Tichys Einblick
Nach Hanau

Spaltung nicht weiter vertiefen

Die Opfer von Hanau dürfen nicht instrumentalisiert werden. Wir müssen uns entschieden gegen alle Formen des Extremismus stellen.

Die schreckliche Tat von Hanau hat unser Land getroffen. Trauer, Wut und Unsicherheit herrschen nun unter den Bürgern. Neun unschuldige Menschen hat der Täter auf dem Gewissen. Nach dem Angriff auf eine Shisha-Bar und einen Kiosk mit neun Toten und vielen Verletzten tötete er noch seine Mutter und schlussendlich sich selbst. Sein Motiv: Eine offenbar krankhafte, rechtsextreme Gesinnung, zusätzlich getrieben von psychologischen Problemen.

Nach dem Mord an Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke in Kassel, dem Angriff auf die Synagoge in Halle, den Schüssen auf einen Eritreer in Wächtersbach erschüttert eine weitere rechtsextremistisch motivierte Gewalttat unser Land – und fordert einmal mehr das Leben unschuldiger Menschen.

Der Täter war nach ersten Erkenntnissen ein Rechtsextremist. Dieser Wahrheit müssen wir unverhohlen ins Auge sehen. Seine Welt war geprägt von Hass gegen Ausländer, von Verfassungsfeindlichkeit und Fanatismus. Selbstverständlich stellt sich daher nun die Frage nach den Konsequenzen. Dazu mahnen uns die Opfer, das gebietet der Respekt vor den Toten, den Verletzten, ihren Familien, Freunden und Angehörigen. Wir müssen uns fragen, wie wir in diesem Land zukünftig mit politisch motivierten Gewalttaten umgehen wollen.

An Ort und Stelle
Trauerkundgebung in Hanau
Für mich ist eines völlig klar: Wir dürfen auf keinem Auge blind sein. Wir müssen uns eingestehen, dass es Rechtsextremisten in unserem Land gibt, die zu Gewalt neigen, ebenso wie es Linksextremisten gibt, die Häuser in Brand stecken und Polizisten angreifen, Islamisten, die unsere Kinder mit einer abscheulichen Ideologie vergiften und Terroranschläge verüben, und noch viele weitere Formen des religiösen oder politisch motivierten Fundamentalismus.

In gerade allzu großer, aber leider ebenso erwartbarer Häufigkeit, wird nun behauptet, das größte Problem dieses Landes sei struktureller Rassismus und ein unterschätzter Rechtsextremismus. Das muss ich verneinen und diesem Vorwurf entgegentreten: Wer allein den Rechtsextremismus anprangert und darin die Mutter aller Probleme identifiziert, der denkt viel zu kurz, der ist wirklich auf mindestens einem Auge blind und einem Ohr taub.

Wir müssen uns entschieden gegen alle Formen des Extremismus stellen, wir müssen mit aller Kraft gegen alle Feinde der Freiheit kämpfen. Das bedeutet zweifelsohne einen entschiedenen Kampf gegen Rechtsextremismus, wie er an vielen Stellen mit zahlreichen Projekten schon geführt wird – gerade und ganz besonders auch in Hessen. Das bedeutet aber auch, einen Kampf gegen Linksextremisten, Islamisten, Salafisten und Fundamentalisten.

Als die AfD-Fraktion im Hessischen Landtag versuchte, den Tod eines achtjährigen Jungen als Folge der angeblichen „Stimmungsmache“ gegen ihre Partei zu brandmarken, haben die anderen Partei gemeinsam diese Instrumentalisierung des Toten für politische Zwecke verurteilt. Ebenso müssen wir auch jetzt aufstehen, gegen die politische Instrumentalisierung der Opfer von Hanau.

Generation Scharia
Islamistische Gesinnung greift in Schulen um sich
Ich möchte jetzt und hier nicht aufzählen, wie viele Gewalttaten Rechtsextremisten und wie viele Linksextremisten zuzuschreiben sind, eben weil auch das eine Instrumentalisierung wäre. Außerdem verfehlen wir damit nur den Kern der Sache: Die Mörder von Hanau, Halle und Kassel haben nur ein Ziel – sie wollen Spaltung und Angst säen, einen Keil in unsere Gesellschaft treiben, Hass und Hetze salonfähig machen. Wenn wir uns nun in gegenseitigen Schuldzuweisungen verrennen, leisten wir diesen Mördern auch noch Vorschub – und diese können feiern, ihr Ziel erreicht zu haben. Das kann und darf keinesfalls unsere Bestrebung in diesen Tagen sein.

