Tichys Einblick
„Europäische Armee“ bleibt eine Fata Morgana

Polen baut womöglich 800 Panzer zusammen mit Südkorea

Deutschland und Frankreich wollen Polen bei der Entwicklung eines neuen Panzers nicht dabei haben. Ohne Rücksicht auf übergeordnete strategische Überlegungen lässt man sich den gemeinsamen Bau von 800 Panzern entgehen. Die Polen suchen stattdessen einen Partner außerhalb Europas.

Parade zum "Tag der Polnischen Streitkräfte" in Kattowitz am 15. August 2019.

Beata Zawrzel/NurPhoto via Getty Images

Anfang Dezember 2019 hat die Nato in London ihren 70. Geburtstag gefeiert. Es war nicht nur ein harmonisches Treffen, aber man war sich einig, dass man sich einig sein muss und dass es vor allem wegen Russland, China und wegen des internationalen Terrorismus keine Alternative zur Nato gibt. Unausgesprochen wurde auch klar, dass der Weg zu einer „europäischen Armee“ noch sehr weit, wenn nicht gar nur eine Fata Morgana ist.

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Gleichwohl bleibt es richtig, dass die EU respektive die europäischen Nato-Mitglieder in Sachen Sicherheit und Verteidigung mehr Kooperation brauchen. Dafür ist an vorderer Stelle die Nutzung gleicher Waffensysteme notwendig. Hier aber hakt es gewaltig, wie die aktuelle Entwicklung um die Modernisierung der polnischen Panzerarmee zeigt. Es geht um neue Panzer für die polnische Armee, die von allen mittel- und osteuropäischen Nato-Armeen mit 118.000 Soldaten und 640 Panzern die stärkste ist und für die das Land – anders als die meistern Nato-Länder – mittlerweile mehr als zwei Prozent des BIP für Rüstung (Deutschland 1,38 Prozent) ausgibt. Polen ist damit durchaus ein militärisches Schwergewicht, es leistet einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Ostflanke der Nato.

Nun also steht auf der Wunschliste der Polen ein moderner, neuer Panzer, zumal das seit 1999 zur Nato gehörende Polen in seinen Panzerbeständen immer noch überholte Sowjetmodelle hat. Frankreich und Deutschland sind gleichzeitig dabei, einen neuen Panzer zu fabrizieren. Vor allem will man damit einen Beitrag zur Vereinheitlichung und damit zur Verbesserung der Schlagkraft der Nato leisten. Denn in den europäischen Nato-Armeen gibt es 17 verschiedene Kampfpanzer bzw. insgesamt 37 unterschiedliche Kampf- und Schützenpanzermodelle. Daraus will man einen einzigen machen, das ist das Ziel einer französischen Initiative – mit Deutschland als Hauptpartner. Der neue Panzer soll unter dem Namen „Main Ground Combat System“ (MGCS) laufen und Ende der 2030er Jahre eingeführt werden. Es ist die Rede von einem Bedarf an 2.500 Stück. Ein „Leopard-3“ soll es also nicht werden.

Widerstand gegen eine polnische Beteiligung kommt indes aus Frankreich. Hinter vorgehaltener Hand heißt es dort, Polen würde sich zu sehr an den USA orientieren. Diese Präferenz der Polen für die USA ist sichtbar. Polen bot den USA 2018 nämlich an, entgegen der Nato-Russland-Grundakte vom 27. Mai 1997, die dergleichen eigentlich einschränkt, eine US-Panzerdivision dauerhaft in Polen zu stationieren und dafür zwei Milliarden US-Dollar für Infrastruktur und anderes aufzubringen.

Überhaupt kauft Polen Waffen mittlerweile vor allem in den USA – etwa 32 US-Kampfflugzeuge vom Typ F-35 mit einem Volumen von 6,5 Milliarden Dollar. Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak kündigte zudem an, 20 amerikanische mobile Raketenwerfer samt Munition vom Typ Himars für mehr als 400 Millionen Dollar anzuschaffen. Polen zählt unter anderem wegen solcher Investitionen zu den gerade mal sechs europäischen Nato-Ländern, die zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aufbringen und somit die Zielvorgabe des Bündnisses einhalten. In den nächsten Jahren will die Regierung in Warschau diesen Wert sogar auf 2,5 Prozent steigern. 

