Tichys Einblick
Ein gefährliches Gift

Misstrauen

Das Patronat Merkels der Öffnung für alle, die kommen wollen, hat begonnen, sich gegen die zu wenden, die schon länger, aber noch nicht so lange da sind wie die Kohorte Merkel und die Nachkommen der Generationen davor.

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In meinem Text „Systemversagen“ nannte ich „Ingredienzien der Politiker-Äußerungen“ vom „feigen” Anschlag, vom „feigen” Mord, dass es sich „definitiv um einen Einzeltäter“ handelt. Den „hinterhältigen“ Mord oder Anschlag hatte ich vergessen und den „menschenverachtenden“ und sicher noch andere Leerformeln. Ich hatte gefragt: Soll „Einzeltäter“ bedeuten nicht so schlimm wie eine Tätergruppe? Was meint „bösartiger Anschlag“? Gibt es auch „gutartige”? Was ist an einem Mord „feig”? Wäre ein „mutiger” besser, ein nicht „hinterhältiger“? „Kein terroristischer Hintergrund“ soll was sein, eine Beruhigungspille?

Allen Floskeln ist eines gemeinsam: die Sicht von oben nach unten. Sie sind allesamt in erster Linie Selbstberuhigungspillen der gesellschaftlichen, politischen und medialen Herrschaftsklasse. Den Bürger adressiert sie mit diesen Leerformeln gar nicht, sondern sich selbst, weil die ewig gleichen Formeln wie Gebetsmühlen gemurmelt, sie sind halt da, es ist halt so, wir können nichts dran tun, entlastet.

New Normal? Definitiv Nein!
Systemversagen
Die Gedankenlosen erkennen eine Dimension nicht, in der sich lautlos, aber Tag für Tag das Gift des Misstrauens ausbreitet, das den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft anfrisst – immer weiter. Die Oberen kranken daran, dass ihnen das öffentliche Gut-Aussehen so viel wichtiger ist als alles andere. Niemand kann mir erzählen, dass sie – jedenfalls die meisten von ihnen – von den tatsächlichen Veränderungen in den Meinungen und Haltungen der „Normalverbraucher“ nichts mitbekämen, oft am eigenen Tisch zuhause, in der Nachbarschaft oder sonstwo, wo sie ja auch noch ein Nebenleben als Bürger führen. Doch Karriere First bestimmt offensichtlich alles.

Dass als Attentäter von Konstanz ein Iraker genannt wird, der schon seit 15 Jahren am Bodensee lebt, ordnen Medien sozusagen entwarnend ein: kein Asylbewerber. Doch das ist nicht die Wahrnehmung von Otto und Lieschen Müller, auch nicht von Dr. Otto und Dr. Lisa. In ihre Seele schleicht, du kannst also einem, der aus dieser Religion und Kultur kommt, auch nach 15 Jahren nicht trauen.

Dass Sie und ich und wer noch diese Verallgemeinerung nicht angemessen finden, ändert nichts daran, dass sie stattfindet. Meinungsmedien, die dachten oder immer noch denken, sie könnten solchen Veränderungen von Einstellungen vorbeugen, indem sie möglichst nicht berichten oder unter Verschweigung der Herkunft solcher Gewalttäter, befördern ganz im Gegenteil den Meinungswechsel.

Die Tage sagte mir ein alter Freund, er wäre drauf und dran gewesen, der höflichen Bitte von zwei jungen, dunkelhäutigen Männern um Hilfe bei der Suche nach einer Adresse auf der Straße durch rasches Weitergehen zu entkommen. Er musste sich zusammenreißen, es nicht zu tun. Noch vor zwei Jahren wäre ihm so etwas nie in den Sinn gekommen. Dieser Freund hat noch nie anderes gewählt als SPD und Grüne. Dieses Mal wird er gar nicht abstimmen.

Hier ist unter der Benutzeroberfläche der Gesellschaft, unter der Oberflächlichkeit von Medien und Berufspolitik wie all der anderen Mandarine – etwa in den Kirchen – etwas im Gange, leise, aber laufend – tief hinein in alle Parteimitgliedschaften, Vereine, Gewerkschaften und Institutionen – ja, auch Redaktionen. Bis sich so etwas laut äußert, dauert. Ist aber nur noch eine Frage des Wann, nicht mehr des Ob.

Das Patronat Merkels der Öffnung für alle, die kommen wollen, hat begonnen, sich gegen die zu wenden, die schon länger, aber noch nicht so lange da sind wie die Kohorte Merkel und die Nachkommen der Generationen davor.