Tichys Einblick
Angst auf Weihnachtsmärkten

Von einer heller werdenden Welt ist nichts zu spüren

Mit Barrieren und Pollern können wir die Gewalt nicht von uns fernhalten oder gar stoppen – vielmehr geben wir den Tätern mit unserer Angst nur das, was sie unbedingt wollen. Gerade jetzt braucht es mündige Bürger, die Leuchtfeuer entzünden für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander.

Es ist Advent: Die Zeit, in der sich die Christen weltweit auf die Ankunft Jesu Christi in der Welt vorbereiten. Jeden Sonntag wird in unseren Häusern und Kirchen daher eine weitere Kerze am Adventskranz entzündet, um das Dunkel in der Welt Stück für Stück heller zu machen – so die Symbolik hinter dem Ritual. Der Advent soll eine Zeit sein, sich zu besinnen, sich Zeit für das wesentliche zu nehmen und das eigene Herz zu öffnen – um Licht zu sein für die Welt, wie es in einem bekannten Lied der Sternsinger heißt. Deshalb wird Weihnachten Ende Dezember gefeiert, wenn die Nächte langsam wieder kürzer und die Tage länger, heller und fröhlicher werden.
Im Moment jedoch beobachte ich in unserer Gesellschaft aber das genaue Gegenteil: Beim Blick in die Nachrichtenmeldungen der letzten Tage und Wochen ist nichts von einer heller werdenden Welt zu sehen oder zu spüren. Nein, vielmehr wird unsere Welt mit rasendem Tempo immer finsterer und düsterer.

Beim Lesen der täglichen Meldungen nämlich mussten wir alle in den vergangenen Tagen und Wochen mit großem Entsetzen feststellen, dass die Zahl schwerer Gewalttaten zum Jahresende hin stark zuzunehmen scheint – obgleich sie insgesamt im Jahresdurchschnitt der vergangenen Jahre rückläufig ist. Erschreckend ist aber vor allem die Zunahme der Gewalttaten mit einem Messer als Tatwaffe: In allen Bundesländern, in denen Gewalttaten im Zusammenhang mit Messern separat erfasst werden, hat deren Zahl über die vergangenen Jahre deutlich zugenommen. Der traurige Spitzenreiter ist Brandenburg, wo sich die Anzahl der Messerangriffe binnen vier Jahren um rund 32 Prozent erhöht hat.

Unter Experten gilt das Messer bereits seit langem als eines der gefährlichsten Tatmittel, denn es wird häufig unterschätzt und kann in den falschen Händen zu einer tödlichen Waffe werden oder schwerste Verletzungen hervorrufen.

Vorbeugen!
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Am Hauptbahnhof der bayerischen Landeshauptstadt München kam es beispielsweise am 9. Dezember zu einer Messerattacke auf einen Polizisten. Der 30-jährige Polizeiobermeister führte gerade eine Personenkontrolle mit einem Kollegen durch, als ein unbeteiligter 23-Jähriger von hinten mit einem Messer auf den Beamten einstach. Dabei attackierte er den Polizisten mit einer solchen Wucht, dass das Messer abbrach. Zwar gelang es dem Polizeikollegen und einigen Augenzeugen, den Angreifer zu überwältigen, allerdings ist davon auszugehen, dass das 30-jährige Opfer der Attacke schwere Verletzungen wohl auch am Rückenmark erlitten hat.

Eine andere, nicht minder erschreckende Gewalttat ereignete sich wenige Tage zuvor in Hannover: In der Straße „Am Marstall“ kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen einem 21-jährigen Hannoveraner und zwei 22-Jährigen. Im Verlauf des Streits zückte der 21-jährige ein Messer und stach seinen Kontrahenten damit mehrfach in den Bauch, sodass einer leicht und der andere schwer verletzt wurde. Auch hier konnte der Täter kurz nach der Tat festgenommen werden, gegen ihn wird nun ermittelt.

Die wohl aufsehenerregendste Gewalttat der letzten Wochen ereignete sich am Nikolausabend in Augsburg: Als sich ein Berufsfeuerwehrmann gemeinsam mit seiner Frau und Freunden vom Christkindlesmarkt auf den Heimweg macht, gerät er am Königsplatz in eine Auseinandersetzung mit sieben anderen jungen Männern. Der Streit eskaliert und einer aus der Gruppe schlägt den 49-jährigen so stark gegen den Kopf, dass dieser zu Boden geht. Auch der um ein Jahr ältere Begleiter wird attackiert und im Gesicht verletzt. Der Feuerwehrmann jedoch schlägt so hart auf den Boden auf, dass er rund 50 Minuten später seinen Verletzungen noch am Ort des Geschehens in einem Rettungswagen erliegt. Mittlerweile befinden sich alle sieben Tatverdächtigen in Untersuchungshaft, Haftbefehle wurden erlassen und Ermittlungsverfahren wegen Totschlags beziehungsweise Beihilfe zum selbigen eingeleitet. Wie die Polizei erklärte, sollen einige der Täter bereits früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein.

