Tichys Einblick
Sackgassen muss man verlassen

In Afghanistan begräbt der Westen seinen Wahn vom Demokratie-Export

Mit dem Slogan Ami go home hat das politische Washington selbst Ernst gemacht. Sollte es der Auftakt sein zu einem grundlegenden Wandel des Selbstverständnisses der Classe Politique des Westens, wäre der fehlgeschlagene Afghanistan-Feldzug als Erfahrung nicht vergebens gewesen.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Zabi Karimi

Ob die Details der Meldung stimmen oder mehr russische Propaganda sind, darauf kommt es nicht an: Vier Autos und ein Hubschrauber voll Bargeld.

Russia’s embassy in Kabul said on Monday that Afghan President Ashraf Ghani had fled the country with four cars and a helicopter full of cash and had to leave some money behind as it would not all fit in, the RIA news agency reported.

Dass Ashraf Ghani, der sogenannte Präsident des sogenannten Staates Afghanistan sich mit dem ins Ausland abgesetzt hat, was er von seinem zusammengerafften Reichtum mitnehmen konnte, ist zutiefst symbolisch für des Westens Wahn, Demokratie genannte Staaten überall auf der Welt implantieren zu wollen, wo ganz andere Traditionen und Kulturen herrschen, die es schon gab, als Europa noch weit entfernt von späterer Kultur war und Amerika nur höchst seltene Besuche aus anderen Kontinenten erfuhr.

Asien und Afrika leiden an nichts mehr als an den willkürlich gezogenen Linien auf der Landkarte, mit denen Staaten geschaffen wurden, die bis heute wenig mehr Staatlichkeit im Sinne von tatsächlicher Ordnung geschaffen haben, die von den meisten Einwohnern im Großen und Ganzen akzeptiert und respektiert würden. In Asien und Afrika sind die alten Stammesstrukturen nach wie vor lebendig und wesentlich identitätsschaffender. Wo die westlich eingezogenen Staatsstrukturen in den Händen von starken Stammesfürsten waren oder sind, ging das Ganze noch einigermaßen gut. Aber viel öfter haben sich früher unterlegene Stämme mithilfe von „Entwicklungshilfe“-Geldern und anderen westlichen Finanzflüssen und militärischer Ausrüstung als neue Oberschicht etabliert, nicht selten im Dienste westlicher Konzerne mit Rohstoffinteressen.

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Diese neuen Oberschichten haben alle eines gemeinsam, sie haben sich an den Westgeldern hemmungslos bereichert. Nicht umsonst spotten Kritiker der sogenannten Entwicklungshilfe schon sehr lange, überweist das Geld doch direkt auf die Schweizer Konten der Machthaber, wozu der Umweg über deren afrikanische Banken.

Afghanistan hat wegen seiner geoökonomischen Lage an der Seidenstraße viele erlebt, welche eine Herrschaft über es behaupteten und zeitweise oberflächlich auszuüben schienen, von denen keine etwas daran ändern konnte, dass es das Land der Pashtunen blieb, was Afghanistan etymologisch bedeutet, und in dem die tatsächliche Herrschaft von den Stämmen durch ihre Warlords ausgeübt wird. Daran werden auch die Taliban mit ihrem nun dann zweiten Islamischen Staat nichts ändern, weil 60.000 bis 80.000 Taliban keine 35 Millionen wirklich beherrschen können. Wobei zur Zahl der Einwohner hinzukommt, dass es in Afghanistan nicht nur Pashtunen gibt, sondern auch Tadschiken, Usbeken, Hazara, Turkmenen und noch weitere ethnische Gruppen.

Es ist nicht bekannt, wer die Wendung prägte, aber dass sie passt, dokumentieren diese Tage: Afghanistan, graveyard of empires, Friedhof der Reiche, nun aktuell: Friedhof des US-Imperiums (und seiner Hilfsvölker). Dass das West-Unternehmen Afghanistan nicht anders ausgehen konnte, musste Deutschlands Classe Politique spätestens seit dem öffentlichen Auftritt von Peter Scholl-Latour im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags 2014 wissen.

