Tichys Einblick
Eine einzige Schande

Die olympische Idee und ihre Feinde

China macht sich die propagandistisch geschürte Angst zum Verbündeten. Das ist nicht zu ändern, das hat niemand anders erwartet. Der wahre Skandal ist die freiwillige Unterwerfung der Sportverbände und des Olympischen Komitees unter die Geisel der Pandemie – die in Wahrheit die Knute einer kommunistischen Diktatur ist.

Die Olympischen Winterspiele in China sind eine Schande. Eine Schande für den Sport, eine Schande für die offene Gesellschaft.

I.

Fast überall auf der Welt ist das Virus immer noch Anlass, in unverhältnismäßiger Weise das Leben zu reglementieren und die Freiheit zu beschneiden. Der Missbrauch des Virus bei den Spielen in Peking setzt Corona jedoch die Krone auf. Das Virus dient dort als Mittel zum Zweck der Unterdrückung. Sportler bangen im Reich der Mitte nicht um ihre Gesundheit, sondern fürchten den Ausschluss durch Testung. Es ist die perverse Herrschaft künstlich erzeugter Angst. Aktive, Betreuer und Berichterstatter werden unabhängig vom Testergebnis systematisch isoliert in Sportstätten, Unterkünften, Transportmitteln. Im Grunde finden die Spiele nicht in einem realen Land mit realen Menschen statt, sondern in einem Niemandsland, bevölkert nur von Ordnungskräften und ihren „Schutzbefohlenen“. Ausgerechnet die Diktatur, die das Virus, ob fahrlässig oder zufällig oder absichtlich in die Welt befördert hat, benutzt den Erreger als Waffe gegen den Geist der olympischen Idee. Statt Begegnung Einhegung, statt Fest Festung.

China macht sich die propagandistisch geschürte Angst zum Verbündeten. Das ist nicht zu ändern, und das hat niemand anders erwartet. Der wahre Skandal ist deshalb die freiwillige Unterwerfung der Sportverbände und des Olympischen Komitees unter die Geisel der Pandemie – die in Wahrheit die Knute einer kommunistischen Diktatur ist. Das ist mit nichts zu rechtfertigen, schon gar nicht mit dem Milliardengeschäft des Profisports. Entweder glauben die Teilnehmer an die Gefahr durch Covid und nehmen sie ernst. Dann hätten die Spiele verschoben oder abgesagt werden müssen. Nun aber folgen sie einem Hygieneregiment, das ganz anderen Zwecken dient.

II.

Der olympische Gedanke kündet vom friedlichen Wettstreit der Jugend der Welt. Die schöne Idee ist schon lange eine romantische Illusion. Aber heute dient sie nur noch dem Gespött. Die olympische Familie unter Führung des deutschen Funktionärs Bach macht sich zum Erfüllungsgehilfen des Tyrannen Xi, der nicht weniger anstrebt als Chinas Dominanz. Man kann Xi nicht vorwerfen, dass er die Gelegenheit nutzt. Er täuscht die Welt ja nicht über seine wahren Absichten hinweg. Er hat den ökonomischen und ideologischen Krieg der Systeme erklärt, er spielt mit offenen Karten. Er hält sein System der Unterdrückung für überlegen. Die Hoffnung auf Wandel durch Annäherung an den Kapitalismus hat sich als Trugschluss erwiesen. Der chinesische Weg spricht entschieden gegen die Utopie hemmungsloser Globalisierung.

III.

Mittlerweile ist die Abhängigkeit des Westens von China so groß, dass die Diktatur die Spielregeln setzt. China muss keinen militärischen Krieg führen. Es dehnt mit anderen Mitteln seine Einflusssphäre aus. Offenbar ist die Demokratie der Wirtschaftskraft dieses autoritären Funktionärsstaats nicht gewachsen. Der Ansehensverlust der fast überall schlecht geführten offenen Gesellschaften ist nicht zu übersehen. Mit Appeasement gegenüber China schadet sich die (noch) freie Welt zusätzlich selbst. Insofern weisen die Olympischen Spiele dystopisch in die Zukunft.

IV.

Fällt denn niemandem auf, dass zwischen der Funktionärsclique der „Volksrepublik“ und der Funktionärsclique der Olympischen Spiele, was ihr Gebaren angeht, nicht gerade ein gewaltiger Unterschied besteht. Opposition gibt es weder hier noch dort. Personenkult dort wie hier. Bach gibt sich neutral, was nur heißt, ihm ist die Freiheit egal. Er wird von Xi wie ein Staatschef empfangen. Es ist gar von Freundschaft die Rede. Zumindest handelt es sich um eine seelentiefe Interessengemeinschaft.

V.

Der Niedergang der westlichen Führungsmacht USA erleichtert Chinas Vormarsch. Bitter notwendig wäre es, die Allianz der offenen Gesellschaften zu beleben. Geschlossenheit und Stärke sind aber ein Widerspruch zum Prinzip der Offenheit. Deshalb sind offene Gesellschaften verwundbar. Sie lassen sich eben nicht autoritär führen. Ihr größter Vorteil erscheint vordergründig als Nachteil im Kampf der Systeme. Die Freiheit des Individuums muss geschützt werden. Das ist die wichtigste Aufgabe demokratischer Politik. Gegenwärtig geschieht allerdings das Gegenteil. Es verfestigt sich der Eindruck, zwischen China und der demokratischen Welt hat der Wandel durch Annäherung die Richtung geändert. China gibt sie vor. Der Weg von der Erziehung der Bürger bis zur totalen Überwachung ist kürzer als man glaubt. Und das Akzeptieren der chinesischen Olympiaregeln ist ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. China macht Schule. Womit wir wieder beim Virus wären.