Tichys Einblick
Europa fällt aus

Trump, die Welt und wir

Die USA und die Europäer sollten sich von China nicht gegeneinander ausspielen und nicht zulassen, dass das liberale westliche Gesellschaftsmodell weiter in Misskredit gerät, während die Sehnsucht der verunsicherten Massen nach autoritärer Führung wächst.

Die USA sind in einem bedauernswerten Zustand. Das kann uns nicht kalt lassen. Und deshalb ist es nicht damit getan, sich an Trump abzuarbeiten, wie es jetzt auch die Kanzlerin tut, die offen bekundet, ihm nicht zu vertrauen. Trump ist nicht die Ursache, er ist ein Symptom globaler Umbrüche.
I.

Drei schwere Krisen, die sich überlappen und einander verstärken: Corona, Konjunkturkrise, gewaltsame Unruhen. Alle drei Krisen hat Trump nicht verursacht. Aber darauf kommt es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht an. Entscheidend ist, wie der Präsident in diesen Krisen handelt. Der Twitterpräsident spitzt zu, lenkt den Zorn auf sich, und seine Politik verfehlt die Komplexität der Dinge. Aber genauso sträflich handeln die Vereinfacher der Gegenseite. Trump ist nicht der Nabel Amerikas. Er ist zwar ein Problem. Doch ohne Trump gäbe es eben nur ein einziges Problem weniger.

II.

Die Gewaltaffinität der Polizei in den USA ist nichts Neues und nicht Trumps Verschulden. Ebenso wenig wie der latente Rassismus. Aber ein Staatsoberhaupt, das ausschließlich auf Law and Order setzt, und dem jedes Gespür für die emotionalen Bedürfnisse abgeht, hat seinen Auftrag nicht verstanden. Zu beobachten ist der klassische Fall einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Sie wird definiert als Mangel an Empathie und ein übersteigertes Gefühl für die eigene Grandiosität. Typisch ist, dass die davon Betroffenen anderen imponieren und von anderen bewundert werden wollen, aber selbst kaum Einfühlungsvermögen und menschliche Wärme zeigen. Bei dem Präsidenten eines Landes ist das auch in normalen Zeiten nicht schön, in Krisen ist es verheerend.

III.

Von der Coronapandemie sind die USA härter getroffen als die meisten anderen Länder der Welt. Die Gründe dafür – vom Gesundheitszustand der Ärmeren bis zum Zustand des Gesundheitssystems – sind ebenfalls nicht Trump anzulasten. Er aber verzapft fortwährend medizinischen Unsinn, ist gleichzeitig für und gegen Lockerungen, ist ein orientierungsloser Maulheld. In einem Punkt aber hat Trump recht. Das Virus stammt aus China. Und die von China dominierte WHO hat als Frühwarnsystem versagt. Doch weder der Handelskrieg mit China noch der Geldentzug für die WHO verbessern die Situation. Die coronabedingte Isolation, Frustration, die Existenzängste und und die Staatsverschuldung werden die sozialen Spannungen erhöhen, die Spaltung vertiefen und das Land nicht zur Ruhe kommen lassen. Trump betreibt nicht Krisenbewältigung sondern Wahlkampf. Deshalb attackiert er, statt auf Ausgleich zu setzen. Er will nicht Wähler gewinnen, sondern Anhänger mobilisieren. Herausforderer Biden ist ein schwacher Kandidat, der ermattet scheint von fünfzig Jahren Berufspolitik. Dessen Defizite machen Trump nicht stärker.

IV.

Aber nur weil der deutsche Mainstreamjournalismus reflexartig auf Trump eindrischt, ist nicht alles falsch, was er tut und lässt. Wie kurzsichtig ist es, Weltpolitik zu verengen auf den schwierigen Umgang mit dem Mann im Weißen Haus. Trump hat weder das Zeug zum Diktator, noch lässt sich die Demokratie der USA in vier Jahren destabilisieren, auch nicht in acht. Aber der Niedergang der Weltmacht kann sich unter diesem Präsidenten durchaus beschleunigen.

V.

Auf die langfristige Schwächeperiode der amerikanischen Politik wird man sich in Berlin, Brüssel, Paris und London einstellen müssen. Es ist alles andere als antiamerikanisch, wenn Deutschland und Europa die Selbstbeschäftigung der USA mit sich selbst beklagen. Die Welt bedürfte in dem von Corona beschleunigten Umbruch dringend der stabilisierenden Führungsmacht USA. Die Folgen des Virus werden die gesamte Weltwirtschaft noch lange belasten und die Probleme verschärfen. Die Europäer sind nicht in der Lage, dem globalen Umbruch zu begegnen. Trump ist nicht der Auslöser solch gewaltiger Machtverschiebungen. Er ist eher ihr Symptom.

VI.

Die neue Großmacht China stellt eine weitaus größere Gefahr dar als Mister Trump. Gemeinsam sollte das, was vom Westen als Wertegemeinschaft und politisches Bündnis noch übrig ist, sich einer chinesischen Weltordnung entgegenstellen. Die USA und die Europäer sollten sich von China nicht gegeneinander ausspielen und nicht zulassen, dass das liberale westliche Gesellschaftsmodell weiter in Misskredit gerät, während die Sehnsucht der verunsicherten Massen nach autoritärer Führung wächst. Der Westen ist für unsere Vorstellung von Menschenwürde und Freiheit alternativlos. Aber Trump zu prügeln ist einfacher, als Russland und China rote Linien aufzuzeigen.