Tichys Einblick
Nebelkerze gezündet

Die Ampel einigt sich darauf, einig zu sein

Die Ampel kreißte wochenlang um ihr eigenes Milliardenloch und gebar eine Maus namens Einigung. Sie hält an ihren Zielen fest, auch an den falschen, bricht Versprechen und kassiert ab, statt umzusteuern und zu sparen.

Um die Bürger dieses Landes für dumm zu verkaufen, genügte der Regierung in dieser Woche ein einziges Wort. Es lautet Einigung. Als ob sich die ganze Republik nach nichts anderem gesehnt hätte. Die Ampel kreißte wochenlang um ihr eigenes Milliardenloch und gebar eine Maus namens Einigung. Sie hält an ihren Zielen fest, auch an den falschen, bricht Versprechen und kassiert ab, statt umzusteuern und zu sparen.

I.

Einigung ist im Deutschen ein heiliges Wort, fast gleichbedeutend mit Erlösung. Erlösung heißt im Deutschen stets Ergebung. Also Ruhe geben (erste Bürgerpflicht). Im Englischen ist man „brave“, im Deutschen lieber nur „brav“. Der folgsame Staatsbürger schweigt und zahlt. Demnächst die erhöhte Kohlendioxid-Steuer, höhere Sprit- und Energiepreise. Kann man den Herrn Bundesfinanzminister Lindner noch einen Liberalen nennen oder nur noch einen Lügner, der seinen heiligen Schwur gebrochen hat, Steuererhöhungen zu verhindern? Um Gottes willen, hat er sich doch nur nach eigener Beschönigung als „einigungsfähig“ und somit auch noch als „handlungsfähig“ erwiesen. Hierzulande wird Einigkeit gern mit Richtigkeit verwechselt. Das nun ausgehandelte Schließen der Haushaltslücke macht die Politik der Ampel noch unbekömmlicher.

II.

Das Wort Einigung ist verwandt mit Einheit und Einigkeit. Damit beginnt sogar die Nationalhymne. Immer, wenn es nicht läuft, wie es soll, wird in Deutschland Einheit angemahnt, im Gleichschritt marsch. Ein Volk von so unterschiedlicher Natur wie das Deutsche sollte besser den Wert der Vielfalt über alles stellen. Aber die ist schon im Verschliss, seit sich die deutschen Demokraten 1848 die Freiheit gegen die Einheit unter preußischer Dominanz abkaufen ließen. Einheit, Einheit über alles! Einigkeit gilt in diesem Land als Wert an sich. Und der Wille zu unbedingter Einheit ließ mehrfach zu, dass eine totalitäre Ideologie die Macht ergriff. Das war so im Reich einer einzigen Partei, später in der Republik der Einheitspartei. Als Kohl die DDR übernahm, war ihm (abgesehen davon, als „Kanzler der Einheit“ verehrt werden zu werden), nichts wichtiger als die „Vollendung der Einheit“. Wenn aber etwas gescheitert ist, dann genau dies. Die Einheit ist in in diesem Sinne gottlob unvollendbar. Innere Einheit mag auf dem Zentralfriedhof von Chicago herrschen, aber niemals in einer funktionierenden Demokratie. Die Ostdeutschen etwa nehmen sich heraus, manches anders zu sehen und sogar anders zu wählen. Beim Verschleiern des politischen Versagens, beim Verschleudern des Wohlstands, beim Verweigern vernünftiger Wirtschafts- und Sozialpolitik handelt es sich wohl auch wieder nur um die Herstellung einer „inneren Einheit“.

III.

Es kommt doch wohl darauf an, worauf man sich einigt. Und sollte man auch nur darin einig sein, dass man sich nicht einigen kann. Aber nicht einmal dazu hat es gereicht. Die Ampel zündete nur eine Nebelkerze. Der Nebel im Haushaltsloch wird zum weißen Rauch erklärt, der aufsteigt, um zu verkünden, habemus regnum, wir haben (noch immer) eine Regierung. Soll heißen: Lieber eine schlechte Regierung als keine. Doch ist der Niedergang nicht damit beendet, dass die flackernden Leuchten der Ampel weiter irrlichtern dürfen. Die Ampel trägt nun ihre Einigung herum wie eine Monstranz und erwartet, dass die Leute vor Bewunderung in die Knie sinken und eine Dankeshymne anstimmen. Es ist so komisch wie katastrophal, dass deutsche Politik so funktioniert.

IV.

Auch wird Einigkeit in der deutschen Politik gern für einen Nachweis von Führungskraft gehalten. Das ist besonders bizarr. Einigkeit ist gut, Streit ist schlecht: So denken die meisten Deutschen und beweisen damit, dass sie vom Wesen der Demokratie ganz wenig verstanden haben. Man muss es ihnen immer wieder sagen: Demokratie funktioniert nicht nach den Regeln eines evangelischen Kirchentags. Demokratie ist das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Interessen mit friedlichen Mitteln. Es gibt weder einen einheitlichen Willen noch einen natürlichen (in früheren Zeiten sagte man dazu: alternativlosen) Konsens. Demokratie bedeutet Streit, ihre Methode ist der Diskurs. Doch die Auseinandersetzung hat in Deutschland keinen hohen Wert, gilt gar als schädlich bei Wahlen. Das zeigt, dass demokratische Gesinnung in Deutschland kümmerlich ausgeprägt ist. Neuwahlen wären überfällig.

V.

Es gibt trotz Einigkeit in der Politik auch keine Erlösung. Aber vielleicht werden wir trotzdem bald von dieser Regierung erlöst. Von wem? Nur von uns selbst.