Tichys Einblick
Marine-Murks mit verrosteten Tragflächen

Bundeswehr: Neue EU-Mission mit uraltem Flugzeug

Die deutsche Marine soll das Libyen-Embargo überwachen - mit dem rund 60 Jahre alten Aufklärungsflugzeug P-3C Orion, das dazu nicht in der Lage ist, aber viel Geld verschlingt. Die Bundeswehr will offenbar unbedingt alte, kaum flugfähige und im Unterhalt sehr teure Flugzeuge.

Lockheed P-3C Orion

imago images / Reiner Zensen

Nach langem Gefeilsche soll nun doch eine Mission der Europäischen Union zur Überwachung des UN-Waffenembargos gegen Libyen mit Schiffen, Flugzeugen und Satelliten starten. Zwar verlangt Moskau dafür ein neues UN-Mandat und eine rechtzeitige Unterrichtung über die Operation. Die Bundesregierung hat sich dem Vernehmen nach unabhängig davon dazu durchgerungen, die neue EU-Operation „Irini“ mit einem Seefernaufklärungsflugzeug zur Überwachung aus der Luft zu unterstützen. Nachdem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), zunächst keine Schiffe schicken wollte, wurde angeboten, den Seefernaufklärer P-3C Orion zu stellen. In einer sogenannten Truppenstellerkonferenz (Militärjargon) wurden in Brüssel die militärischen Fähigkeiten ausgehandelt, die die beteiligten europäischen Staaten in die Mission einbringen sollen. Der Marineaufklärer ist mit diversen Sensoren ausgestattet und regulär mit einer elf Soldaten umfassenden Besatzung im Einsatz. Das Hauptquartier der Mission soll in Rom eingerichtet werden, dorthin wird auch deutsches Stabspersonal abgestellt. Es wird behauptet, dass die Bundesregierung damit den Erwartungen der EU-Partner nachkomme.

Kramp-Karrenbauer verlangte erst Klarheit über die politische Lösung, bevor Schiffe aus bestehenden Aufgaben herausgelöst werden sollten. Die Deutschen sind dabei mal wieder in der Zwickmühle: Als Organisator und Ausrichter der Libyen-Konferenz in Berlin vom Januar kann sich Deutschland keinen schlanken Fuß leisten. Immerhin hatte man eine politische Führungsrolle im internationalen Vermittlungsprozess übernommen. Das seit 2011 geltende UN-Waffenembargo war dabei bekräftigt worden, gilt aber als weitgehend unwirksam. Deutschland müsse sich nun substanziell an einer Mission beteiligen, heißt es in Berlin, beispielsweise vom außenpolitischen Sprecher der Unionsbundestagsfraktion Jürgen Hardt. Am kommenden Donnerstag, dem 23. April wird der Bundestag erstmals über den entsprechenden Beschluss des Bundeskabinetts beraten.

Europäische Widersprüchlichkeiten

Europäische Widersprüchlichkeiten und deutsche Zwickmühlen ergänzen sich bei dieser Mission „Irini“ in fast schon beispielhafter Art und Weise.

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Bereits mit der früheren Mission „Sophia“ sollten Schmuggel und Menschenhandel im Mittelmeer eingedämmt werden. Die in diesem Rahmen aus dem Mittelmeer gefischten Migranten in den EU-Staaten zu verteilen gelang aber nicht. Länder wie Österreich, Ungarn und andere hatten Bedenken. Die gelten auch „Irini“ gegenüber. Ein solcher Einsatz könnte dazu führen, vermehrt Migranten zur gefährlichen Überfahrt von Afrika nach Europa zu animieren – in der Erwartung gerettet zu werden. Um dem Rechnung zu tragen, sollen die beteiligten Schiffe weiter östlich fernab der häufig genutzten Fluchtrouten vor Bengasi oder dem Suezkanal eingesetzt werden. Ferner soll das Waffenembargo nicht nur vom Meer aus, sondern auch aus der Luft und per Satellit überwacht werden. Mit Flugzeugen und Satelliten lassen sich Migranten lokalisieren, aber eben nicht retten. Die Streitigkeit des maritimen Teils der Mission rührt genau daher. Zudem soll die EU-Ausbildungsmission für die libysche Küstenwache und Marine fortgesetzt werden.
Latenter deutscher Pazifismus

Die deutschen Probleme ergänzen sich in fataler Form mit europäischen Befindlichkeiten. Die kleinste deutsche Marine aller Zeiten würde sich mächtig schwertun, falls sie Schiffe für „Irini“ stellen sollte. Mit Aufklärern können keine Migranten aufgenommen, gleichzeitig sollen die raren Schiffe der Marine geschont werden. So kommt es der Bundesregierung gerade recht, auf das Einsatzmittel Luftaufklärung ausweichen zu können. Andernfalls müssten Schiffe von anderen Missionen abgezogen werden. Mit Luftaufklärung hat man sich bekanntlich schon mehrfach zwar nominell beteiligt, aus den harten Waffeneinsätzen dennoch mehr oder weniger herausgehalten. Zuletzt galt das für den Anti-IS-Einsatz im Nahen Osten. Die Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado haben diesen Einsatz eben beendet. Dem latenten deutschen Pazifismus kommen diese Lösungen entgegen, den unsere Regierung als unveränderlich hinnimmt. 