Dieser Fall löste bundesweit eine große Bestürzung und Trauer aus. Unter die unfassbare Trauer mischen sich aber auch Wut und – ohne jeden Zweifel – auch Angst. Gerade bei der Häufung der Gewalttaten sorgen sich immer mehr Bürger um ihre Sicherheit. Aus dem „Lasst uns froh und munter sein“ der Adventszeit wird angesichts dieser Sorgen schnell ein „Lass uns lieber daheim bleiben“.

Für mich ist dieses Gefühl nur allzu verständlich. Ich selbst war vor wenigen Tagen in Berlin unterwegs und dort auch auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz rund um die Gedächtniskirche – an dem Ort, an dem Anis Amri am 19. Dezember 2016 einen Lastkraftwagen in die Menschenmenge steuerte und zwölf Menschen tötete. Wenn man über diesen Weihnachtsmarkt geht, dann geht ein mulmiges Gefühl als ständiger Begleiter mit einem – darüber können auch die fröhliche Musik und die bunten Lichterspiele der Buden nicht hinwegtäuschen. Am Breitscheidplatz wurde ein Jahr nach dem Terroranschlag ein Denkmal für die Opfer und ihre Angehörigen eingeweiht: Ein goldglänzender Riss, der sich quer über den Platz zieht, die Stufen zur Gedächtniskirche hinauf.

Dieser Riss scheint symptomatisch für unsere Gesellschaft: Die Gewalttaten und die Angst vor Anschlägen, gerade in dieser vorweihnachtlichen Zeit, spaltet die Gesellschaft zwischen vorweihnachtlicher Unbeschwertheit und nur allzu gut begründeter Angst. Die Häufung von Gewalttaten in den letzten Tagen und Wochen tut ihr Übriges dazu und verstärkt das Unwohlsein.

Beim Anblick der gegenwärtigen Situation habe ich Verständnis, für alle, die unsere Weihnachtsmärkte mit Betonpollern und Straßensperren sicherer machen wollen und versuchen, hinter diesen Barrieren Schutz zu finden. Dennoch kann ich mich immer nur wiederholen: Diese Scheinsicherheit, so schön und betörend beruhigend ihre Illusion auch sein mag, kann nicht das Ziel unseres Handelns sein. Mit Barrieren und Pollern können wir die Gewalt nicht von uns fernhalten oder gar stoppen – vielmehr geben wir den Tätern mit unserer Angst nur das, was sie unbedingt wollen und tragen somit einen Teil zu dem mulmigen Gefühl bei, dass sich in der letzten Zeit breitgemacht hat.

Für mich ist es nicht zu verstehen, wie es zu einer solch offensichtlichen Verrohung in unserer Gesellschaft kommen konnte, die nun dazu führt, dass sich viele Bürger nicht mehr vor die Tür trauen. Ich frage mich in den letzten Tagen stärker denn je, wohin sich unsere Werte entwickeln und weshalb die Gesellschaft den Riss in ihrer Mitte so stillschweigend, sicherlich auch mit einem gewissen Ohnmachtsgefühl, hinnimmt.

Gerade jetzt gilt es mehr denn je, sich zu einer liberalen und bürgerlichen Gesellschaft zu bekennen. Gerade jetzt braucht es mündige Bürger, die Leuchtfeuer entzünden für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander – geeint durch unsere gemeinsame Tradition, die geteilten Werte und Ideale unseres Landes.

[inner_post 2 Der Ruf, Licht zu sein für diese Welt, ergeht in diesen dunklen Dezembertagen nicht nur an die Christen in unserem Land, sondern er gilt uns allen – gerade und ganz im Besonderen am heutigen Jahrestag des Attentats auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Es geht um unsere Werte, die Basis unseres Zusammenlebens – ja um nicht weniger als um die Demokratie und den Rechtsstaat. Diese gilt es hochzuhalten, mutig für die eigene Überzeugung und füreinander einzutreten und so der Gewalt und Angst die Stirn zu bieten. Dann können wir mit ganzem Herzen „froh und munter sein“ und müssen nicht verzagt und ängstlich durch diese Adventszeit gehen.

Und ich wäre nicht der unermüdlich optimistische Kämpfer, der ich nun einmal bin, wenn ich nicht auch den Nachrichten der letzten Wochen etwas Positives abgewinnen könnte: Die Verantwortlichen des Angriffes auf einen Berufsfeuerwehrmann in Augsburg beispielsweise konnten dank des konsequenten Ausbaus der Videoüberwachung schnell und effizient ermittelt werden und können daher nun für ihre Tat zur Verantwortung gezogen werden. Zudem erinnern uns gerade die dunklen Stunden daran, wie wichtig es ist, selbst für unsere Werte zu brennen und ihnen die Kraft zu geben, zu leuchten, damit sich andere an diesen Leitlinien unseres Zusammenlebens orientieren können. Demnach sind die düsteren Zeiten gute Zeiten, eine neue Demokratiebegeisterung zu entfachen – und welche Zeit wäre dafür besser als der Advent, der Stück für Stück, Tag für Tag heller werden soll, damit unsere Welt heller, besser, friedlicher wird?