft der konservativ-liberalen Selbstaufgabe gezüchtete Mythos von der Alternativlosigkeit grüner Wunschvorstellungen ist gebrochen – oder zumindest wird deutlich, dass man ihn brechen kann.

Die Grünen werden nun vermutlich nach den ungeschriebenen Gesetzmäßigkeiten der Wählerwanderungsmechanik (denen, die als Verlierer dastehen, entzieht der wankelmütige Wähler gerne seine Zustimmung) eine Schwächephase erleben, die sich in Umfragen schon andeutet. An den tieferen Strömungen des Zeitgeistes und den Herrschaftsverhältnissen im öffentlichen Diskurs ändert das noch nicht viel. Das zeigten auch die übermäßigen Bekundungen des Klimaschutzwillens in diesem Koalitionspapier. Die Wirklichkeit wirkt nur langsam, wenn der Schmerz nicht schnell zunimmt.

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