Tichys Einblick
"Das Grüne" ist doch schon oben

Auf „die Grünen“ kommt es nicht an, aber auf „das Grüne“

Gerhard Spörl schreibt, »Auf die Grünen kommt es an«. Da erlaube ich mir zu widersprechen.

© Ed van Duijn
Es sind nicht sehr viele Journalisten, deren Beiträge ich immer wieder mal mit Gewinn gelesen habe: Weil es einen selbst weiter bringt, sich mit Argumenten und Sichtweisen auseinanderzusetzen, die nicht die eigenen sind. Gerhard Spörl gehört zu ihnen. Sein aktueller Beitrag trägt auf seiner eigenen Website wie auf t-online.de (Eigentum der Ströer Digital Publishing GmbH) den Titel: »Auf die Grünen kommt es an«.

Bitte verzeihen Sie einen kurzen Ausflug ins Triviale, manchmal holt einen das mit dem Gewinn der Gedankenlüftung aus seinen Welt-Erklärungs-Sphären. Immer nur Gescheites hören, macht nicht immer gescheiter.

In den 1970ern kursierte unter anderen dieser Witz. Zu Besuch bei Freunden ist man zusammen in einem Gasthof der Stadt, als dem Besucher auffällt, dass draußen in regelmäßigen Abständen laut und deutlich im energischen Befehlston erschallt: Das Grüne nach oben! Auf seine Frage nach einer Erklärung bescheidet ihn der Wirt freundlich: Ach ja, das ist die Kolonne Baumsetzer aus Ostfriesland.

Gerhard Spörl konstatiert ein paar Monate vor der Bundestagswahl: »Die Grünen liegen vorne. Warum? Weil die Regierung in einer entscheidenden Phase der Pandemie fahrig und glücklos handelte.« Das ist aus meiner Sicht die zutreffende Erklärung: Die Grünen liegen derzeit demoskopisch vorn, weil die Coronapolitik von Merkel und GroKo schlecht aussieht, und nicht, weil die Grünen gut aussehen.

Seine meiner Meinung nach richtige Beobachtung unterstreicht Spörl mit dieser Deutung: »Die Meinungsumfragen sind ja auch ein Akt der Rache der Bürger an der Regierung. Deshalb fiel die Union ins Bodenlose und die Grünen erklommen ungeahnte Höhen. Manches wird sich wieder einrenken. Dann sollten die Grünen abnehmen, die Union zunehmen.« Eines aber werde sich aber bis zum Wahltag im September nicht verändern: »Diese Grundstimmung, dass es Zeit für einen Wechsel ist. Die Wahl ist wirklich eine Richtungswahl.«

Sieht Spörl das wirklich so oder wollte er nicht eins tiefer gründen? »Zeit für einen Wechsel« – ja, wenn es um den Wechsel von Personen geht. Nicht nur die Gegner von Merkel, auch viele, wenn nicht die meisten unter den Anhängern der Union, der SPD und den regierungsloyalen Oppositionsparteien wollen das Gesicht Merkel nicht mehr sehen.

»Richtungswahl« – nein. Welche Richtungen, Herr Spörl? In allen Großproblemen der deutschen Politik gibt es doch unter den eben Genannten nur eine einzige Richtung. Was da Journalisten und Parteipolitiker an Unterschieden zwischen diesen Parteien darstellen, sind doch allenfalls Nuancen, aber keine unterschiedlichen Richtungen.

»Auf die Grünen kommt es an«? Nein, welche Farbe die Person nach dem Wechsel trägt, ändert doch nichts daran, welche Richtung weiter herrscht. Wenn es in etwa bei den demoskopischen Befunden bleibt. Dass sich der grundlegend ändert, dafür kann ich kein Indiz erkennen. Ist das so, dann kommt es nicht auf „die Grünen“ an, sondern auf „das Grüne“ des Zeitgeists.

Womit ich wieder beim Ostfriesenwitz bin: „Das Grüne“ ist ja schon oben.

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