Von Deutschland will ich hier sonst nicht sprechen, denn es spielt hier wie immer außenpolitisch sowieso keine Rolle. Von daher kann nicht überraschen, wenn Roland Tichy heute über das völlige Danebensein von Regierenden schreibt: „Wir erleben eine Bundesregierung, die nicht nur unfähig ist; darum wissen wir ja schon lange. Es ist eine Bundesregierung des Unernstes. Das ist die nächste Stufe der Wirklichkeitsverdrängung.“

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Wie können sich die Verantwortlichen in Europa und den USA derart getäuscht haben über die wahren Verhältnisse in Afghanistan, fragen sich nun alle rauf und runter. Weil sie wie auch in ihren eigenen Ländern das veröffentlichte Leben und den Umgang mit der Funktionärsschicht in Staat und Geselllschaft, Wirtschaft und Medien zuverlässig davon fernhält, was das Volk treibt und umtreibt.

Die in der sogenannten Armee Afghanistans ausgebildet wurden, haben diese Verdienstmöglichkeit gern mitgenommen, nicht wenige haben durch Verkauf von Waffen und Ausrüstung an die Taliban ihr Einkommen aufgebessert und gute Verbindungen mit den Taliban als vorausschauende Zukunftssicherung betrieben. Aber nicht nur Soldaten dieser ihnen selbst fremden Armee, sondern nicht weniger Leute in der staatlichen Verwaltung, Polizei und so weiter haben die in Wahrheit als Fremdherrschaft empfundenen 20 Jahre hindurch ihre Verbindungen zu den Taliban nie abreißen lassen, neu geknüpft und genug von ihnen haben die Übergabe der Macht an die Taliban verabredet und vorbereitet.

Während die Medienwelt und ihre Politiker sich über den schnellen „Vormarsch“ der Taliban wunderten, marschierten diese nicht kämpfend vor, sondern fuhren zumeist auf ihren zweirädrigen Leichtgefährten von Ort zu Ort verpflegt und begrüßt vom Volk. Welche Leute die Taliban jenseits ihrer bekannten Grausamkeit sind, die ja nicht ihre besondere Form des Terrors ist, sondern die Anwendung der Scharia nicht anders als im Iran der Mullahs, zeigen diese Turnübungen im ehemaligen Palast von Ashraf Ghani:

Was bei all den vielen aus dem Boden sprießenden Beiträgen über das Geschehen in Afghanistan fehlt, sind zwei simple Tatsachen. Für die Leute auf dem Land hat sich während des Westregimes in ihrem wirklichen Leben nichts geändert und genau so wird es nun unter den Taliban sein, solange nicht welche von ihnen irgendwo hinkommen und ihre Willkür ausleben. Und die regionalen Warlords der Stämme werden sich mit den Taliban ebenso arrangieren, wie sie es mit den Westlern und von ihnen Eingesetzten taten – und schon Generationen ihrer Vorfahren mit den mal auf Zeit in diesem Teil der Seidenstraße vorübergehend als fremde Autoritäten Verweilenden.

Wenn etwa die Welt nun berichtet, dass die Taliban sich geändert hätten und mit Frauen anders umgehen wollen als bisher nach strikter Scharia, sind hierzulande nur viele genug bereit, das sofort für bare Münze zu nehmen. Ich nicht, bevor sich solche Ankündigungen nicht mindestens ein Jahr lang in der Praxis bewahrheiten.

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Zynisch könnte ich sagen: im Land der Pashtunen, Afghanistan, nichts Neues. Das Volk wird die Folgen ausbaden, die in den letzten 20 Jahren reich wurden wegen der Anwesenheit des Westens, werden ihren Reichtum bewahren oder ihn wie der Präsident von des Westens Gnaden im Exil verbraten. Wie schon viele Potentaten aus Afrika und Asien vor ihm.

Derweilen sind jene Mächte, die der Seidenstraße und ihren Anliegern historisch immer schon näher sind als der politische Westen, dabei, ihren alten Einfluss in Pashtuland zu erneuern und auszubauen, China und Russland.

Mit dem Slogan Ami go home hat das politische Washington selbst Ernst gemacht. Sollte es der Auftakt sein zu einem grundlegenden Wandel des Selbstverständnisses der Classe Politique des Westens, wäre der fehlgeschlagene Afghanistan-Feldzug als Erfahrung nicht vergebens gewesen. Dann allerdings müsste als erstes in den Vereinigten Staaten selbst die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen auf Richtung Normal drehen, unter deren Zeitgeist Westeuropa mitleidet und in Europa niemand mehr als Deutschland.

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