Tichys Einblick
Gegen Zentralismus in Berlin und Brüssel

Ein Funken Hoffnung

Europapolitisch ist Merkel genau daran gescheitert, dass sie ohne jede visionäre Leidenschaft die EU nur benutzt, aber nicht gestaltet hat. Es ist ihr Migrationsnationalismus, dem zum Beispiel die Briten das Brexit-Chaos verdanken.

Warum eine Europäische Armee wichtiger ist als eine europäische Arbeitslosenversicherung.

I.

Für Konrad Adenauer ist es „ein schwarzer Tag“. Die französische Nationalversammlung hat am 30. August 1954 die Gründung der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ abgelehnt. Die Gaullisten sind noch nicht dazu bereit. Statt dessen wird die Bundeswehr in die NATO integriert (Pariser Verträge Mai 1955) Die deutschen Nationalisten sind schon damals gegen jedes Bündnis im Westen, zementiert es doch die Spaltung Deutschlands. Die westdeutschen Nationalisten stehen damals aber nicht rechts, sondern links, geben sich als Pazifisten. Darunter ist der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann und auf publizistischer Seite ein gewisser Rudolf Augstein. Ersatzweise entsteht die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als Vorläufer der EU. Mit schweren Geburtsfehlern: Planwirtschaft, Bürokratismus. Das große Friedens- und Wohlstandsprojekt Europa wird verkehrt herum gesattelt.

II.

Es gibt in der Geschichte gelegentlich Fehler, aus denen man nicht nur lernen kann, sondern die auch korrigierbar sind. Die Rettung der EU kann nur gelingen, wenn der Brüsseler Zentralismus abgebaut wird. Es geht um Entflechtung und Subsidiarität. Genau so wichtig ist es aber, dass die EU außen- und sicherheitspolitisch enger miteinander verbunden wird. Bei allen Schwierigkeiten im Detail: eine gemeinsame Armee ist und bleibt ebenso ein sinnvolles Ziel wie die Forderung nach einer Vertiefung der Währungsunion der falsche Weg bleibt. Italiens Schuldenkrise wird es erweisen. Auch ein Satz wie „Erst gute Sozialpolitik macht aus der EU eine Heimat“ (Prantl, SZ), ist in doppelter Hinsicht Unsinn. Als Heimat ist die EU zu groß und vielgestaltig. Heimat kann nur die Nähe einer Region bieten. Selbst Deutschland ist nicht Heimat. Ich werde mich z.B. in Berlin immer als Fremdling empfinden. Und zweitens wird gerade eine europäisierte Sozialpolitik in Deutschland als Wohlstandsgefahr begriffen. Sie hilft den EU-Gegnern, ist Wasser auf den Mühlen der Nationalisten. Aber das darf und kann doch nicht bedeuten, dass jede Form der europäischen Integration abzulehnen ist.

III.

Nur weil Macron den alten Vorschlag einer „wahren europäischen Armee“ neu ins Spiel bringt, ist er nicht schlecht. Nur weil Trump dagegen polemisiert, ist das Ziel nicht unvernünftig. Nur weil Merkel in vagen Formulierungen (siehe den Beitrag von Fritz Goergen) irgendwie zustimmt, muss man nicht gleich reflexartig dagegen sein. Nur weil der Teufel im Detail steckt, ist das Ganze noch kein Teufelswerk. Nur weil sich jetzt selbst die Mainstreampresse in Skepsis suhlt (am Ende der Merkel-Ära ist es plötzlich möglich), ist die Logik des europäischen Einigungsprozesses nicht falsch: Alles, was Europa gemeinsam besser kann als die einzelne Nationalstaaten, sollte auch gemeinsam weiter entwickelt werden. Mit Abwickeln allein ist die EU nicht zu sanieren. Europa, es ist oft genug beklagt und gefordert worden, braucht ein frisches Narrativ. Also ein einigendes Ziel. Macron spricht von „Vision“. Leute, die keine Visionen haben müssen zwar nicht zum Arzt, gehören aber auch nicht in die Politik. Europapolitisch ist Merkel genau daran gescheitert, dass sie ohne jede visionäre Leidenschaft die EU nur benutzt, aber nicht gestaltet hat. Es ist ihr Migrationsnationalismus, dem zum Beispiel die Briten das Brexit-Chaos verdanken. Das alte Friedensnarrativ bekäme durch die Debatte um die gemeinsame Armee wieder Aufwind.

IV.

Die Wahlen zum EU-Parlament dürfen nicht die gewinnen, die immer nur Nein zu allem sagen, was Europa zukunftsfähig macht. Also brauchen die Freunde der EU Ziele, über deren Verwirklichung sich trefflich streiten lässt. Das Heil der Deutschen liegt nicht allein in Berlin, dort lag es nie. (Aber eine Menge Unheil.) Allein in Brüssel liegt es natürlich auch nicht. Die notwendige Stärkung der Regionen ist eher von Brüssel aus zu erwarten (wo sich die europäischen Regionen zusammenschließen können gegen den Zentralismus ihrer Nationalstaaten). Wer Zentralismus beklagt, darf doch nicht den Berliner Zentralismus übersehen. Der wird bei uns so gut wie überhaupt nicht diskutiert. Die Bundeswehr wurde nicht von Brüssel heruntergewirtschaftet, sondern von der Inkompetenz der Merkel-Administration und dem pazifistischen Desinteresse an Landesverteidigung. Eine Ausbalancierung der neudeutschen Mentalität durch Länder mit anderen militärischen Erfahrungen und Traditionen wie Frankreich (und Großbritannien, das bedauerlicherweise nicht mehr dazu gehört – aber vielleicht wieder mit von der Partie sein wird, wenn die europäischen Armee einmal einsatzfähig ist), würde die Verteidigungskräfte auch hierzulande stärken. Macrons Initiative und Merkels verklausuliertes „Nach mir die Sintflut“ versprechen nicht weitere schwarze Tage für Europa. Da ist ein Funken Hoffnung.


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