Tichys Einblick
So weit sind wir mitten in Deutschland

Seyran Ates – Eine liberale Muslima braucht seit Jahren massiven Polizeischutz

Über jeder aufkeimenden Debatte um den Islam in Deutschland steht lähmend das Quasi-Evangelium eines Christian Wulff, bekräftigt von einer Angela Merkel: Der Islam gehöre zu Deutschland. Nein, Seyran Ates gehört zu Deutschland, aber kein Erdogan-Islam.

Screenprint: ZDF/Markus Lanz

Ich muss gestehen, dass mir der Name Seyran Ates zwar da und dort flüchtig begegnet ist, dass ich mich mit dem Wirken dieser 54jährigen, in Berlin lebenden türkisch-kurdischen Anwältin aber erst jetzt näher befasst habe. Ich saß soeben mit ihr im ZDF bei Markus Lanz in der Runde und konnte vor und nach der Sendung Gespräche mit ihr führen, zum Beispiel über ihre erfreulich eindeutige Überzeugung, dass Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuches verboten sein solle und dass Schulen keine Rücksicht auf den Ramadan nehmen könnten.

Das auf den ersten Blick zunächst Auffälligste an ihr: Selbst auf der Fahrt von Berlin nach Hamburg in ein Fernsehstudio und zurück sowie im Studio ist sie umgeben von einer stattlichen Anzahl an Personenschützern des Landeskriminalamtes. Rund um die Uhr, selbst beim Einkauf beim nächsten Bäcker.

Warum? Dafür muss man ihre Biographie und ihr politisches Engagement kennen. Im Alter von sechs Jahren kam sie 1969 als Kind von Gastarbeitern – Vater: Kurde, Mutter: Türkin – aus Istanbul nach Berlin. Bereits während ihres Jurastudiums war sie in einer Beratungsstelle für Frauen aus der Türkei aktiv. Schon damals hat sie sich frauenpolitisch engagiert und begonnen, die Themen Patriarchat im Islam, Kopftuch, Zwangsheirat, Kinderehen, Genitalverstümmelung, Ehrenmorden sowie häusliche Gewalt gegen muslimische Ehefrauen anzugehen. Mit ihrer Forderung im Jahre 2003, in das deutsche Strafgesetzbuch einen eigenen Straftatbestand Zwangsheirat aufzunehmen, hat sie vor allem bei muslimischen Traditionalisten einen Sturm der Empörung ausgelöst. 2011 hat sie ihr Ziel erreicht, die Zwangsheirat wurde zu einem eigenen Straftatbestand (StGB § 237).

Dokumentation
Drohungen und Verwünschungen als Reaktion auf die „liberale Moschee“
Mutig ist die Frau. Denn schon 1984, als Zwanzigjährige, wurde sie Opfer eines politisch motivierten Anschlags und durch einen Schuss lebensbedrohlich verletzt. Von 1997 bis 2006 war die sunnitische Muslima als Anwältin tätig, ihre Kanzlei schloss vorübergehend bis 2012 ihre Tore, weil es regelmäßig Morddrohungen gab und sich Seyran Ates selbst und ihre damals zweijährige Tochter nicht weiter gefährden wollte. Sie blieb gleichwohl öffentlich wahrnehmbar: mit Büchern, Vorträgen, Mahnwachen, letztere zum Beispiel 2014 und 2015 vor dem Brandenburger Tor mit Plakaten, auf denen stand: „Kein Morden im Namen Gottes.“ Mitglied der Islamkonferenz war sie von 2006 bis 2009. Warum nicht länger, darüber darf man rätseln. Den organisierten Islamverbänden war sie sicher wie Necla Kelek und andere ein Dorn im Auge. Kein Wunder bei Buchtiteln aus ihrer Feder wie: „Der Multikulti-Irrtum“ (2007) oder „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ (2009).

Nun ist sie erneut spektakulär in Erscheinung getreten. Sie hat eine Ausbildung zur Imamin absolviert und in Berlin-Moabit eine „Freie progressive Moschee“ der Ibn-Rushd-Goethe-Moscheegemeinde gegründet. Eine Moschee eines säkularen Islam – ohne Geschlechterapartheid, ohne Kopftuchpflicht und für Angehörige aller Religionen. Diese Moschee ist den regierungstreuen türkischen Medien und Recep Tayyip Erdogan ein gewaltiger Dorn im Auge; er hat die Bundesregierung aufgefordert, sie zu schließen. Angeblich stehe Frau Ates der Gülen-Bewegung nahe. Attacken kommen auch aus der obersten Fatwa-Behörde in Ägypten Dar al-Ifta.

Von rund hundert Morddrohungen weiß Seyran Ates zu berichten. Sie kommen nicht von islamistischen Terrororganisationen, sondern ganz alltäglich über soziale Netzwerke – zum Beispiel unterlegt mit Fotos von Pistolen, überschrieben mit dem Wort „bald“. Auch auf offener Straße wird sie angefeindet.

Die Besucherzahl in Ates‘ Moschee halten sich derzeit in Grenzen, weil potentielle Besucher Angst vor Anschlägen haben. Diese Angst ist nicht geringer geworden, seit sich Seyran Ates im Zusammenhang mit dem Attentat in Barcelona öffentlich mit dem Satz vernehmen hat lassen: „Solche Attentate haben durchaus etwas mit dem Islam zu tun“.

Das ist das Deutschland des Jahres 2017. Bei den meisten Parteien, auch den real in Regierungsverantwortung stehenden, wird dergleichen achselzuckend zur Kenntnis genommen und abgehakt. Über jeder auch nur aufkeimenden Debatte um den Islam in Deutschland steht lähmend das zum Quasi-Evangelium überhöhte Diktum eines Christian Wulff, bekräftigt von einer Angela Merkel: Der Islam gehöre zu Deutschland. Nein, so ist es nicht! Eine Seyran Ates gehört zu Deutschland, aber kein Erdogan-Islam.