Tichys Einblick
Ratgeber in der Krise ist die Skepsis

Konflikt, Krise, Katastrophe

Endlich sind wir da, wohin uns die marktbeherrschende Untergangsprophetie haben will: in der Krise als Normalzustand, im Dauermodus der kollektiven Depression. Realistisch betrachtet, taumelt die Menschheit seit Anbeginn von einer Krise zur nächsten.

Die Tage werden endlich wieder heller, doch Düsternis senkt sich über das Land. Kriegsangst, Geldentwertung, Rekordverschuldung, die deutsche Endlospandemie, Flüchtlingsströme, drohende Hungersnöte, Mängel und Engpässe, wohin man schaut, und das Klima, das Klima, damit wir es ja nicht vergessen, ist auch am Arsch. Endlich sind wir da, wohin uns die marktbeherrschende Untergangsprophetie haben will: in der Krise als Normalzustand, im Dauermodus der kollektiven Depression. So viel vorweg.

I.

Realistisch betrachtet, taumelt die Menschheit seit Anbeginn von einer Krise zur nächsten. Krisen sind Zuspitzungen latenter Konflikte. Werden sie nicht gelöst, enden sie in Katastrophen. In der Krise gilt es zu entscheiden, was lange nicht entschieden, sondern nur verschleppt worden ist. Eine Krise kann sich zum Guten wie zum Schlechten wenden. Nur bleiben, wie es ist, kann sie nicht. Die Verteidiger des Status quo haben es jetzt schwer. Die Krise ist der Motor jeglichen Wandels. Ob zum Besseren oder Schlechteren, ist nicht gesagt. Fest steht nur: Es muss entschieden werden, ob und wie wir den Wandel beeinflussen wollen oder uns ihm einfach unterwerfen.

II.

Konkurrierende Krisen zwingen zur Priorisierung. Welche Krise muss zuerst gelöst werden, auch für den Preis, andere Krisen zu vernachlässigen. So einen Fall haben wir jetzt. Welches Leiden behandeln wir vordringlich – welche Nebenwirkungen der Behandlung nehmen wir in Kauf. Sind wir im Zweifel lieber seh- oder gehbehindert? Was immer wir gegen eine Krise tun, es wird andere Krisen verschärfen. Mehr Verteidigung – weniger Geld für Infrastruktur, Bildung, Steuerentlastung. Corona-Maßnahmen ohne Ende – weitere Schwächung der Wirtschaftskraft. Mehr für’s Klima – drohende Hungersnot. Und so weiter. Die Notwendigkeit der Priorisierung führt selbst zu Konflikten. Die Wahl zwischen Pest und Cholera überfordert die Entscheider.

III.

Konkret: Niemand hätte es für möglich gehalten, dass ein grüner Ideologe im Amt des Wirtschaftsministers in ein Land des Bösen reist und dem Herrscher untertänigst fossile Brennstoffe abkauft? Nicht einmal unter Androhung von Gewalt hätte man Habeck noch vor vier Wochen dazu bewegen können, den Emir von Katar zu hofieren. Es wird in Kürze auch zu bestaunen sein, wie im verbohrtesten Deutschland sogar die Kernenergie wiederbelebt wird – auch wenn noch alle das Gegenteil behaupten. Und es ist immer noch nicht zu fassen, wie Pazifisten unter der Fahne der Moral zu den Waffen drängen. Der vernünftige Putin – der irre Putin: Es ist aber derselbe Putin, weder irr noch vernünftig. Es stellt sich bloß heraus: Wer ihn gestern verkannte, kennt ihn auch heute nicht. Grüne Aktivisten haben sich gestern noch von ihm bezahlen lassen – und sich angeblich nichts Böses dabei gedacht. Die guten Deutschen haben ihre Willkommenskultur gepflegt, obwohl doch klar war, dass Putin auch in Syrien eine Fluchtwelle erzeugte, um mit deren Hilfe den Westen zu destabilisieren. Das wiederholt sich jetzt. Wer gestern keinen Kompass besaß, besitzt auch heute keinen. Jeder Krise geht eine Krise des Denkens voraus.

IV.

Von jeder Bedrohung profitiert in demokratischen Staaten die Regierung. Das liegt an der Angst des Volkes, das sich an die Rockzipfel der Macht klammert. Die Leute wollen nicht auch noch eine Regierungskrise obendrauf. Man kann dem Kanzler vorwerfen, dass er lieber mit Putin telefoniert, als maulfaul den Bürgern seine Absichten zu erklären. Aber das wird ihm vorerst nicht schaden. Die Leute haben trotzdem das Gefühl, er verstünde etwas von seinem Geschäft. Und sie lassen sich gern verkohlen. Dreihundert Euro Energiepauschale für jeden! Nur im Kleingedruckten steht, dass sie versteuert werden muss. Es muss sie ja auch jemand bezahlen. Krisen sind niemals Zeiten für Visionen. Insofern haben sie manchmal auch ihr Gutes. Durchwurschteln lautet die Devise. Zudem steckt die Opposition in einer absurden Situation. Sie hat sechzehn Jahre lang das Land kraftlos in sämtliche Krisen geführt. Nun salbt sie Wunden, deren Ursache sie leugnet.

V.

Aber noch sind nicht alle Illusionen erledigt. Durch die Debatte geistert der Irrglaube, die geplante Energiewende lasse sich mit der Unabhängigkeit von russischem Gas und Öl verknüpfen. Außerdem ist zu hoffen, dass die Regierung dem moralischen Druck aus der Ukraine und der wachsenden Frieren-für-den-Frieden-Gemeinde nicht nachgibt. Der CDU ist in dieser Hinsicht weniger zu trauen. Der Medienheld Selenskyj tourt virtuell durch die Parlamente Europas und versucht verzweifelt, wenn auch aus seiner Sicht verständlich, ganz Europa mit in den Krieg zu ziehen – direkt mittels Luftkrieg, indirekt mittels EU-Mitgliedschaft. Beides wäre für den Westen Europas verheerend. Helden haben Misstrauen verdient. Sie verstehen nämlich nichts vom Frieden.

VI.

Der einzige unbestechliche Ratgeber in der Krise ist die Skepsis.

Anzeige