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Personalplanung der deutschen Kultusminister völlig ungenügend

Kein Unternehmen in der freien Wirtschaft, die konjunkturellen Zyklen unterliegt, hat so stabile Planzahlen, wie man sie in den Kultusministerien hat. Aber die Schulminister machen Flickschusterei, wo planvoll vorausschauendes Handeln gefragt ist.

© John MacDougallAFP/Getty Images

Die Bertelsmann Stiftung hat mal wieder zugeschlagen. Manche nennen sie nicht zu Unrecht Deutschlands oberste Statistik- und Bildungsgouvernante aus Gütersloh. Denn tatsächlich vergeht kaum eine Woche, in der die Bertelsmänner nicht irgendeine mehr oder weniger weltbewegende, oft auch mehr oder weniger seichte und tendenziöse Studie auflegen. Nun haben die Gütersloher vorgerechnet, dass deutschlandweit bis 2025 rund 24.000 Lehrer an Grundschulen und bis 2030 rund 27.000 Lehrer für die Jahrgangsstufen 5 bis 10 fehlen werden.

Nun, für solche Berechnungen braucht man weder eine Bertelsmann Stiftung noch einen Taschenrechner. Denn das Problem mit dem Lehrernachwuchs ist eigentlich seit Jahrzehnten bekannt. Und es ist noch viel differenzierter, es gründet noch viel tiefer, als es Bertelsmann nun vorrechnet. Dass keine Abhilfe gegen den da und dort immer wieder auftretenden Lehrermangel geschaffen wurde, ist nicht der Bertelsmann Stiftung anzukreiden, die dieses Thema jetzt erstmals aufgreift. Nein, schuld an einer völlig unzulänglichen Personalplanung sind 16 deutsche Schulminister, die immer wieder so tun, als komme ein Lehrermangel plötzlich wie ein Schicksal über uns.

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Die Damen und Herren Minister haben es nämlich nicht geschafft oder nicht schaffen wollen, ihre Personalpolitik langfristig zu planen; über den Tellerrand einer vier- oder fünfjährigen Legislaturperiode haben sie kaum hinausgesehen. Dabei wäre es doch ziemlich einfach: Fünf Prämissen bestimmen den Lehrerbedarf. Auf deren Basis könnte man eine relativ solide und auch differenzierte Lehrerbedarfsprognose erstellen – sogar differenziert nach Bundesländern, Lehrerämtern und Unterrichtsfächern. Die erste Prämisse ist die Altersstruktur der aktiven Lehrerschaft. Diese ist jedem Schulminister für sein Land sehr exakt bekannt. Beispielsweise wusste man bereits im Jahr 2000, dass von den deutschlandweit fast 800.000 Lehrern bis zum Jahr 2015 rund 350.000 in den Ruhestand eintreten. Die zweite Bedingung für den Lehrerbedarf sind die Schülerzahlen. Auch sie sind zumindest für die weiterführenden Schulen auf lange Sicht präzise abschätzbar. Die Gymnasiasten, Realschüler, Hauptschüler und Gesamtschüler des Jahres 2027/2028 sind heute schon geboren. Die Schüler des Jahres 2033/34, die dann eine berufliche Schule besuchten werden, sind ebenfalls schon geboren. Weitere drei Prämissen des Lehrerbedarfes sind politisch relativ gut prognostizierbar, weil es politische Setzungen sind. Denn die Politik entscheidet, wie hoch die wöchentlichen Pflichtstunden-Maße der Lehrer sein sollen, wie viele Unterrichtstunden pro Woche eine bestimmte Jahrgangsstufe erhalten und wie groß die durchschnittliche Klassengröße sein soll. Kein Unternehmen in der freien Wirtschaft, die konjunkturellen Zyklen unterliegt, hat so stabile Planzahlen, wie man sie in den Kultusministerien hat.

Freilich haben sich die 16 deutschen Länder einer differenzierten Bedarfsprognose entzogen und in den vergangenen Jahren mit Tricks über die Runden gerettet. Die Verlängerung der Unterrichtsverpflichtung von Lehrern um eine Unterrichtsstunde pro Woche, die Erhöhung der durchschnittlichen Defacto-Klassenstärke um einen Schüler sowie die Kürzung der Wochenstundenzahl je Klasse um eine Unterrichtsstunde hat jeweils drei bis vier Prozent des Lehrerbedarfs retuschiert. Durch diese drei Maßnahmen wurde in mehreren deutschen Ländern in der Summe ein Lehrerbedarf von zirka zehn Prozent verschleiert beziehungsweise wegadministriert.

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Zudem haben die Kultusminister es versäumt, deutlich zu machen, in welchen deutschen Ländern, in welchen Lehrämtern und in welchen Fächern Bedarf und wo es ein Überangebot an Bewerbern gibt. Man hat sich eher damit begnügt, pauschal vor dem Lehrerberuf zu warnen oder pauschal dafür zu werben. Die Folge war, dass es zu dem in der Volkswirtschaft bekannten Phänomen des Schweinezyklus kam. Haben die Kultusminister für den Lehrerberuf geworben, gab es sechs bis acht Jahre später ein Überangebot an – schließlich arbeitslosen – Lehrern. Das wiederum sprach sich herum, so dass immer weniger junge Leute Lehrer werden wollten usw.

Es kommt hinzu, dass seit der Übergabe der besoldungsrechtlichen Kompetenzen vom Bund an die deutschen Länder manche Länder meinten, jetzt im Lehrerbereich sparen zu können. Die Folge war, dass etwa Berlin oder Sachsen-Anhalt keine oder zu wenige Bewerber bekamen. Eigentlich ja ein sinnvolles Marktgeschehen! Aber die Leidtragenden sind die betroffenen Schüler, denen der Unterricht gekürzt, deren Klassen vergrößert werden oder die mit Aushilfslehrern vorlieb nehmen mussten.

Also, liebe Kultusminister, nun seid ihr am Zug. Packt die Sache endlich differenzierter als an bislang, vor allem auch differenzierter als die Bertelsmänner. Ihr seid es euren Schülern und euren potentiellen Lehrern schuldig. Hört auch endlich auf zu meinen, mit einem – nun ja obendrein gestoppten Rückgang der Schülerzahlen – könne man eine „demographische Rendite“ einfahren – sprich: sparen. Das ist Quatsch, denn erstens kann ein Geburtenrückgang – zumal einer wie in Deutschland – gesamtgesellschaftlich nie eine Rendite abwerfen. Und zweitens bräuchten die Schulen eigentlich eher eine mindestens 105prozentige Lehrerstundenversorgung, damit endlich kein Unterricht mehr ausfallen muss und damit man an Ort und Stelle Förderkurse für besondere bedürftige Schüler – schwache und Spitzenschüler – einrichten kann.