Tichys Einblick
Auch der Westen löst sich auf

I am not convinced – Ein Joschka-Fischer-Gedächtnis-Text aus gegebenem Anlass

Der Abzug aus Afghanistan bedeutet die endgültige Niederlage gegen den militanten Islam. Dieser Konflikt war nicht zu gewinnen. Das hätte der Westen schon von der Sowjetunion lernen können. Aber er wird wohl nie lernen, die eigenen Vorstellungen von Frieden und Freiheit nicht für das Maß aller Dinge zu halten.

„Excuse me, I am not convinced“: der zweitberühmteste Satz des Politikers Joseph Fischer. (Der berühmteste beginnt ganz ähnlich: „Verzeihung…“) 2003 rief er ihn im Bayerischen Hof dem amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu. Das deutsche Nein zum Einmarsch in den Irak war nicht nur ein neuer Ton zwischen den Verbündeten, er rettete auch die rot-grüne Koalition, denn die meisten Deutschen teilten es. Der aussichtslose und sinnlose Kampf gegen die „Achse des Bösen“ spaltete damals schon den Westen, noch ganz ohne Trump. Den Krieg verhindern konnten Schröder und Fischer natürlich nicht. Aber die Geschichte gibt ihnen recht. Die militärische Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein war Gift und half nur dem islamischen Terror auf die Beine; der Nahe und Mittlere Osten kommen seit dem nicht mehr zur Ruhe. Zur Stunde sitzen sie in München unter strahlendem Vorfrühlingshimmel wieder zusammen, Staats- und Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsminister, hohe Militärs und Sicherheitsexperten aus der ganzen Welt, treffen sich zu kleinen vertraulichen Runden und großen Fensterreden im Ballsaal. And nobody is convinced, dass die Welt dreißig Jahre nach dem Mauerfall und sechzehn Jahre nach Fischers legendärem Auftritt sicherer geworden sei.

I.

I am not convinced, dass Deutschland überhaupt noch verteidigungsfähig ist. Geschweige denn militärisch in der Lage, seinen Bündnisverpflichtungen nachzukommen. Die Bundeswehr kaputtgespart. Schuld ist weniger die Abschaffung der Wehrpflicht als das Missmanagement. Hier stinkt der Hai vom Kopf bis zu den Flossen. Gute Gewehre, die angeblich nicht treffen, werden ausgemustert. Die Flotte, die Luftwaffe aber sind ein einziger Reparaturbetrieb, ein einziger großer Skandal von der Gorch Fock bis zur Verschiebung der Nachfolge des Tornado-Kampfflugzeugs. Zwei frühere Luftwaffeninspekteure schlagen gerade Alarm. Damit schwäche Deutschland die NATO „in ihrem Kern – der glaubwürdigen Abschreckung und damit in ihrer Fähigkeit zur Bewahrung des Friedens in Europa.“

II.

I am not convinced, dass die nach dem Brexit einzige europäische Nuklearmacht Frankreich ihren Atomschirm der Gemeinschaft zur Verfügung stellt. Macron gibt den kleinen De Gaulle und kommt auch nicht nach München. Dabei wäre eine gemeinsame Sicherheitsstrategie die wichtigste EU-Reform. Auf diesem Feld können Nationalstaaten allein nichts ausrichten. Scheitert die EU-Militär-Union, scheitert EU-Europa.

III.

I am not convinced, dass Big Brother USA Deutschland noch zuverlässig schützt. Eine Illusion wäre es zu glauben, nach Trump werde wieder alles sein wie zuvor.

IV.

I am not convinced, dass Trump dem Weltfrieden dient, wenn er lieber mit Diktatoren dealt als mit verbündeten Demokratien solidarische Kompromisse schließt. Die neue Weltmacht China und Russland nutzen die Zerstrittenheit des Westens und nutzen dessen Schwäche.

V.

Wer heute wieder über einen „Kalten Krieg“ spricht, hat vergessen, was der vergangene „Kalte Krieg“ gewesen ist. Zwar eine Spirale der Bedrohung bis hin zur Ausrottung der menschlichen Zivilisation, aber doch auf dem Fundament gemeinsamer Ratio. Die Abschreckung hat funktioniert, weil West wie Ost die Vernichtung vermeiden wollten. Die Glaubenskriege der Gegenwart, an dem sich die Atommächte indirekt beteiligen, funktionieren anders. I am not convinced, dass die gegenwärtigen Konflikte noch immer durch Abschreckung beherrschbar sind. Abgesehen davon entwickelt Russland neue, superschnelle Raketen, eine neue Spirale der Aufrüstung steht bevor.

VI.

Der Abzug aus Afghanistan bedeutet die endgültige Niederlage gegen den militanten Islam. Dieser Konflikt war nicht zu gewinnen. Das hätte der Westen schon von der Sowjetunion lernen können. I am not convinced, dass der Westen jemals lernen wird, die eigenen Vorstellungen von Frieden und Freiheit nicht für das Maß aller Dinge zu halten.

VII.

So fehlt es in München an einer Gesamtschau dessen, was die gegenwärtigen Konflikte miteinander verbindet und deshalb so riskant macht. I am convinced, dass das fundamentale Problem in der Auflösung der alten Ordnung besteht. Auch der Westen löst sich gerade auf.