Tichys Einblick
Ideologie der Gleichmacherei

Pisa-Chef-Ideologe Schleicher will das Gymnasium abschaffen

Andreas Schleicher predigt seit gut zwei Jahrzehnten, das deutsche Gymnasium müsse abgeschafft werden, weil es soziale Ungleichheiten zementiere. Motto: Was nicht alle können, darf keiner können! Der „Professor“, Diplom-Physiker und Ex-Waldorf-Schüler beherrscht aber selbst die einfachsten Pisa-Aufgaben nicht.

Symbolbild

IMAGO / Rupert Oberhäuser

Um Weihnachten herum ist medial Saure-Gurken-Zeit. Da holen die Alt-Medien gerne Namen von Leuten aus dem Zettelkasten, von denen sie annehmen, sie hätten als Interviewpartner irgendetwas Unmaßgebliches zu sagen. Der „Tagesspiegel“ hat solches am 26. Dezember getan und ein Interview mit dem ach so maßgeblichen OECD-Pisa-Mann Andreas Schleicher geführt, ihn gar zum „Pisa-Erfinder“ geadelt. Für andere Medien ist er übrigens bereits der „Pisa-Papst“. „Papst“ – wir erinnern uns: Unfehlbarkeit!

Schleicher hat zwar nach dem (traumatisierenden?) Scheitern beim Zugang zu einem Hamburger Gymnasium und nach dem Besuch einer Waldorfschule Physik, Mathematik und Statistik studiert, aber der Vergleich von Äpfeln und Birnen geht ihm immer noch sehr leicht von der Hand. Seit Jahren rühmt er Länder mit höchsten „Akademiker“-Quoten, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass sehr viele deutsche Berufsabschlüsse hinsichtlich Qualifikation „akademische“ Abschlüsse anderer Länder (mit übrigens höchsten Quoten an arbeitslosen Jugendlichen) in den Schatten stellen. Und dass die Pseudo-Akademisierung des deutschen Bildungswesens nicht die Lösung eines Bildungsproblems, sondern selbst ein Kernproblem ist.

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Nun predigt Schleicher seit gut zwei Jahrzehnten in Endlosschleife, das deutsche Gymnasium müsse abgeschafft werden, weil es soziale Ungleichheiten zementiere. Motto: Was nicht alle können, darf keiner können! Und Schleicher bildet sich immer noch ein, Pisa sei ein Bildungstest, auch wenn dort 90 Prozent des schulischen Bildungsgeschehens (Fremdsprachen, literarische, kulturelle und musische Bildung, historische, politisch und wirtschaftliche Bildung, Wertebildung, soziale Erziehung, sportliche Bildung) nicht abgebildet sind. Nein, Pisa ist für ihn ein Evangelium, an dem eine Nation ihre globale Konkurrenzfähigkeit ablesen könne.

Nein, Schleicher kommt nicht heraus aus der Ideologie der Gleichmacherei. Deshalb will er qua Zentralisierung alle 16 deutschen Länder auf Einheitsrasenschnitt bringen. Möglichst alle schulisch digitalisiert, wiewohl Pisa nicht die Spur eines Beweises erbringt, dass Digitalisierung hilft. Dass die deutsche Gesamt- und Einheitsschule seit den 1970er Jahren in zahlreichen (politisch gut versteckten) Vergleichen miserabel abschneidet, interessiert ihn nicht. Er bildet sich ein, dass man ein krankes Gesamtsystem gesunden kann, wenn man ein dort noch (!) halbwegs (!) intaktes Gymnasium inkludiert. Er schwärmt von Waldorfpädagogik, sagt aber nicht, dass dort Rudolf-Steiner’sche Esoterik angesagt ist und es dort eigentlich nur „biodeutsche“ Schüler gibt. Schleicher im Interview mit dem „Tagesspiegel“ dennoch: „Waldorfschulen sind gut darin, zu erkennen, was in einer Schülerin, einem Schüler, steckt und fördern das. Es gibt mehr projektorientierten Unterricht. Vieles von dort würde dem Schulsystem helfen. Für mich ist die Waldorfschule eine sehr gute Erfahrung gewesen. Ich habe mich im musischen Bereich stark entwickeln können.“ Aha!

Ansonsten möchte Schleicher die Spiel- und Spaßschule. Der „Tagesspiegel“ stellt denn auch die suggestive Frage: „Also hat Deutschland vor allem ein Problem mit dem nach wie vor wilhelminischen Mindset? Was spielerisch erlernt wird, kann ja nix sein.“ Eine wunderbare Steilvorlage für Schleicher, der antwortet: „Ja, nur diese Methode funktioniert offensichtlich nicht. Dass sich Disziplin erzwingen lässt, ist eine Lüge.“ Vielleicht sollte Schleicher doch einmal in eine Multikulti-Klasse gehen, in der der Lehrer/die Lehrerin Dreiviertel der „Unterrichts“-Zeit aufwenden muss, für ein halbwegs erträgliches Arbeitsklima zu sorgen. Für Schleicher aber ist jeder Schüler zu allem fähig. Deshalb diktiert er dem „Tagesspiegel“ auch ins Blatt, was in Deutschland abzuschaffen sei, nämlich „der Glaube, dass nicht alle Schüler gut sein können. Der ist im Bildungssystem in Deutschland so tief verankert. Das gegliederte Schulsystem ist bildhafter Ausdruck davon. Wir sollten das abschaffen.“

Übrigens: Vor einigen Jahren gab es in der Kultusministerkonferenz (KMK) mal Kritik an Schleicher, weil er die deutsche Schullandschaft verzerrt und ideologiegeleitet darstelle. Folgen hatte das keine. Schleicher tingelt nach wie vor mit deutschem OECD-Ticket durch die Welt. Bereits im April 2003 bekam er dafür den Theodor-Heuss-Preis für „beispielhaftes demokratisches Engagement“. 2006 ernannte ihn die Universität Heidelberg zum Honorarprofessor an der Fakultät für Verhaltens- und Empirische Kulturwissenschaften.

Seine eigenen, für Fünfzehnjährige gedachten Pisa-Testaufgaben kann Schleicher offenbar selbst nicht immer lösen. Der „Tagesspiegel“ war doch tatsächlich so mutig, ihm folgende Pisa-Testaufgabe zu stellen: „Was ist die letzte Ziffer der Zahl 7 hoch 190? 1, 3, 7 oder 9?“ Schleichers Antwort: „Das ist eine Frage aus der aktuellen Pisa-Studie, nehme ich an. Ich gestehe, das weiß ich nicht.“