Tichys Einblick
Ein Abgrund von Gratis-Mut:

Mit der Regenbogenfahne werden Ungarns Fußballer in Geiselhaft genommen

Bei den Regenbogen-Protesten gegen Ungarn im Zusammenhang mit dem EM-Länderspiel handelt es sich um Gratis-Mut. Die Aktion ist unfair und unsportlich den ungarischen Fußballern gegenüber. Nichts anderes sollte dabei auch beleuchtet werden als die Gratis-Mutler selbst.

IMAGO / Poolfoto

Die ungarische Fußball-Nationalmannschaft im Münchner Fußballstadion mit dem Kommerznamen Allianz Arena in Geiselhaft für den von der Classe Politique ungeliebten Ministerpräsidenten Ungarns, Viktor Orbán, nehmen zu wollen, ist selbstverständlich inakzeptabel, hochgradig unfair, unsportlich und simpel ohne jeden Anstand. Ich weiß, dass kaum noch jemand weiß, was Anstand ist. Wie auch? Wer keinen empfindet, kann auch keinen haben. Dass die, von denen ich hier rede, umgekehrt alle vom Stamme Mimimi sind und nicht die geringste Kritik vertragen, weiß, wer die Zeitläufte verfolgt.

Es kommt nicht mehr oft vor, dass ich einer Aussage in der FAZ zustimmen kann, aber dieser von Reinhard Müller ganz sicher:

» … das breite Eindreschen auf die UEFA, die das Erleuchten des Münchner Stadions in Regenbogenfarben aus Protest gegen die Politik des ungarischen Regierungschefs abgelehnt hat, ist so bigott wie billig. Niemand hindert den wandelbaren bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder daran, Orbán im Regenbogenkostüm zu begrüßen. Niemand hindert die Bundeskanzlerin, deren Sprecher sich auch geäußert hat, daran, das Wachbataillon beim nächsten Staatsbesuch kunterbunt antreten zu lassen.«

Dass es sich bei der gewollten Aktion um Gratis-Mut handelt und nichts anderes beleuchtet werden sollte als die Gratis-Mutler selbst, da stellt Müller diesen Zug des Zeitgeistes ins zutreffende Licht.

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Dass die UEFA die Beleuchtung abgelehnt hat, legt den Verdacht nahe, dass sie über den Tag hinaus gedacht hat. Wenn ich die Absicht der Regenbogen-Kampagne der Gratis-Mutler zu dieser Europa-Fußball-Meisterschaft als Maßstab nehme, dann müssen die Gratis-Mutler als erstes verlangen, die Fußball-Weltmeisterchaft aus Katar sofort woanders hin zu verlegen.

Hier sollte ich wohl mal sagen, was ich mit Gratis-Mut meine, damit mich niemand falsch interpretiert. Gratis, also mutlos, ist, etwas zu fordern, was keinen Mut kostet, weil Gratis-Mutler von keiner erwähnenswerten Seite etwas zu befürchten haben. Gratis-Mut ist risikolos. Gratis-Mut ist überhaupt kein Mut. Sondern nur da zur eitlen Selbstbeweihräucherung – hier in Form von Selbstbeleuchtung. Unter allem Moralin-haltigen ist das der billigste Artikel.

Wo seid ihr Gratis-Mutler, wenn irgendwo irgendeine UN-Veranstaltung stattfindet? Die große Mehrheit der Mitgliedsregierungen der UN ist nicht weniger homophob, als Orbán und seiner Regierung unterstellt wird. Warum können die Mannschaften solcher Staaten wie Iran, Saudi-Arabien und so weiter unbeleuchtet durch Regenbogenfarben antreten? Aber Gratis-Mutler, warum nur beleuchten, warum nicht aus allen Wettbewerben ausschließen? Wie? Ach so, die Mannschaften und ihre abgelehnten Regierungschefs sollen gar nicht beleuchtet werden, sondern nur die Gratis-Mutler, die Beleuchter selbst. Ja, so schließt sich der Kreis.

Leute, führt eure politischen Debatten und Gefechte, wo ihr wollt und wie, aber nicht auf dem Rücken von Sportlern, auch nicht von Berufssportlern – und von Zuschauern. Bloß, damit ihr euch mal in den Massenmedien selbst beleuchtet sehen könnt. Rote Karte. Abpfiff. Tilt, game over.

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