Tichys Einblick
Wirklichkeitsfremde Sicherheitspolitik

Die Bundesregierung träumt von einer Garantie für die Ukraine – ohne Militärbeistand

Mit ihrer scheinheiligen Antwort auf den ukrainischen Wunsch nach Sicherheitsgarantien zeigt die Bundesregierung, wie weit sie noch immer von einer „Zeitenwende“ in der Sicherheitspolitik entfernt ist.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit, Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt und Bundeskanzler Olaf Scholz im Kabinett am 30.03.2022

IMAGO / Jens Schicke

Die Haltung Deutschlands im Ukraine-Krieg ist um eine Absurdität reicher. Man sei, so sagt der Sprecher der Bundesregierung, zu „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine im Falle eines Friedensschlusses bereit. Bundeskanzler Olaf Scholz habe nach mehreren Telefonaten mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der danach gefragt habe, „eine generelle Bereitschaft signalisiert“. Das klingt ganz nach der im politisch-medialen Betrieb so vielgeschworenen „Solidarität“ mit der Ukraine. Aber die Erläuterungen aus „Regierungskreisen“, von denen in der Presse heute zu lesen ist, offenbaren die wirklichkeitsfremde Vorstellung von Sicherheit in Berlin: An umfassende militärische Beistandsgarantien denke man dabei nicht, sondern an Garantien, die anderen als militärischen Charakter hätten. 

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Selbstverständlich ging es der Ukraine bei diesem Wunsch, der bei den Verhandlungen mit dem russischen Kriegsgegner in Istanbul vorgetragen wurde, genau um solche selbstverständlich militärischen Sicherheitsgarantien durch die UNO-Sicherheitsratsmitglieder (ohne Russland), plus Deutschland, die Türkei und Israel. Außerhalb Deutschlands dürfte wohl nirgendwo jemand auf die Idee kommen, von Sicherheitsgarantien zu sprechen und dabei das Militärische auszuklammern. Sicherheitsgarantien, die keine militärische Beistandspflicht enthalten, sind keine. In anderen westlichen Hauptstädten, wo die Kiewer Regierung ebenso angefragt hatte, ist das bekannter als in Berlin. In Paris und Washington fielen die Reaktion entsprechend verhalten aus. Man wolle erst verstehen, was Kiew sich darunter genau vorstellte, hieß es aus dem Elysée-Palast. Eine ähnliche Nichtantwort kam aus Washington. Das ist verständlich – und ehrlich. Solange die Waffen nicht schweigen, ist es hoch brisant, Sicherheitsgarantien zu geben.

Umso zynischer müssen in Kiew die Berliner Erläuterungen angekommen sein. Die Haltung der Bundesregierung macht vor allem eines deutlich: Nicht die Ukraine hat in Berlin wirkliche Priorität, sondern der Erhalt eigener Lebenslügen bei gleichzeitig maximierter moralischer Selbstdarstellung. Die Parole von „Frieden schaffen ohne Waffen“, mit denen der Bundeskanzler und die anderen derzeit Regierenden politisch groß geworden sind, und die das wirre Kapitel „Außen, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte“ im Koalitionsvertrag (Seiten 113 ff.) prägen, scheinen eine Beharrungskraft zu besitzen, der auch Putins Angriffskrieg wenig anhaben kann.

Von einer echten „Zeitenwende“ ist man in der Bundesregierung offenkundig noch meilenweit entfernt, sondern redet sich selbst unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges noch ein, dass es eine nichtmilitärische Sicherheitspolitik gebe. Dass also Entwicklungshilfezahlungen und die Offenheit für Flucht- und Armutszuwanderung auf die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik anrechenbar beziehungsweise ein zeitgemäßer Ersatz dafür sind. In jüngerer Zeit kommt noch der Traum hinzu, mit der Energiewende zur Eindämmung von Putins „fossilem Krieg“ beizutragen.

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