Tichys Einblick
Historisch ist, was war

Christian Lindner und die andere Art Jamaika-Fans

Herr Lindner, Ihr "historisches Projekt" Jamaika hat das Zeug dazu, vom deutschen Parteienstaat und seinen Staatsparteien nur noch nicht mehr aktionsfähige Reste überzulassen.

© Getty Images

Nach der Besichtigung der Jamaika Papers muss jedem klar sein, um welches Unterfangen es sich bei der Schwampel Jamaika handelt. Einen trostloseren politischen Text habe ich inhaltlich und formal noch nie gelesen: 2017-11-15_Ergebnis-der-Sondierungsgespraeche

Erwartungsgemäß kamen die Schwampelianer trotz ausgerufenem J-Day nicht voran. Dass es darum von Anfang an nicht ging, weil alles nur eine einzige Inszenierung ist, ergibt sich aus vielen Indizien. Dass es das politische Monster Jamaika geben soll, steht in Wahrheit für CDU und Grüne fest, seitdem der eigentliche Merkel-Kretschmann-Plan: Schwarzgrün (mit freudiger Unterstützung der Pizza-Connection) im Bund nach Grünschwarz im Südwesten zahlenmäßig absehbar nicht gehen würde.

CSU und FDP merken wohl gar nicht, dass sie nur als Lückenfüller vorgesehen sind, die wie die Mäuse mit dem Speck mit Posten in die Falle gelockt werden: Wo für sie nicht die geringste Macht und kein politischer Einfluss in der Sache vorgesehen sind. Das tägliche mediale Hamsterrad Sondierungen-Verhandlungen soll doch nur Verantwortungsbewusstsein vorgaukeln. Was aus diesem unsäglichen Schwampel-Papier wird, was im undemokratischen „Koalitionsvertrag“ steht, ist doch völlig belanglos. Für Merkel hätte das die gleiche Bedeutung wie das CDU-Programm: nicht die geringste.

Soweit, so schlecht. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, ist eine Deutung der Schwampel Jamaika des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, die ich gestern erstmals wahrnahm (auf die Gefahr hin, eine frühere, identische übersehen zu haben). Auf Welt online fand ich das:

„Ein solches historisches Projekt, wie es eine Verbindung von FDP, Union und Grünen wäre …“

Herr Lindner, ein historisches Projekt? Rechne ich im Geiste die formal in der Opposition befindliche SPD hinzu, würde sich bei einer Jamaika-Regierung plus ihrer Majestät loyalen Opposition das bilden, was immer mehr Bürger nicht länger Altparteien oder etablierte Parteien nennen, sondern Blockparteien.

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Sie begegnen diesem Ausdruck wie anderen wiederbelebten, gängigen Begriffen aus der DDR-Sprache überall in den sogenannten sozialen Medien. Dort finden sich auch jene Zeitgenossen, die sagen, ja, bitte her mit Jamaika, jetzt, sofort und gleich, damit der Politikladen Deutschland möglichst schnell in die Luft fliegt. Ohne Jamaika, meinen diese Jamaika-Fans der anderen Art, kann das Regiment Merkel gar nicht schnell genug und mit einem möglichst großen Knall beendet werden: Kann die nötige Umkehr oder Neuorientierung in nahezu allen Bereichen der Politik in näherer Zukunft nicht zustande kommen.

Es muss erst ganz schlecht kommen, bevor es besser werden kann, ist eine der gängigen Formeln dieser Bürger, die gar nicht oder zum kleinsten Teil eine der Jamaika-Parteien oder überhaupt gewählt haben. Verelendungstheorie war einmal ein beliebtes Wort bei den 68ern und ihren Epigonen, das sie in ihrem Verbal-Marxismus von den Kommunisten übernahmen. Wie muss es um das Gemütsleben dieser Mitbürger der anderen Art von Jamaika-Fans stehen, wenn sie nicht nur so denken, sondern es oft und öfter aussprechen, was, wenn auch nur geschrieben, sich wie geschrien liest.

Herr Lindner, wenn Jamaika ein historisches Projekt für Sie ist, werden Sie erleben, dass sich das Wort historisch auf ganz andere Weise erfüllt, als Ihnen vorschweben dürfte. Ihr historisches Projekt hat das Zeug dazu, vom deutschen Parteienstaat und seinen Staatsparteien nur noch nicht mehr aktionsfähige Reste übrig zu lassen.

Wie heißt noch mal der historische Satz? Ach ja: Die natürliche Entwicklung eines baufälligen Gebäudes ist sein Einsturz.