Viele Politiker, Journalisten und gesellschaftliche Akteure sehen sich in diesen Tagen wüsten Beschimpfungen, nicht selten sogar offenen Drohungen ausgesetzt. Um nur einige Namen zu nennen: Roland Tichy, Henrik M. Broder, auch ich habe mich in den vergangenen Tagen einmal mehr mit Drohungen und Beleidigungen weit unterhalb der Gürtellinie konfrontiert gesehen. Das ist also die Antwort auf den Hass, der sich zuletzt im Tod neun unschuldiger Menschen in Hanau materialisiert hat?

An dieser Stelle muss dann doch die Frage erlaubt sein: Ist nicht gerade das die Verrohung des Diskurses, die von politisch linken Kräften so oft angeprangert wird? Ich bin der Meinung, dass wir solche „Zündeleien“ nicht zulassen dürfen, zumal sie auch teils schwerwiegende Straftaten darstellen. Lassen sie mich nochmal in aller Deutlichkeit sagen: Das größte Problem, dem wir uns jetzt gegenübersehen, ist die Spaltung, die der Extremismus über unser Land bringt.

Es ist unsere oberste und nobelste Bürgerpflicht, die Demokratie zu verteidigen, gegen alle, die sie bedrohen, egal von welcher Seite aus. Wer Freiheiten einschränken will, unabhängigen Journalisten das Wort verbietet und einen einseitigen Diskurs über politische Gewalt führt, der macht sich am Verrat unserer Demokratie ebenso mitschuldig, wie diejenigen, die sie mit Gewalt und Hass offen bekämpfen.

Zur Demokratie gehört unteilbar der offene, unvoreingenommene und freie Diskurs – nicht umsonst haben die Freiheit der Presse, die Freiheit der Rede, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre, die freie Gründungen von Vereinen und Parteien in Deutschland Verfassungsrang, der nicht abgeschafft werden kann, ohne die Verfassung selbst abzuschaffen.

Mein Credo ist: Wir müssen zurück zu einer Kultur des offenen Diskurses, des Streites um das bessere Argument. Dazu gehört auch die Bereitschaft, andere Meinungen und Auffassungen auszuhalten und gemeinsam um eine Haltung zu ringen. Dafür dürfen wir jedoch, und das kann ich in diesen Tagen nicht oft genug betonen, auf keinem Auge blind sein.

Liebe Freunde, ich bin weit davon entfernt, die zu instrumentalisieren, die in Hanau ihr Leben gelassen haben. Mein eigener Wahlkreis grenzt an die Brüder-Grimm-Stadt an, ich haben dort viele Freunde – gerade auch in der türkischsprachigen Community. Ich war selbst am Tag nach dem Terrorakt in Hanau unterwegs und habe mit zahlreichen Bürgern und auch Familien und Freunden von Opfern gesprochen. Ich bin überzeugt, sie würden uns mahnen, Freiheit, Offenheit und Demokratie zu verteidigen, dafür zu kämpfen, dass wir offen und ehrlich miteinander diskutieren, ja sogar (wieder) lernen miteinander um den besten Weg zu streiten.

Es ist die Aufgabe aller Demokraten, der unmittelbare Auftrag der letzten Tage, die Freiheit gemeinsam zu verteidigen. Dazu gehört es, unterschiedlicher Meinung sein zu dürfen – und dies auch sagen zu dürfen. Kurzum gesagt, muss gerade in diesen Tagen die Formel gelten, die für mich unseren Auftrag am besten beschreibt: Meine Freiheit endet dort, wo sie der Freiheit der anderen schadet, denn Freiheit bedeutet auch immer, die Freiheit der anderen zu schützen.

Das ist, wie unsere Demokratie funktioniert. Stellen wir uns also gegen alle, die die Freiheit einschränken, die auf einem Auge blind sein wollen, die den Diskurs einengen wollen, die die extremistische Bedrohung nur eindimensional betrachten. Lassen wir uns nicht das Wort verbieten, bewahren wir unsere Freiheit – und auch die Freiheit der anderen, auch wenn sie es nicht wollen.

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