Tichys Einblick
Das I-Wort ist Illusion

Assimilation statt Integration

In den Niederlanden macht Mark Rutte entscheidende Punkte mit fernsehtauglichen Ausweisung einer türkischen Ministerin. Auf diesen Rettungsanker hofft nun auch Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland. Erdogan als Wahlhelfer in Europa.

Mache ich mich unpopulär, wenn ich finde, diese Woche hat uns doch zu einigen sehr schönen Erkenntnissen verholfen? Über Paralleluniversen und den gesunden Menschenverstand.

I.

Erste Erkenntnis: Action ist besser als Reden. Die fernsehtaugliche Ausweisung einer türkischen Ministerin aus Holland machte die Abschiebung holländischen Fleckviehs aus der Türkei spielend wett. Mark Rutte nutzte so seinen Amtsbonus gegen Geert Wilders, denn der durfte ja nur reden.

Im Saarland hofft nun die CDU-Ministerpräsidentin darauf, rechtzeitig einen illegal eingereisten hochrangigen Heil-Erdogan-Propagandisten in die Finger zu bekommen. Auch diese Aktion könnte die Wahl entscheiden. Erdogan mischt sich also in den deutschen Wahlkampf ebenso ein wie in den türkischen. Es ist das Einzige, was man ihm auf hiesigem Boden nicht verbieten kann.

Angela Merkel beißt sich noch immer lieber die Zunge ab, als sie Erdogan herauszustrecken. Aber wenn Schulz noch länger zulegt, bleibt auch ihr nichts anderes übrig, als Erdogan für ihren Wahlkampf einzuspannen. Da reicht es dann nicht mehr, eine Kaffeetante namens Altmaier in ein Talkshow-Kränzchen mit türkischen Politikern zu schicken.

II.

Zweite Erkenntnis: Vielleicht ist Erdogans Weltbild beschränkt. Vielleicht tut er nur so. Er weiß jedenfalls, wie Ziegen zu ficken sind, pardon, das Volk für dumm zu verkaufen ist. Zu beobachten ist nun, wie Nationalismus und Islamismus – die Säulen seiner Herrschaft – in Europa endlich mit Illusionen aufräumen. Auch wenn Frau Merkel allen Deutschtürken wahlweise das Bundesverdienstkreuz oder den Orden wider den tierischen Ernst umhängen würde, änderte dies nichts an der Tatsache, dass türkischer Nationalismus und Islamismus genau das verhindern, was wir mit hohem Ton noch immer Integration nennen.

Als Sofortmaßnahme schlage ich vor, das I-Wort zu streichen und durch das A-Wort zu ersetzen. Sprächen wir von der Notwendigkeit der Assimilation statt von Integration, wäre allen das Übermaß an Illusion klar.

Die Fähigkeit zur Assimilation ist ein Beweis dafür, dass der Mensch keine Fliege ist, sondern im Unterschied zur Fliege in der Lage, seine Identität zu wechseln, wenn er nur will. Abermillionen Einwanderer auf der Welt haben das geschafft. Leistungen, die in aller Regel auch mit individuellem Glück belohnt wurden. Ewig auf Identität zu pochen und auch noch stolz darauf zu sein, ist – pardon, liebe „Rechtspopulisten“ – kein Verdienst, sondern der Beleg dafür, das freiwillig gewählte Fremde nicht als das neue Eigene akzeptieren zu wollen. Dank der türkischen Pseudo-Einwanderung geht uns die Beschränktheit des Identitäts-Konzeptes auf. Mit anderen Worten: Türken könnten, wenn sie es denn wirklich wollten, Deutsche werden, aber nicht zugleich Erdogans Untertanen bleiben. Damit verbunden wäre automatisch eine säkulare Einstellung zur Religion. Leider gilt „Assimilation“ bei uns als nicht p.c. Der gesunde Menschenverstand traut sich noch immer nicht ganz um die Ecke. Die Türkei gehört aus vielen Gründen nicht zur Europäischen Gemeinschaft. Aber solange der gesunde Menschenverstand selbst nicht p.c. ist, dürfen solche Illusionen zu Realpolitik erklärt werden. Ehe Erdogan uns zum Narren gehalten hat, haben wir ihm ein I für ein A vorgemacht. Nicht bloß ihm, auch uns selbst.

III.

Dritte Erkenntnis: Regieren ist in der Demokratie etwas anderes als Herrschen. Schön, dass Millionen amerikanischer Wähler ihrem Mitbürger Trump diese Erkenntnis durch eine aufwendige Fortbildungsmaßnahme im Weißen Haus ermöglichen. Hallo Trumpfans! Die USA ist ein Rechtsstaat! Des Präsidenten Autokratenshow entpuppt sich zunehmend als Varieté-Nummer. Die Kaninchen, die er aus dem Zylinder zaubert, sind Luftballons.

Selbst mit dem Obamacare-Ersatz scheint es vorerst nichts zu werden. Alles furchtbar „kompliziert“, stöhnt der neue Weltenlenker. Das ist die dritte, die schönste Erkenntnis dieser Woche. Ein großer Vereinfacher erkennt die Grenzen der Einfachheit. Das Wünschen hat nicht geholfen. Das Wahlkampfgeschrei noch weniger. Auch wenn sich Trump damit zu retten versucht, dass er einfach den nächsten Wahlkampf schon jetzt beginnt. Seine Parallelwelt ist von der realen Welt aber doch nicht völlig abzukoppeln. Ich liebe Trumps Hasswort der Woche: „Kompliziert“. Ja die Welt ist kompliziert. So kompliziert wie seine Bewohner. Darum ist sie ja so schön.

IV.

Auf dieser Welt haben so viele Paralleluniversen Platz wie Gehirne. Die kurzfristige Absage von Merkels USA-Reise gab deshalb zu schönsten Hoffnungen Anlass. Aus solchem Stoff sind eigentlich Fake News gemacht. Tatsächlich aber gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die einfach nur sind, wie sie sind: Wetter zum Beispiel. Trotz zunehmend „gefühlter“ Temperaturen, ist Schnee echt. Ein Hoch auf das atlantische Tief!