Tichys Einblick
Schraubenkunde: Nach fest kommt ab

Corona-Gipfel: Schlimmer als kein Plan ist ein Plan, an den sich niemand hält

Der Corona-Stufenplan, den Merkel und die Ministerpräsidenten vorgestellt haben, spielt eine Kontrolle vor, die die Politik in Wirklichkeit zu verlieren droht. Dass Schlimmste für ein Gemeinwesen sind aber Regeln, an die sich keiner freiwillig hält.

Angela Merkel im Bundestag am 4.3.2021.

IMAGO / Metodi Popow

Wer schon mal eine Schraube zu oft und vor allem zu fest in ein Holzbrett gedreht hat, kennt das Risiko, vor dem die Corona-Regierenden stehen. Wenn man es übertrieben hat, kann man irgendwann weiterdrehen, wie man will, die Schraube hält nicht mehr. Die Corona-Politik der Regierenden ist an diesem Punkt.

Düsseldorf steht mit seinem Verweilverbot in der Altstadt besonders kurz vor diesem „Durchdrehen“. Hunderte Menschen haben sich am vergangenen Wochenende nicht an die aberwitzige Vorschrift gehalten und sich trotzdem auf Bänken am Rhein niedergelassen. Wenn der Ordnungsdienst kommt, steht man eben kurz auf – und setzt sich auf die nächste Bank, wenn die Beamten außer Sichtweite sind. 

Ähnlich wie dem Düsseldorfer Verweilverbot könnte es bald auch den jüngsten, bis ins Detail ziselierten Regeln der gestrigen Ministerpräsidentenkonferenz ergehen. Die Länderregierungschefs werden die Regeln vermutlich nicht eins zu eins übernehmen, und das ist gut so. Wenn sie einigermaßen klug sind, werden sie sie deutlich lockerer auslegen und handhaben. Sie wissen wegen ihrer im Vergleich zu Merkel, Braun und Spahn größeren Nähe zu betroffenen Bürgern, dass die Akzeptanz der anhaltenden Einschränkungen und ihre Kopplung und Rechtfertigung mit starren Inzidenzwerten immer weniger überzeugt. 

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Die Schraube ist kurz davor, nicht mehr zu ziehen. Die Menschen werden die Regeln immer öfter und immer offener umgehen, je härter sie sind. Und vor allem je weniger sinnvoll sie ihnen erscheinen. Die Länderregierungen, aber auch die Kommunen und vor allem die Ordnungsämter und Polizei täten deswegen sehr gut daran, darauf nicht mit Verfolgungsjagden gegen sich umarmende Jugendliche zu reagieren, sondern mit einer bedächtigen Anpassung und Auslegung der Coronamaßnahmen im Sinne ihrer kollektiven Akzeptanz.

Die schlechtesten Regeln für jedes Gemeinwesen sind Regeln, an die sich niemand hält, weil niemand an ihren Sinn glaubt. Sie erfüllen dann nicht nur ihren konkreten Zweck nicht, sondern untergraben, was für jedes Gemeinwesen unerlässlich ist: den Glauben, dass es da mit rechten Dingen zugeht, und dass der Staat kein Fremdkörper, sondern für seine Bürger da ist.

Wenn sich einzelne nicht an Regeln halten, können Polizei und Justiz zur Not mit Härte gegen die wenigen Regelbrecher vorgehen. Aber wenn ein Staat versucht, alle Bürger zu einem Verhalten zu zwingen, das nicht zumindest eine große Mehrheit aus kollektiver Überzeugung, Einsicht, Gewohnheit, Angst oder anderen Gründen auch ohne unmittelbaren Zwang tut, dann entartet er entweder in eine Gewaltherrschaft – oder er verliert in den Augen der Bürger allmählich jegliche Achtung und damit auch Wirksamkeit. Die Geschichte und auch die Gegenwart ist voller leidvoller Beispiele für beides.

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