Tichys Einblick
Kinokassenschlager „Fack ju Göhte 3“:

Frustabbau für Schüler oder eine neue Vision von Schule?

Erstens kann ein guter Lehrer gut erklären. Zweitens ist er gerecht. Drittens hat er einen Plan und weiß, wo es langgeht. Viertens interessiert er sich für seine Schüler persönlich, aber auch nicht zu viel. Und vor allem fünftens: Er hat Witz und Humor.

© Christian Marquardt/Getty Images

Zum dritten Mal wird der Film „Fack ju Göhte“, diesmal eben als Nr. 3, zum Kinokassenschlager. Gut zwei Wochen nach seinem Kinostart vom 26. Oktober 2017 ist er schon der meistgesehene Film des laufenden Kinojahres in Deutschland. Aktuell hat er 4,75 Millionen Zuschauer. „Fack ju Göhte Nr. 3“ knüpft damit an seine Vorgänger an, die bis zu 7 Millionen Zuschauer einheimsten.

Und das ist die Story: Zeki Müller, ein Mann mit großer Klappe und rambohaftem Auftreten, kommt in Film Nummer 1 frisch aus dem Gefängnis. Eines Tages landet der vormalige Knasti als Aushilfslehrer in der „Chaosklasse“ 10b. Und siehe da: Er hat gigantischen Erfolg. Sofort lieben die Schüler ihn und seine unkonventionellen Methoden. In der Folge Nummer 3 nun steht die Klasse vor dem Abitur. Aber die Schüler sind nicht so richtig motiviert, das Abitur zu bestehen. Eine Frau vom Berufsinformationszentrum hat den Schülern die Zukunft als wenig rosig dargestellt. Frust greift um sich, bis eben Zeki Müller unkonventionell und am Ende segensreich eingreift.

Weil man in Deutschland immer tiefschürfende Gedanken haben muss und sich nicht einfach mehr oder weniger über einen Klamaukfilm amüsieren kann, halten führende Medien diesen Film für eine notwendige pädagogische Provokation, nämlich für eine Absage an eine Schulbildung, die auf Lernen, Wissen, Anstrengung und geregelten Unterricht setzt. Manche meinen sogar, dieser Film sei ein Plädoyer, auf dass Schule endlich statt auf Lernen auf „Anverwandlung von Welt“, statt auf Pflichtverfüllung auf „Selbstwirksamkeit“ achten müsse.

Außerdem: teuer und kaum Nutzen
Ganztagsschule ist Entschulung von Schule und Verschulung von Freizeit
Das sitzt! Problem ist nur, dass Schule nicht funktioniert wie im Film. Denn auch dieser Film verhält sich zu Schule wie Märchen zu Realität. Das hatten wir schon bei so manchem Film über Schule, zum Beispiel – damals noch nicht pädagogisch überhöht – ab 1969 in mehrteiligen Filmen wie „Hurra, die Schule brennt“ (mit Peter Alexander) oder „Die Lümmel von der ersten Bank“ (mit Uschi Glas und Roy Black). Das hatten wir dann von 1991 bis 1999 in 70 (!) Folgen mit dem Studienrat „Dr. Specht“ aus der gleichnamigen ZDF-Fernsehserie. Specht entsprach schließlich so recht dem Idealbild des Polit-, Beziehungskisten- und Sozial-Ingenieurs. Immer chaotisch, immer mit einem kessen Szenespruch auf den Lippen, schwirrte er über die Mattscheiben-Schule, um nur jeden möglichen schulischen Zoff zu schlichten.

Aber auch Specht’sche Schule ist ebenso wie die „Fack ju- Göhte“-Schule nicht von dieser Welt, so wenig wie Schwarzwaldklinik nicht von dieser Welt war. Vielleicht geht es mal eine Nummer kleiner. Ob solche Filme jungen Leuten helfen, Schule besser zu verstehen oder sich mehr anzustrengen, sei dahingestellt. Es ist auch nicht verwerflich, wenn diese Filme so manchen Schulfrust kanalisieren und bei der Katharsis (der Reinigung) von Affekten helfen, wie Schiller das der Schaubühne zutraute.

Aber das Volk der Dichter und Denker, das ja zugleich ein Volk der großen Pädagogen war (!), muss aufpassen, dass es sich nicht in ein Zerrbild von Lehrern verliebt, das die jungen Leute nicht weiterbringt. Gewiss sind nicht alle fast 800.000 Lehrer in Deutschland pädagogische Helden und Heilige. Aber weder die Pink-Floyd-Attitüde „We don‘t need no education“ von 1979, noch ein Dr. Specht oder ein Rambolehrer Zeki Müller, noch überhöhte Erwartungen an die Lehrer bringen Schule in Deutschland weiter. Sonst wollen immer noch weniger junge Leute Lehrer werden.

Der Konflikt verschärft sich
Die Kultur-Wende
Aber die Deutschen neigen nun einmal zu Idealisierungen und zu Extremen. Was die Lehrer betrifft, so war Friedrich Adolph Diesterweg nicht ganz unschuldig an überzogenen Erwartungen, indem er nämlich den Lehrern vor über 100 Jahren wünschte: den Scharfsinn eines Lessing, das Gemüt eines Johann Peter Hebel, die Begeisterung eines Pestalozzi, die Kenntnisse eines Leibniz, die Weisheit eines Sokrates, die Liebe Jesu Christi und an erster Stelle die Gesundheit und die Kraft eines Germanen. Von der offiziellen Pädagogik wird das heute leider verwechselt mit dem Entertainer-Talent eines Show-Masters, dem Rechtsverständnis eines Verwaltungsrichters, dem Öko-Engagement eines Greenpeace-Aktivisten und der Güte einer Mutter Teresa. Wie man damit die fast 800.000 Lehrerstellen in Deutschland besetzen möchte? Für solche Leitbilder von Schule und Lehrerberuf bräuchte man außerdem nicht Hunderte von Bildungs- und Erziehungswissenschaftlern, sondern nur ein paar geschäftstüchtige Filmregisseure.

Bleiben wir auf dem Teppich. Ich bin kein wissenschaftlicher Bildungsempiriker. Aber ich habe mehr als zwanzig Jahre ein Gymnasium geleitet. Auch das ist Empirie. Zum Beispiel habe ich regelmäßig Diskussionen mit Klassen zur Frage geführt, was einen guten Lehrer ausmacht. Verallgemeinert kamen dabei – alterstypisch unterschiedlich formuliert – immer fünf Merkmale zum Ausdruck: Erstens ist ein guter Lehrer einer, der gut erklären kann. Zweitens ist er gerecht. Drittens hat er einen Plan und weiß, wo es langgeht. Viertens interessiert er sich für seine Schüler persönlich, aber auch nicht zu viel. Und vor allem fünftens: Er hat Witz und Humor. Dass es im deutschen Sprachraum kein Werk über die Bedeutung des Humors als Erziehungsmittel und Erziehungshaltung gibt, ist wahrscheinlich wiederum typisch deutsch.


Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop.