Tichys Einblick
Vorwärts Genossen, es geht zurück

Keine neue Zeit. Anmerkungen zum SPD-Parteitag 

Die Partei schummelt sich um die Entscheidung herum, die alle erwarten. Ein Weiterso will sie nicht, einen Kurswechsel fürchtet sie.

Die Gewählten reden schön. Und Klatschen können Sozis auch. Statt einer Vorsitzenden haben sie nun zwei und statt drei Stellvertreter fünf. Bloß kein Kampf! Die Partei schummelt sich um die Entscheidung herum, die alle erwarten. Ein Weiterso will sie nicht, einen Kurswechsel fürchtet sie. Im Grunde weiß die SPD nicht, ob der Selbstmord durch Ersticken dem Verbluten vorzuziehen sei. Streiten ist vorübergehend out. Man sieht im gleichzeitigen Ersticken und Verbluten die notwendige Verjüngungskur. 

I.

Aber nein, die Doppelspitze formuliert keineswegs softer als zuvor. Sie verwechselt nur eine verstaubte linke Utopie mit der Renaissance ihrer ehemaligen Volkspartei. In Wahrheit wickelt die SPD die sozialdemokratische Politik der vergangenen Jahrzehnte ab. 

II.

Wenn das Land in dem miserablen Zustand ist, in dem es die neue SPD-Spitze sieht, müsste sie sofort dafür sorgen, dass Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin ist. Blöderweise weiß auch die SPD, dass dieses Land von den Unionsparteien nur ein bisschen mitregiert wird, hauptsächlich aber von ihr selbst. Mehr SPD wird es auch nach Merkel nicht geben. Sie bestimmt 80 Prozent der Politik mit nicht viel mehr als 8 Prozent Rückhalt bei den Wählern.

III.

Richtig. Das Land ist in einem miserablen Zustand. Es ist nur ganz anders miserabel, als die SPD behauptet. Was die SPD Fortschritt und soziale Marktwirtschaft nennt, ist das schiere Gegenteil. Nähme man die Reden der Doppelspitze beim Wort, dürfte man sie nicht anders verstehen denn als Kündigung der Koalition. 

IV.

Die neue alte Frau verkauft sich als Vertreterin der kleinen Leute. Der neue alte Mann spielt den Klassenkämpfer. Er versucht, Menschen gegen Märkte auszuspielen, Millionen gegen Millionäre. Altbackene linke Rhetorik, nichts sonst. Neuanfang mit Rezepten von vorgestern. Mehr Steuern, mehr Schulden. Nur eines kommt dazu: das Klimaretten. Darunter versteht die linke SPD in Wahrheit ein Instrument zur Umverteilung. Und zu einem Angriff auf die Freiheit zugunsten des Staats. Der soll alles richten. Der Bürger zahlen und kuschen. 

V.

In beiden Bewerbungsreden fiel übrigens nicht einmal das Wort Migration. Die verloren gegangenen SPD-Stammwähler erwarten aber Antworten, die die SPD nicht gibt.

VI.

Wer treibt nun wen vor sich her? Der nassforsche Juso-Jüngling die neue Doppelspitze? Die neue Doppelspitze die alte Bundestagsfraktion? Die SPD die Unionsparteien? Ein paar zehntausend SPD-Mitglieder die ganze Republik? Niemand treibt. Die SPD ist die Getriebene. Die Aufgeriebene. Es ist für diese Partei kaum noch Platz auf der linken Hälfte des Spielfelds, auf dem sich alles zusammendrängt. Erst haben sich die Grünen abgespalten, dann die sozialistischen Linken im Westen und Osten. Dann hat Merkel mit ihrem Linkskurs die SPD in die Verzweiflung getrieben – weiter nach links. 

VII.

Die Notlage der SPD kann leider nicht kalt lassen. Ist sie doch das Symptom einer größeren, nationalen Notlage. Dem Land kommt die bürgerliche Mitte abhanden. Es mag sie noch geben, nur nicht in der Politik. Die bürgerliche Mitte fühlt sich nicht vertreten, sie resigniert oder verkriecht sich im Zorn. Auf die Straße gehen andere. Die Klimahysterie verschafft sich Gehör, deren Nutznießerin Wahrheit nicht gegen Kohlendioxyd kämpfen sondern gegen das Wirtschaftssystem, das Freiheit und Wohlstand garantiert hat.

VIII.

Die neue Doppelspitze schwadroniert von dreißig Prozent. Man wird doch noch träumen dürfen. Von einem besseren Land. Von der SPD als „Betriebsrat der digitalen Gesellschaft“. Wie finster muss der Wald sein, in den sich die SPD verirrt hat, dass so schrill gepfiffen werden muss? „Wer Angst hat vor Wahlen, kann keine gewinnen“: Richtig, Frau Vorsitzende. Dann tun sie ihre verdammte Pflicht und sorgen dafür, dass gewählt wird. So schnell wie möglich. Sie tun damit dem ganzen Land einen Gefallen. Anders werden wir die nicht los, von denen Sie sich in den Wald haben führen lassen.

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