Tichys Einblick
Anja Karliczek

Aber welchen Bildungsunterbau braucht eine Bundesbildungsministerin?

„So ein bisschen Bildung ziert den ganzen Menschen.“ Heinrich Heine.

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Schon mal darüber nachgedacht, welche Koryphäen im aktuellen Bundeskabinett sitzen? Keine Sorge! Wir fangen hier mit keiner Aufzählung an, sonst würde dieses Stück den üblichen TE-Umfang sprengen. Aber man darf ja mal darüber nachdenken, welchen Bildungsunterbau eine Bundesbildungsministerin braucht oder mitbringt oder hat.

Anja Karliczek (47) heißt diese Ministerin. Korrekt ist ihre Amtsbezeichnung „Bundesministerin für Bildung und Forschung“. Seit März 2018 ist sie das, auf CDU-Ticket, aus NRW stammend. Sie hat Abitur, sie ist Bankkauffrau, Hotelfachfrau und qua BWL-Studium an der Fernuniversität Hagen seit 2008 Diplom-Kauffrau. Alles ehrenwerte Berufe und Ausbildungen. Aber nichts, womit man urplötzlich den Marschallstab einer Bundesbildungsministerin im Tornister hätte.

„So ein bisschen Bildung ziert den ganzen Menschen.“ Das hat Heinrich Heine mal gesagt. Wahrscheinlich mit Betonung auf „ein bisschen“. Dieses Bisschen schaut bei der amtierenden Bundesbildungsministerin wie folgt aus: Sie gibt der F.A.Z. ein Interview, sie lässt sich darauf ein, von Profis wie der renommierten Bildungsjournalistin Heike Schmoll und dem FAZ-Feuilletonmann Thomas Thiel interviewt zu werden, sie lässt das Interview – vermutlich von einem literarisch eher minderbemittelten Mitarbeiter – autorisieren und gibt dabei zum Beispiel folgendes von sich.

Auf die Frage, welcher Roman (!) ihr Bildungsverständnis geprägt habe, antwortet sie: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ von Bert Brecht: Aha, „Arturo Ui“ plötzlich kein episches Theater in 17 Szenen mehr, sondern ein Roman! „Ganz schön mutig in dieser Zeit“, meint die Befragte sodann und hat wohl nicht mitbekommen, dass Brecht dieses Stück im März 1941 im finnischen Exil schrieb, ehe er dann kurz danach im Exil in den USA landete. Ganz schön mutig waren andere.

Auf die Frage, welche Literatur sie aus dem 17. oder 19. Jahrhundert begeistert habe, nennt sie Theodor Storms 1888 erschienenen „Schimmelreiter“ (in Buchform immerhin 100 Seiten), um anzufügen, „auch wenn ich mich erst an die Sprache gewöhnen musste“. Karl May hat sie geliebt; und zuletzt las sie einen Dreiteiler von Ken Follett: „Sturz der Titanen“, „Winter der Welt“, „Kinder der Freiheit“.

Naja, letzteres haben Millionen getan, ohne sich deshalb zur Bildungsministerin eines 82-Millionen-Landes, einer (vormaligen) Bildungsnation, berufen zu fühlen oder einer Regierungschefin deswegen als ministrabel aufzufallen. Aber immerhin weiß die Ministerin im Interview zu berichten: „In meiner Arbeit habe ich ständig zu lesen, aber eben kürzere Texte in Vorlagen oder auch in Zeitungen.“

So geht es im Interview dahin, bis endlich das – vermeintlich – rettende Ufer, sprich das rettende Stichwort gegeben wird: Digitalisierung. Hier scheint Karliczek in ihrem Element. Aber auch hier bleiben alle Antworten aufgesetzt und oberflächlich. Kritische Einwände macht sie mit dem Hinweis auf das 5-Milliarden-Programm des Bundes platt. Einwände etwa, dass es hier offenbar um reine Geschäftsinteressen gehe, dass Kinder damit eher zur Oberflächlichkeit erzogen würden, dass ausgerechnet Eltern im Silicon Valley ihre Kinder auf laptopfreie Schulen schicken … Alles prallt an ihr ab. Immerhin steht sie ja einem Ministerium vor, das in einer Broschüre meinte: „Bücherschleppen ist Vergangenheit.“

Noch eine Anmerkung zur FAZ: Man merkt den beiden Interviewern Heike Schmoll und Thomas Thiel an, wie es ihnen (Schaden-)Freude macht, hier eine Bundesministerin vorzuführen. Aber sie hat es trotz mangelnder Unterkellerung mit sich machen lassen, und sie hat das Interview autorisiert. Sie hat wohl nicht einmal im Nachhinein gemerkt, wie sie sich verrannt hat. Bezeichnend ist ja allein schon, dass der Textumfang der Interviewer beinahe den Textumfang der Antworten der Ministerin erreicht. Wie in der Schule bei geduldigen Lehrern: Noch eine Frage und noch eine Frage. Irgendwas wird man beim Zögling ja herauskitzeln können! Und dann noch die Untertitelung des Bildes, auch nicht wirklich wohlwollend: „Lesen verlernt man nicht. Für Anja Karliczek ist Tiefenlektüre kein lebenslanges Lernprojekt.“ Macht ja nichts, sie ist dennoch Bundesbildungsministerin. In der vormaligen (!) Bildungsnation Deutschland.