Tichys Einblick
TV-Wahlkampf in Österreich

Das Rennen Kurz, Kern und Strache ist offen

Die vom Kanzleramt politisch betreute deutsche TV-Kulisse für Angela Merkel kann sich von ProSiebenSat.1 PULS 4 beibringen lassen, wie das Format TV-Duell geht.

© Herbert Neubauer/AFP/Getty Images

An einem TV-Abend Kurz gegen Kern und danach Kurz gegen Strache in einem lebendigen Schlagabtausch, kaum gestört von einer Moderatorin, jeweils danach eine Bewertung durch eine kundige Runde: Die vom Kanzleramt politisch betreute  deutsche TV-Kulisse für Angela Merkel kann sich von ProSiebenSat.1 PULS 4 beibringen lassen, wie das Format TV-Duell geht.

Für die Ungeduldigen: Gesamtsieger Sebastian Kurz, Platz drei eindeutig Christian Kern, guter Platz zwei für Heinz-Christian Strache.

Bemerkenswert und völlig TV-undeutsch: Bei ProSiebenSat.1 PULS 4 „duellierten“ sich alle Spitzenkandidaten aller Parteien/Listen unabhängig von ihrer Größe: jede(r) gegen Jede(n) einzeln. Wer sich alle ansah, konnte sich sein Bild machen.

Nicht überraschend, dass die im August bekannt gewordenen Aktionen des Dirty Campaigning, worüber immer neue Details bekannt wurden und werden, das Duell Kurz gegen Kern länger beschäftigte. War es doch das Umfeld der SPÖ, was nun als klar gilt, von dem die Schmutzkampagne ausging. Ob Leute aus dem Umfeld der ÖVP und wenn ja, welche Rolle noch obendrein spielten, werden wir wohl erst nach der Nationalratswahl erfahren.

Muster Austria?
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Bundeskanzler Kern tat, was „Herr und Frau Österreicher“ gemeinhin nicht mögen. Er unterbrach Kurz permanent in einer aggressiv-oberlehrerhaften Mischung. Kurz ist nicht nur jung, er wirkt auch so, doch er ließ sich nicht provozieren – seine Worte blieben ebenso kontrolliert wie Mimik und Körpersprache. Kern ganz das Gegenteil. Kurz agierte wie ein Kanzler, Kern wirkte wie Strache (nicht der vom gestrigen Abend, dazu gleich, sondern wie Strache früher). Kurz brachte alle seine Botschaften in der Sache über, Kern weniger als die Hälfte. Auf mich wirkte Kern – ganz ähnlich wie in Deutschland Schulz – als einer, der nicht mehr um die Kanzlerschaft kämpft, sondern um den Parteivorsitz nach verlorener Wahl.

Nach dem Duell präsentiert der Moderator der Bewertungsrunde ofenfrische Zuschauer-Antworten, welcher Duellant mehr überzeugt hat. Danach entscheidet Kurz die Runde gegen Kern klar für sich.

Wer sich an Heinz-Christian Strache als bissigen Angreifer erinnert, erkannte ihn gestern Abend nicht wieder. Staatsmännisch, höflich, ganz überwiegend sachlich trat er auf, wie es sich Herr und Frau Österreicher von Kanzler Kern gewünscht hätten. Gar nicht leicht für Sebastian Kurz, der nicht den Eindruck aufkommen lassen darf, dass er mit einem künftigen Koalitionspartner spricht. Nicht einfach, weil die beiden Duellanten im Schwergewichtsthema Einwanderung große Schnittmengen haben, was beide auch klar aussprechen. Das trifft aber auch für zentrale Fragen der Wirtschafts- und Steuerpolitik zu, teilweise auch in der Sozialpolitik. In diesem Duell tänzelten die Boxer mehr umeinander herum, als wirklich auszuteilen. Wirkte auf mich eher wie ein Training als ein echter Kampf.

Demoskop Wolfgang Bachmayer zeigt sich in der anschließenden Bewertungsrunde erstaunt von den Zuschauer-Stimmen. Strache schneidet besser ab als Kurz, nicht so eindeutig wie Kurz gegen Kern, aber doch deutlich genug. Der nähere Blick auf die Zuschauer-Segmente ist sehr interessant. Kurz „gewinnt“ bei den bis 46-Jährigen, Strache bei denen drüber. Und noch aufschlussreicher: Die Zuschauer mit der Parteipräferenz SPÖ verschaffen Strache den Vorsprung vor Kurz. Bachmayer sagt, ja, das ist die Erklärung, und: Die SPÖ-Anhänger haben sich hier im Duell Kurz-Strache geradezu für die Niederlage von Kern gegen Kurz gerächt.

Nun, Bachmayer ist ein alter Fuchs. Aber da setze ich einen drauf aus meiner Kenntnis von Kakanien. SPÖ und FPÖ standen sich – nicht bei den Funktionären, aber in ihren Gefolgschaften – schon immer näher als ÖVP und FPÖ. Nachdem inzwischen die FPÖ mehr Arbeiterpartei ist als die SPÖ noch mehr. Im noch laufenden Wahlkampf warnen Grüne und Rote vor Schwarz-Blau und Schwarze vor Rot-Blau. Strache versuchte es auch mit der Warnung vor Jamaika, was schon allein rein rechnerisch irreal ist.

Eines ist für mich klar, da stimme ich Veit Dengler zu, ohne den die NEOS nie gegründet worden wären. Und der in der beiden Duellen und Bewertungsrunden folgenden Polit-Experten-Runde sagte, das Rennen sei völlig offen. Das ist es auch für mich trotz der klar scheinenden Zahlen mit der Reihenfolge Kurz, Strache, Kern.