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Widerstand gegen eine polnische Beteiligung am MGCS-Panzerprojekt kommt aber auch aus Berlin. Man habe schlechte Erfahrungen mit europäischen Großprojekten gemacht: siehe Eurofighter oder Transportflugzeug A400M. Außerdem argwöhnt man, dass mit einer polnischen Beteiligung am MGCS-Panzerprojekt die deutschen Unternehmen Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann sowie das französische Unternehmen Nexter Anteile verlören. Frankreich und Deutschland (manche sprechen von einem Koch-Kellner-Tandem) schließen Polen jedenfalls mehr oder weniger klammheimlich von Rüstungsprojekten aus; man lässt sich ohne Rücksicht auf übergeordnete strategische Überlegungen einen gemeinsamen Bau von 800 Panzern entgehen.

Für einen groß angelegten Kauf von Panzern bietet sich den Polen nun ein Partner in Fernost an: Südkorea. Das Unternehmen Hyundai Rotem würde Polen eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Version des Modells K2 anbieten – und sogar den Technologietransfer, den sich Warschau wünscht. Es ist die Rede von 800 Exemplaren. Nach so einem Deal würde Polen übrigens über mehr moderne Kampfpanzer verfügen als Deutschland und Frankreich zusammen. 

Fazit

Es knirscht weiter in der Nato. Wenn Polen bilaterale Verträge mit den USA oder Südkorea abschließt, wird das Zusammenwachsen der europäischen Armeen noch schwerer. Die europäische Rüstungsindustrie wird damit weiter atomisiert. Oder aber es droht nach dem Brexit gar ein Auseinanderdriften der Nato in zwei Achsen: eine Washington-London-Warschau versus Paris-Berlin.

Vor allem aber: Die Sorge Polens um Russlands Militärpolitik ist alles andere als irrrational. Man muss die Polen verstehen. Zu ihrer historisch geprägten DNA gehört die Erfahrung mit Fremdherrschaft. Diese geht heutzutage gottlob nicht mehr von einem „Deutschland über alles“ aus, sondern sie ist tief geprägt erstens von den Erfahrungen mit dem russischen Zarenreich, Preußen und Österreich. Nach den drei polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 hatte Polen bis 1918 aufgehört, als souveräner Staat zu existieren. Zweitens: Am 23. August 1939 gab es den Hitler-Stalin-Pakt, nachfolgend am 1. September 1939 den deutschen Überfall auf Polen. Aktuell kommt – drittens – für die Polen wie auch für die „drei baltischen Tiger“ Estland, Lettland, Litauen als Sorge vor allem die martialische Politik Putins in Sachen Georgien (Einmarsch der Russen und 5-Tage-Kaukasuskrieg 2008), Krim (Annexion im Februar/März 2014) und Ostukraine (ab April 2014) hinzu.

Ferner: Polen hat eine 500 Kilometer lange Küste zur Ostsee, die von Russen (und Chinesen) zu großen Seemanövern befahren wird. Polen hat über die Ostsee-Enklave Kaliningrad eine 232 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Russland. Dort hat Russland im Mai 2018 begonnen, Iskander-Raketen zu stationieren. Diese Flugkörper haben eine Reichweite von 500 Kilometern, womit sie Warschau, Berlin oder Kopenhagen erreichen können. Russland hat mit dem Panzer-Modell T-14-Armata einen hochmodernen Panzer mit effektiver Schnellladevorrichtung. Experten meinen, dieser Panzer sei sogar dem Leo-2 überlegen. Russland hat drei Viertel seiner Luft- und Seebasen sowie 70 Prozent seiner Landstreitkräfte westlich des Urals stationiert.

Das sind die Fakten – nicht nur die für Polen relevanten Fakten.