Tichys Einblick
Die Mitläufer sind das Problem

Funktionäre funktionieren in jedem System

Mehr als Sprech- und Sprachblasen-Inhalte müssen Funktionäre bei Systemwechsel nicht ändern. Das Meiste vom Gelernten können sie auch in der neuen Zeit gut brauchen. Und wie's da drinnen aussieht, geht sowieso niemanden was an.

© Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Wenn die Merkel-Biografie bei Wikipedia stimmt, was ich schon deshalb nicht wissen kann, weil dort des öfteren etwas nicht stimmt, war Angela Merkel etwa 10 Jahre berufstätig, wenn auch in der betreuten Zone staatlich finanzierter Wissenschaft. Welchen Umfang während dieser Zeit ihre Tätigkeit bei der FDJ einnahm, weiß ich ebenfalls nicht. Aber der Kerntatbestand, dass Frau Merkel vor ihrem Eintritt in die Politik beim Demokratischen Aufbruch, der Allianz für Deutschland und dann der CDU nicht direkt im Beruf Politik ihr Auskommen fand, scheint evident.

Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen hat außerhalb des Politikberufs nirgendwo Erfahrung gesammelt. Sie ist ein echtes Kind der Berufspolitik als von der realen Arbeitswelt abgeschlossenem Zirkel, wie es heute für praktisch alle in dieser Parallelgesellschaft Tätigen gilt. Merkel lernte FDJ-Funktionär, Kramp-Karrenbauer CDU-Funktionär. Daran dass Funktionäre funktionieren, erkennen sie sich nicht nur, sondern sprechen dieselbe Sprache, denken und handeln in denselben Mustern.

Parteienlackierte Entpolitisierung
Berufspolitik ist Laienverwaltung
Vom Assistenten auf den Stuhl des Chefs, mit oder ohne ein paar Zwischenstationen, ist das typische Karriereziel des Polit-Nachwuchses. Über die Jahre und Jahrzehnte ist so eine politische Kaste entstanden, was auch für die einst volksverbundenen Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Organisationen gilt. Der letzte echte Arbeiter im Bundesvorstand der Jungsozialisten war nach meiner Erinnerung Loke Mernizka Anfang der 1970er.

Funktionäre funktionieren praktisch unabhängig von politischen Systemen. Was nach 1945 Entnazifizierung hieß, war weitestgehend nur ein Wort. Die klassische Formel lautete: als Mitläufer entlastet. Beim Beitritt der DDR zur Bundesrepublik blieb der nahtlose Wechsel vom DDR-Funktionär in die Institutionen und Organisationen der Berliner Republik noch weniger Wechslern verwehrt als nach 1945 vom NS-Funktionär in die Institutionen und Organisationen der Bonner Republik.

Mehr als die Sprech- und Sprachblasen-Inhalte mussten die Funktionäre auch gar nicht austauschen. Vieles, wenn nicht das Meiste vom Gelernten konnten sie auch in der neuen Zeit gut brauchen. Und wie’s da drinnen aussieht, geht sowieso niemanden was an. Ich erinnere mich noch lebhaft, welche Lieder viele Funktionäre aller Sparten nach dem zehnten Bier auch noch in den 1970ern am liebsten anstimmten. Sie kannten ihre ehemaligen Kameraden gut und hielten den Kontakt lebenslang mit denen, die in verschiedenen Parteien und Organisationen tätig waren – und nicht zu vergessen: in den Medien.

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Damit will ich über das Wirken dieser Männer nach 1945 gar nichts Negatives sagen. Die ich beurteilen kann, haben dem Nachkriegsdeutschland und seiner Demokratie loyal gedient. Funktionäre funktionieren eben, dem bleiben sie „treu“ – und nicht einer Ideologie, weder der, in der sie sozialisiert wurden, noch der, für die sie anschließend arbeiteten. Das ist der Haken bei der Einstufung als „Mitläufer“ nach 1945 (und unausgesprochen nach 1990): Mit den überzeugten Nationalsozialisten allein hätte Hitler sein „Drittes Reich“ nicht bilden können, das ging nur mit der Masse der Mitläufer in allen Institutionen des Staates und Organisationen von Wirtschaft und Gesellschaft.

AKK folgt der wahrscheinlich nochmaligen Amtsinhaberin AM auf dem Kanzlerstuhl nur nach, wenn es Bundestagswahlen bereits 2019 gibt. Hält die Kanzlerschaft AM bis 2021, findet sich ein anderer Kandidat der CDU, und ob es dann überhaupt zu einem Unions-Kanzler kommt, ist völlig offen.

Eines jedenfalls steht fest – bei welcher Karriere von Frau Kramp-Karrenbauer und den in CDU und SPD jetzt nach vorne Gestellten auch immer, der Parteienstaat, der sich die deutsche Gesellschaft bis in ihre letzten Verästelungen gefügig gemacht hat, kann mit Berufspolitikern wie AKK (oder Jens Spahn oder oder …) nicht in eine freie Gesellschaft und einen demokratischen Staat verwandelt werden, in dem allein das Recht herrscht. Dazu muss erst einmal der Pateienstaat geknackt werden.

Der gordische Knoten lässt sich nur lösen, wenn den Parteien alle Privilegien genommen werden, von der Nennung im Grundgesetz bis zur staatlichen Parteienfinanzierung, dem Beruf Politik durch die beamtengleiche Besoldung von Vollzeitparlamentariern als oberster Laienverwaltung, ausgestattet mit einem Mitarbeiterstab, der längst lautlos das Rückgrat der Organisationsstruktur der Parteien bildet als ihre Funktionäre.

Der berechtigte Einwand gegen diese Argumentation lautet: Die Berufspolitiker schaffen sich doch nicht selbst ab. Unter normalen Umständen nicht. Aber was spricht dafür, dass die Umstände noch lange als „normal“ hingestellt und vor allem von der Mehrheit der Mitläufer als „normal“ empfunden werden können? Ganz sicher dann nicht mehr, wenn es der Mehrheit an den eigenen Geldbeutel geht. Daran arbeiten die meisten Berufspolitiker kontinuierlich, nicht einmal mit dieser Absicht, aber gespenstisch zuverlässig in der Wirkung.