Tichys Einblick
Die Schnecke AN und ein Echo namens AM

Von Biederfrauen und Brandstifter_innen

Sprache verrät den zuverlässig, der sie missbraucht und verunstaltet. Sprache lässt sich nicht austricksen. Der Wähler schon. Beispiele aus jüngster Produktion.

Das Schönste an der Sprache ist, dass sie verräterisch ist. Sie verrät den, der sie missbraucht und verunstaltet. Sprache lässt sich nicht austricksen. Der Wähler schon. Beispiele aus jüngster Produktion.

I.

Beginnen wir mit einer Nachricht, die so außergewöhnlich ist, dass sie von allen Merkelbejahungsmedien ausführlich festgehalten werden muss. In Bad Schmiedeberg, einem Ort, den ein Moor angeblich berühmt gemacht hat, also auf dem Territorium der ehemaligen DDR, wird die Kanzlerin nicht ausgebuht, nicht „angepöbelt“. Na bitte, geht doch. Ein Mann ruft freudig: „Die Bundes-Mutti!“ (Quelle: Süddeutsche Zeitung). Es sind „150 Menschen“ gekommen, um die Kanzlerin „zu begrüßen.“ Vielleicht saßen sie auch nur zufällig und ahnungslos in der Sonne vor dem moorhaltigen Kurhaus, als plötzlich Limousinen um die Ecke bogen. Egal. Die gute Nachricht verrät auch so fast alles.

II.

„Erforderlich und angemessen“ sei der Militärschlag gegen Syrien gewesen. Mit genau diesen Worten lobte die Kanzlerin die westlichen Alliierten dafür, „Verantwortung übernommen“ zu haben. Sie wählte diese Worte, ohne ihrerseits zu dieser Verantwortung zu stehen.

Dieser Widerspruch ist charakteristisch für jenen Haltungsschaden, mit dem Deutschland in der Welt als zwar ökonomisch bedeutende, doch politisch verdruckste Macht auftritt. Der spezifisch deutsche Pazifismus, (der nur Friedensmissionen zulässt,) paart sich mit einer Mentalität, die Zurückhaltung als moralische Überlegenheit begreift. Deutsche Politiker (nicht nur der Regierungsparteien) wissen immer besser, was sie gar nicht wissen wollen. Wüssten sie es wirklich besser, hätten sie einen Plan. Sie haben jedoch weder ein politisches, geschweige denn militärisches Konzept, dafür aber die feste Überzeugung, dass sie den Krieg beenden könnten, folgten nur alle Beteiligten ihrem leider unerreichbaren Maß an Vernunft.

Moralische Klugscheißerei dieser Art macht deutsche Politiker weltweit beliebt. Sie reiten lieber Prinzipien, statt sich mit der allzu komplizierten Realität auseinanderzusetzen. Deshalb braucht man sie auch so dringend im UN-Sicherheitsrat. Auch Merkels Nahostpoltik erweist sich als Symptom jener Neurose, welche die deutsche Demokratie insgesamt erfasst hat.

Ein schlecht verarbeitetes Trauma steckt dahinter. Mit ihrem historisch erworbenen Minderwertigkeitsgefühl glauben die Deutschen, ihre Schuld durch moralische Überlegenheit kompensieren zu können. Egal wo die Deutschen stehen, sie stehen auf der richtigen Seite, machen sich keine Feinde mehr, haben alle Lektionen musterhaft gelernt. „Ihr lernt immer das Falsche aus der Geschichte“, sagt Odins Rabe in Monika Marons Roman Munin oder Chaos im Kopf.“ (siehe Interview mit Monika Maron bei TE). Nicht erforderlich und unangemessen waren die Benotungen der deutschen Weltoberlehrerin in dieser Sache. Si tacuisses!

III.

Der Kampf gegen antisemitische Ausschreitungen müsse gewonnen werden, findet AM. Man fragt sich unwillkürlich: Gibt sie jetzt ihre Echos (ersatzweise Bundesverdienstkreuze) zurück? Aus Protest gegen sich selbst? Erst bittet sie abertausende Antisemiten auf die Bühne, heißt sie willkommen, dann verlangt sie, dass gegen sie mit „aller Härte und Entschlossenheit“ vorgegangen werden müsse. Es ist der Gipfel der Scheinheiligkeit. Damit man sie auch ja nicht missversteht, fügt sie hinzu, dass es sowohl „unter deutschen Staatsbürgern wie auch Arabischstämmigen Antisemitismus“ gebe. Der Unterschied ist, dass die Antisemiten mit deutschem Pass seit längerem mit aller Härte und Entschlossenheit verfolgt werden. Das ist auch gut so. Sie fallen auf den Straßen deshalb praktisch nicht mehr auf. Es sei denn, sie sind eben noch nicht so lange hier. AMs „wie auch“ relativiert nicht nur ihren Satz, sondern entlarvt ihn als wohlfeile, feige Plattitüde.

IV.

Nur einmal noch muss sie wach werden, dann haben wir die Bescherung. Andrea Nahles, die erste Frau an der Spitze der Sozialdemokraten. „Das ist für mich eine ehrlich empfundene Ehre.“ Das ist mal endlich eine ehrliche Auskunft. Wir lernen: Nicht jede Ehre wird ehrlich empfunden, sonst müsste AN es nicht so überaus gewandt erwähnen. Wäre eine unehrlich empfundene Ehre überhaupt noch eine Ehre? Mal ehrlich: Um eine Ehre kann man nicht kandidieren. Ein gewonnener Machtkampf ist ein Sieg, aber keine Ehre. Ob AN der SPD zur Ehre gereicht, wissen wir noch nicht. In den Fußstapfen von Willy Brandt hat sie noch einiges zu lernen.
Vorerst beherrscht sie zwar die SPD (und damit die Bundesregierung), aber noch nicht die deutsche Sprache. AN: „Wir sind die Kraft der Zukunft und des Fortschritts.“

Es ist lange her, dass die Parteien – alle – diese beiden Worthülsen auf Plakate druckten. Sie wollen die Wähler ja nicht verschrecken. Längst regieren Zukunftsangst und Fortschrittsskepsis. Es sei denn, man verstünde unter Fortschritt mehr Geld in der Tasche, und unter Zukunft, das alles möglichst so bleibt, wie es ist. Vielleicht wollte uns AN einfach nur mitteilen, sie selbst sei die Kraft der Zukunft und des Fortschritts. Dass sie Zukunft hat, ist unbestritten. Fragt sich bloß welche. Ob dies ein Fortschritt ist, bleibt ebenfalls vorerst dahingestellt. Die meisten Spitzenpolitiker wissen zwischen beidem nicht zu unterscheiden. Es ist aber ganz einfach. Die Zukunft kommt ganz von allein und schneller als man denkt. Der Fortschritt dagegen ist bekanntlich eine Schnecke, (als die ihn SPD-Wahlkämpfer Günter Grass beschrieb), selbst wenn sie mit Vornamen Andrea heißt.

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