Tichys Einblick
Die da oben schauen runter auf die da unten

DER SPIEGEL Nr. 16 – Ist das noch mein Land?

Der Bürger als griesgrämiger, spießbürgerlicher Gartenzwerg, das ist kein geistreicher Spott, sondern abgehobene Häme. Häme von Mitgliedern des Establishments, die immer noch nichts begriffen haben in ihren Hochwohlstandsburgen.

Der Bundesbürger als griesgrämiger, spießbürgerlicher Gartenzwerg mit eingeschränktem Blickfeld, weil er von der Welt nur die Hälfte mitkriegen will. Das ist die Sicht der Spiegel-Redaktion auf Bürger, die sich fragen, ob Deutschland noch das Land ist, in dem sie sich ein Leben lang wohlgefühlt haben. Das ist für mich kein geistreicher Spott, sondern abgehobene Häme. Häme von Mitgliedern des Establishments, die immer noch nicht begriffen haben, dass sie mit den Gartenzwerg-Malochern auf demselben Ast sitzen. Das entwertet die differenzierte Titelgeschichte „Neue Heimat“ des Autorenteams um Katrin Elger.

Die Soziologin Cornelia Koppetsch, Professorin an der TU Darmstadt, erklärt im lesenswerten Interview „Starres Weltbild“, wie Professoren, Journalisten und Pädagogen „das grassierende Gefühl von Heimatlosigkeit“ ebenso befeuern wie etwa die Zwistigkeiten zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer in der Islamdebatte. Die kosmopolitische Elite verhalte sich doppelbödig und wirke dadurch verlogen. „Sie propagiert Weltoffenheit und fordert eine durchlässige Gesellschaft, in der jeder dieselben Chancen hat, sie spricht von Gleichheit und Gleichberechtigung. Aber wenn jemand ihr Weltbild nicht teilt, wendet sie sich verständnislos ab und erhebt sich im Namen einer höheren Moral.“ Im Kern, so Koppetsch sei das Weltbild der vermeintlich weltoffenen Elite „eben häufig genauso starr wie das der Kleinbürger, auf die sie herabsieht: … Auch ihr Bedürfnis nach einer Geborgenheit stiftenden Heimat ist oft ähnlich ausgeprägt. Und da ist diese Elite im Vorteil, weil sie sich ihre Heimat selbst erschaffen kann.“
Insofern fehlt mir die Glaubwürdigkeit derjenigen, die in den für die meisten Bürger unbezahlbaren Wohnungen der feinen Viertel von Hamburg und Berlin wohnen.

Nachdem der Spiegel mit Martin Schulz und Sigmar Gabriel auf die falschen Pferde gesetzt hat, startet die Redaktion mit „Der Nebenkanzler“ eine neue PR-Kampagne zugunsten von Olaf Scholz. Ein erneuter Anlauf, um einen SPD-Politiker zum nächsten Bundeskanzler hochzuschreiben? Was dazu wohl Andrea Nahles sagen wird. Außenminister Heiko Maas darf im Spiegel-Gespräch „Syrien ist nicht Auschwitz“ smart für eine härtere Gangart gegenüber Russland plädieren (in die Pläne von Macron und Trump ist er wohl nicht eingeweiht). Trump gemeinsam mit Maas werden Putin sicher bald in die Knie zwingen. Falls es nicht klappt, können sie ja bei Christian Lindner anfragen, der beim Putin-Bashing mitmachen will, was ihn und (bisheriger?) Parteifreund Wolfgang Kubicki auseinanderbringt, wie Christoph Hickmann und Christoph Schult in „Der Riss“ beschreiben.

Drohen, Bluffen, Zuschlagen – Die Zweite
Der westliche Luftschlag als Friedensofferte
Wer geglaubt hatte, nach der Klausurtagung auf Schloss Meseberg wird losregiert und werden Probleme gelöst, wird in „Schwarz-rote Räteregierung“ von Michael Sauga und Gerald Traufetter eines Besseren belehrt: Im Gästehaus der Bundesregierung wurde in der Klausurtagung beschlossen, die wichtigsten Fragen an 15 Arbeitsgruppen, Konferenzen und Räte weiterzureichen. Da gibt es unter anderem bald einen „nationalen Bildungsrat“, der darüber befinden soll, wie sich die Qualität der Ausbildung vergleichen lässt. Eine neue Kommission zu Daten-Ethik und Wettbewerbsrecht im Digitalbereich ist ein nettes Instrument für all diejenigen, denen die Digitalisieren zu schnell geht. Und wer sorgt nach Auslaufen der Braunkohleförderung für neue Jobs in NRW und in der Lausitz? Natürlich die neue Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, bei der gleich vier Ressorts die Steuerung übernehmen sollen. Und so weiter, und so fort.

Kaum hat man in Meseberg die Koalition befriedet, legt Markus Söder von München aus im Spiegel-Gespräch mit Jan Friedmann, Ralf Neukirch und René Pfister nach in Sachen Islamdebatte, Heimat und innere und äußere Sicherheit an bayerischen Grenzen („Der Islam ist nicht Identitätsstiftend und kulturprägend für unser Land“).

Tim Bartz und Martin Hesse beschreiben in „Das letzte Aufgebot“, wie Aufsichtsratschef Paul Achleitner die Deutsche Bank allmählich in einen hysterisch agierenden Hühnerhaufen verwandelt. Mit Christian Sewing soll wieder einmal ein Neuer nach einem Konzept suchen, mit dem die Shareholder zufrieden sind. Der Neustart jedenfalls war aus meiner Sicht eine Kommunikationskatastrophe ersten Grades. Da sollen die Deutschbänker laut Sewing eine „Jägermentalität“ entwickeln. Das erinnert mich an Alexander Gauland, der nach der Wahl verkündet hatte: „Wir werden Frau Merkel jagen“ und bisher wie beim Rennen zwischen Hase und Igel stets den Kürzeren zieht. Wer etwas bewegen will, braucht die Unterstützung der Mitarbeiter. Die bekommt man nach der x-ten Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede bestimmt nicht. Die Deutsche Bank hat in den vergangenen 20 Jahren ihr in einem Jahrhundert aufgebautes wichtigstes Kapital – Vertrauen, Renommee und Produktstolz – verspielt. Das wieder aufzubauen, wird einige Jahrzehnte dauern. Wenn sie die Zeit dazu kriegt.