Tichys Einblick
Lockdown-Folgen nicht im Blick

Verharmloser und Leugner sind überall

Wer Andersdenkende als Leugner diskriminiert, sie am liebsten mit Verschwörungstheoretikern in einen Topf wirft und für extrem hält, ist selbst ein Leugner und Fälscher.

Ich bemühe mich stets auch um Skepsis gegenüber meiner eigenen Überzeugung. Deshalb nehme ich den Vorwurf ernst, das Virus zu verharmlosen, indem ich die Maßnahmen kritisiere. Es verharmlosen und leugnen allerdings auch die, die allein auf das Virus starren.
I.

Mag sein, dass Boris Palmer verharmlost, wenn er im Sterben alter, vorerkrankter Heiminsassen an Covid-19 nur eine leicht veränderte Normalität erkennen mag. Aber verharmlosen nicht vielmehr diejenigen, die das Leiden derjenigen gar nicht zur Kenntnis nehmen, die zwar nicht an Covid-19 erkrankt sind, und trotzdem wegen der Corona-Pandemie sterben? Eine Studie der AOK stellt fest, dass die Zahl derjenigen, die wegen Atemwegserkrankungen ärztliche Hilfe suchen, um 51 Prozent gesunken ist. Gemessen an den Vorjahrszahlen haben 41 Prozent der an Kreislaufstörungen, zwei Drittel der an Rückenschmerzen und siebenundfünfzig Prozent der an Verdauungsproblemen Laborierenden auf einen Arztbesuch verzichtet. Die Zahl der von Herzinfarkt und Schlaganfall betroffenen Patienten hat um dreißig Prozent abgenommen. Dank Corona sind Abertausende zwar nicht gesünder als früher, nur ihre Angst vor Arztbesuchen hat so massiv zugenommen, dass sie lieber krank bleiben. Wollen wir das verharmlosen? Der Marburger Bund der Krankenhausärzte schlägt Alarm. Siebenundfünfzig Prozent der Krankenhausärzte haben derzeit weniger Arbeit als im Vorjahr. Wer verharmlost da was?

II.

Verharmlost werden Ängste, die auf so schöne Namen wie Agoraphobie, Demophobie und Ochlophobie hören. Es sind Spielarten der Angst vor Menschenmassen, und bedürfen therapeutischer Hilfe. Solche sozialen Ängste werden derzeit erfolgreich geschürt. Der Phobiker gilt als vorbildlich. Der Nichtängstliche als Gefährder. Verkehrte Welt. Ist die übertriebene Angst vor dem Virus etwa keine Phobie?

III.

Wer verharmlost was? Die meisten Medien verharmlosen die willkürlichen Auswüchse des Lockdown. Sie verharmlosen auch die langfristigen Folgen wie das Loch in den öffentlichen Kassen von geschätzt einhundert Milliarden Euro. Verharmlost wird der Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige, die drohende Vernichtung von einigen Millionen Existenzen. Ganz abgesehen von den dramatischen Folgen für Arme rund um den Globus. Die Mehrheit der Bevölkerung aber glaubt, die Verharmlosung des Virus sei die eigentliche Gefahr.

IV.

Vermutlich steht diese Verharmlosung dialektisch in Verbindung mit der Überschätzung staatlicher Macht. Mit ihr einher geht die Verharmlosung des Missbrauchs staatlicher Willkür. Man kommt leicht durcheinander: Wer verharmlost das Wirken unserer Bundeskanzlerin von Krise zu Krise mehr – ihrer Verehrer oder die zunehmend verzweifelten Zweifler?

V.

Die Steigerung der Verharmlosung ist die Leugnung. Um zu wissen, dass das Virus keine Grippe ist, brauche ich keine TV-Bilder aus überlasteten Krankenhäusern in Bergamo. Mir genügen die Bilder von Schaumschläger Söder am Flughafen beim Empfang einiger Kisten schadhafter chinesischer Gesichtsmasken. Ich leugne seine Kompetenz. Sonst leugne ich nichts. Ich habe auch Söders zynisches Diktum im Ohr, man könne doch sowieso in Bayern am schönsten Urlaub machen. Wollen wir leugnen, dass es so ähnlich in den Ohren derer geklungen haben muss, die in der DDR eingekesselt waren? Unter den erwarteten Auflagen wird Urlaub in diesem Jahr nirgends ein Vergnügen, sondern eine logistische Herausforderung. Wer wollte das leugnen?

VI.

Bei einer Umfrage des Uni-Klinikums Eppendorf und der Uni Tübingen unter Virologen, Immunologen und anderen medizinischen Experten haben mehr als 82 Prozent der Befragten sich über die restriktive Informationspolitik beklagt. Ein Drittel sieht die Meinungsfreiheit in der Wissenschaft bedroht. Wollen wir das leugnen und uns mit den Auffassungen der Drostens und Lauterbachs begnügen? Leugnen wir immer nur das, was uns nicht passt?

VII.

Wir kennen das aus der Klimadebatte. Die größten Leugner sind die, die ihre eigenen moralischen Vorstellungen als wissenschaftliche Wahrheit ausgeben. Wer Andersdenkende als Leugner diskriminiert, sie am liebsten mit Verschwörungstheoretikern in einen Topf wirft und für extrem hält, ist selbst ein Leugner und Fälscher.