Tichys Einblick
Klarer Rohrkrepierer

Hohl-Spiegel: Jemanden Gefährder nennen, ist kein Spaß

Wahrscheinlich hält der SPIEGEL seinen Gefährder-Titel für spaßig. Wie schon bei anderen missglückten Titelbildern zuvor. Sein Gespür für Bilder und Sprache ist arg gefährdet.

Wie viele „Gefährder“ es in Deutschland und Europa gibt, die als „Flüchtlinge“ aus Asien und Afrika kommen konnten, weiß ich nicht: Ich vermute, die Behörden, die es wissen sollten, auch nicht. Dass ein solcher „Gefährder“ von Behörden länger überwacht wurde und dann trotzdem einen Terroranschlag unternehmen konnte, ist bekannt.

Ob es nun hunderte oder auch tausende „Gefährder“ in Europa gibt, spielt für die Beurteilung des aktuellen Titels des SPIEGEL auch keine Rolle. Innenminister Horst Seehofer als „Gefährder“ abzubilden, ist jenseits dessen, was Journalismus darf.

Die ZEIT nannte den Attentäter von Berlin, Anis Amri, „geduldeter Gefährder“. Die Botschaft des Spiegel-Titelbildes ist, Seehofer ist ein Gefährder, den das Blatt nicht dulden will.

In der Titelgeschichte, zu der ein Titelbild ja hinführen soll, schrumpft der Hammer Gefährder auf diese Zeilchen:

Die Koalition zwischen Union und SPD leidet an vielem, am Siechtum der Sozial- demokratie, an der Apathie der späten Merkel, aber niemand verkörpert die Krise dieser Regierung so wie Seehofer, der erkennbar eine Fehlbesetzung für das Innenministerium ist.

Hier wurde er zum Gefährder: für die Koalition, für die Stimmung im Land, sogar für sich selbst. Es geht ihm nicht gut, und das bekommt Deutschland zu spüren.

Aus dem reißerischem Titel Gefährder wird ein ganz gewöhnlich langweiliges Porträt. Der SPIEGEL braucht dringend ein neues Wort für tatsächliche Gefährder. Sein Sinn für Semantik ist arg gefährdet.

Dem Hamburger Blatt, das vielen Jahrzehnte als Must Read galt, ist offensichtlich jeder Maßstab verloren gegangen. Was es auch gleich noch im Leitartikel mit seinem Veständnis von „Spaß“ demonstriert (Hervorhebung von mir):

Der Faschismus ist wieder da, im Reichstagsgebäude in Berlin, dem deutschen Parlament. Zumindest als Begriff. Er bediene sich der »Mittel des Faschismus«, rief der SPD-Politiker und Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz in der Generaldebatte zum Haushalt dem AfD-Fraktionschef Alexander Gauland unter dem Beifall nicht nur seiner Fraktion zu. Dann sagte der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs, die Mitglieder der AfD-Fraktion seien »hässlich«, weil Hass hässlich mache, worauf sie bald geschlossen das Plenum verließen. »Man merkt doch, dass es im Bundestag auch wieder sachlich zugehen kann – immer dann, wenn die AfD weg ist!«, schickte Kahrs ihnen noch hinterher. Worauf Abgeordnete klatschten. Der Spaß sei ihnen gegönnt. Allzu oft waren die Parlamentsdebatten in den vergangenen Jahren langweilig und nichtssagend, ein bisschen Krawall kann da nicht schaden.

Die Bundestagsdebatten waren übrigens nicht zuletzt deshalb „langweilig und nichtssagend“, weil jene nichts boten, sondern jedem gepflegten Streit aus dem Weg gingen, denen der SPIEGEL nun solchen „Spaß“ gönnt.

Wahrscheinlich hält der SPIEGEL auch seinen Gefährder-Titel für Spaß. Wie schon bei anderen missglückten Titelbildern zuvor. Sein Gespür für Bilder und Sprache ist arg gefährdet.