Tichys Einblick
Ludger K. „BÖST of“

Voll normal: Über die Kölner Silvesternacht und Blockflöten im WDR

Polizei und Stadtverwaltung Köln vor ihren Planungen für die nächste Silvesternacht Ludger K. ist live mit seinem Solo-Programm „BÖST of – Ein Lästermaul fasst zu(sammen)“ in ganz Deutschland unterwegs.

Mit den folgenden Zeilen entfachte der Kölner Stadtanzeiger am 27.12.2019 die Vorfreude der Leute im Rheinland auf den anstehenden Jahreswechsel:

Köln – Polizei und Stadtverwaltung haben ihre Planungen für die Silvesternacht abgeschlossen – auch dieses Jahr darf in zahlreichen Straßen und auf Plätzen rund um den Dom kein Feuerwerk abgebrannt werden, nicht einmal Wunderkerzen. (…) „Auf der Straße werden in jedem Fall ausreichend Einsatzkräfte vorhanden sein“, versicherte ein Sprecher. (…) Der Einsatz sei eng abgestimmt mit der Stadt, der Feuerwehr, der Bundespolizei und den Rettungskräften der Hilfsorganisationen. Wer den Jahreswechsel in Domnähe feiern will, muss sich auf Personen- und Taschenkontrollen (…) einstellen. (…) Zwischen 20 Uhr und zwei Uhr gilt in der gesamten Innenstadt ein Fahrverbot für Lastwagen.

All das steht im Kölner Stadtanzeiger unter der Überschrift: „Zurück zur Normalität“!

Normal ist, was Menschen als normal akzeptieren, oder nicht? Haben Sie mitbekommen, dass sich Ende letzten Jahres beim WDR-Fernsehen eine langjährige Führungskraft geoutet hat als transgender? Nicht irgendein Mitläufer, nein, der Leiter des WDR-Studios Essen steht eines Tages in hochhackigen Pumps mit Strumpfhose, Rock, Damenbluse und Glitzerschmuck bekleidet vor seiner Redaktion und sagt: „Guten Morgen, ich bin ab sofort eine Frau, und eigentlich war ich das schon immer. Wenn jemand ein Problem mit mir hat, dann ist das sein Problem.“ (Der letzte Satz ist ein wörtliches Zitat.)

Und weil natürlich niemand gern ein Problem hat, sagen alle: Kein Problem! Ich selbst habe knapp 15 Jahre lang fürs WDR-Fernsehen als Freier Mitarbeiter gearbeitet, und ich kann Ihnen sagen: Bei der Umwandlung des Sendeformates von 4:3 in 16:9 war die moralische Empörung im WDR größer, als bei dieser Umwandlung. Und im Gegensatz zu mir damals musste der Mann jetzt für seine Umwandlung noch nicht mal in den Schnitt! (Wenn Sie mir dieses kleine Fernseh-Wortspiel gestatten.)

Ernsthaft: Ein Studioleiter des WDR erklärt sich zur Frau, und alles läuft weiter wie bisher. Die einzige nach außen wirkende Konsequenz des WDR war, dass im Online-Lebenslauf dieser Führungskraft das Geschlecht von männlich auf weiblich und der Vorname von Georg in Georgine geändert wurde – und zwar auch rückwirkend. Dann hat sich im WDR also streng genommen jahrzehntelang eine Frau als Mann ausgegeben. Does anyone see the elephant in the room?

Am zweiten Weihnachtstag sitzt meine Familie am Esstisch, und eine entfernte Verwandte wendet sich mir zu, hörbar für alle: „Ludger, du hast doch auch mal für eine WDR-Lokalzeit gearbeitet, oder? Ich hab’ da neulich was gelesen über einen Studioleiter.“ Damit sind Herr und Frau Kellermann als Gesprächsgeister in unserer Familientalkshow eingeführt, und ich präpariere gedanklich für die mich umzingelnde Tafelrunde schon mal den Fahnenmast, weil ich ahne, dass irgendjemand gleich bestimmt die rhetorische Regenbogenflagge hissen wird. „In einer offenen Gesellschaft gehört sowas dazu, das ist völlig ok!“, sagt Familienmitglied 1 (jung); als Familienmitglied 2 (betagt) sich ein kleines verbales Augenzwinkern erlaubt, brodelt die Stimmung bereits, und es fallen sämtliche Begriffe, die mit -phob enden. Ich versuche zu vermitteln, indem ich vom Redaktionsalltag erzähle und ein paar pragmatische Fragen zum Nachdenken formuliere: „Wenn auf der A40 ein Schulbus Feuer fängt, ist dann ein sichtbar Transgegenderter noch geeignet als Reporter am Schauplatz bei einer Live-Schalte? Kann ein Mensch seinen operationslosen Geschlechtswechsel auch wieder rückgängig machen, und wenn ja, wie oft? Wenn irgendwann die Politik eine verbindliche Frauenquote für Unternehmen beschließen sollte, würden dann Männer, die sich zur Frau erklären, diese Quote zu erfüllen helfen? Falls nein, warum nicht?“ Anschließend wird nur noch gekeift, und ich höre in loser Abfolge die Namen Thilo Sarrazin, Björn Höcke, Conchita Wurst und Jesus. Als ich mir dann zu Deeskalationszwecken von meiner neunjährigen Tochter ein paar Weihnachtslieder auf der Blockflöte wünsche, entgegnet mir diese, dass sie die entsprechende App letztes Jahr gelöscht habe. Mein Versuch, mich elderstatesmanhaft neutral zu geben, ist gescheitert, denn: Heute gibt es kein neutral mehr. Wenn du „das“ (was auch immer jeweils mit „das“ gemeint ist) nicht uneingeschränkt hinnimmst und bejubelst, dann bist du ein potentieller Höcke-Wähler – auch, wenn du deinen Wohnsitz gar nicht in Thüringen hast. Es geht um Menschlichkeit, da darf so was wie Geografie, Biologie oder gar Ratio keine Rolle spielen.

Es ist übrigens Usus im WDR, dass die Leitenden eines Studios ihren Standort nach einer gewissen Zeit wechseln. Also: Augen auf – vielleicht ist schon bei einer der nächsten Silvesternächte am Rhein das bunte Bild komplett. Dann feiern zigtausend Kölnerinnen und Kölner in Reih und Glied stehend den Jahreswechsel mit jeweils einer Armlänge Abstand zueinander und streng durchleuchteten Umhängetaschen am Leibe, die Szenerie wird geprägt von einer Hundertschaft bewaffneter Ordnungshüter, jede Lücke im Straßenbild ist gesichert mit zentnerschweren Betonpollern und Eisenketten, von oben lässt ein Hubschrauber der Bundespolizei schützend sein Scheinwerferlicht kreisen, und auf der Domplatte steht ein Mann in Frauenkleidern mit WDR-Mikrofon, der live in eine Kamera sagt: „Meine Damen und Herren, ich freue ich Ihnen mitteilen zu können: Hier in Köln ist alles normal. Frohes Neues Jahr.“


Ludger K. ist live mit seinem Solo-Programm „BÖST of – Ein Lästermaul fasst zu(sammen)“ in ganz Deutschland unterwegs. Nächste Auftritte:

24.01.2020 Essen, Theater Courage
25.01.2020 Holzminden, Kulturzentrum an der Stadthalle
07.03.2020 Düsseldorf, Theater Takelgarn
14.03.2020 Nossen, Sachsenhof

Alle Infos unter www.ludger-k.de


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