Nun also Luftaufklärung über See, dafür ist die Marine mit dem Seefernaufklärungsflugzeug P-3C Orion ausgestattet. Dieses Waffensystem hatte in seiner Grundversion am 25. November 1959 seinen Erstflug und wurde 1962 als P-3 in Streitkräften der USA in Dienst gestellt. Der Nachfolger P-3C Orion wurde bis 1990 gebaut. Die US-Streitkräfte nutzen inzwischen längst moderne P-8 Poseidon-Maschinen, eine Militärversion der strahlgetriebenen Boeing 737-800.

Beispiel für Deutschlands merkwürdige Rüstungsbeschaffung

Hinter der P-3C Orion der Marine tut sich mal wieder der wohl typisch deutsche Kosmos höchst merkwürdiger Rüstungsbeschaffungen für die Bundeswehr auf. Früher tat die Breguet Atlantic BR 1150 brav ihren Dienst, ein auch schon in die Jahre gekommenes deutsch-französisches Seefernaufklärungsflugzeug. Forderungen der Marine nach dessen Ablösung und einer Ersatzbeschaffung scheiterten mehrfach. Auf eine Neuentwicklung zusammen mit Frankreich konnte man sich auch des Geldes wegen nicht einigen. 2003 boten schließlich die Niederlande ihre alternden P-3C-Flieger zum Kauf an, die zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Einsatzjahre auf dem Buckel hatten.

Im November 2004 wurde der Kaufvertrag über die Lieferung von acht P-3C einschließlich Ersatzteilen, Flugsimulator und sonstigem Material zu einem Preis von 271 Millionen Euro unterzeichnet. Weitere 24 Millionen Euro wurden für die Ausbildung des deutschen Boden- und Flugpersonals durch die niederländischen Streitkräfte eingeplant. Die erste P-3C wurde im Mai 2006 offiziell der Marine übergeben. Es war trotz des günstigen Einstiegspreises ein schlechtes Geschäft, wie sich alsbald herausstellen sollte. Die Flugzeuge waren in einem bedenklichen Zustand. Nach über 20 Jahren in der Luft über salzhaltiger See hatte sich Korrosion in allen metallischen Fugen und Ritzen breit gemacht. Die Fachleute der Marine schlugen in Anbetracht des miserablen Zustandes der Maschinen die Hände über dem Kopf zusammen: Wo hatten die Einkäufer bloß hingeschaut, als die Flieger vor dem Kauf in Augenschein genommen wurden. Käufer auf dem Flohmarkt mögen sich gelegentlich über den Tisch ziehen lassen, aber das?

Bundeswehr-Desaster
"Nicht einmal bedingt abwehrbereit"
Laut Spiegel betrugen die Beschaffungskosten am Ende gar über 44o Millionen Euro; bis 2014 wurden für Grundüberholungen und Wartungsarbeiten zusätzliche 570 Millionen Euro ausgegeben. Dennoch waren Ende Januar 2015 nur drei der acht P-3C einsatzbereit. Ende 2016 lautete eine Spiegel-Meldung, dass mit Stichtag 30. September 2016 keines der Flugzeuge einsatzbereit war und eine der Maschinen in 10 Jahren gerade einmal zweieinhalb Flugstunden absolviert hatte. Kauf einschließlich Betrieb kosteten den Steuerzahler bis Ende 2014 dann schon mehr als eine Milliarde Euro. Für die Modernisierung wurden 2015 noch einmal 500 Millionen Euro locker gemacht. Die Tragflächen müssen wegen Rost und Materialermüdung ausgetauscht werden. Das veraltete Instrumentenflugsystem war neuen Vorgaben anzupassen. Rechner und Software bedürfen ebenfalls der Erneuerung.
Unbedingter Wille, alte, teure Flugzeuge zu betreiben

Inzwischen hat sich auch der Bundesrechnungshof (BRH) mit den Kosten der Modernisierung der Lockheed P-3C Orion befasst, die nach dessen Ansicht aus dem Ruder laufen. Wie beim Segelschulschiff Gorch Fock scheint ein unbedingter Wille zu bestehen, die Seeaufklärer weiter zu betreiben. Es werde aber „kaum gelingen, alle Flugzeuge bis Ende 2025“ flottzumachen, urteilt der BRH. Dessen Prüfer vermuteten einen „unbedingten Willen zum Weiterbetrieb“ in der Marine, koste es, was es wolle. Ein erneutes Beispiel für eine „traurige Modernisierungsgeschichte“, die Gorch Fock lässt grüßen.

Manche Arbeiten verzögerten sich um Jahre wegen Unverträglichkeiten neu eingebauter Systeme – moniert der Rechnungshof. Die Wunschliste zur Erneuerung der uralten Flieger wurde länger und länger. Ein neues Radarsystem musste es auch noch sein, wenn schon, denn schon. Mittlerweile sind die Kosten nochmals um 340 Millionen Euro gestiegen – dabei sind noch nicht mal alle Aufträge eingerechnet. Wenn es schlecht läuft, kommt auch noch Pech dazu: Ein Brand in einer Lagerhalle zerstörte im Oktober 2018 an die 20.000 Ersatzteile. Nicht mehr existierende Hersteller dürften zu erheblichen Problemen bei deren Nachbeschaffung führen. Die Arbeiten gehen nur zögerlich voran, nicht zuletzt auch infolge von Personalengpässen der Flugzeugwerft, die die Maschinen modernisiert. 

Es werde „kaum gelingen, alle Flugzeuge bis Ende 2025“ flottzumachen, urteilen die Rechnungsprüfer und werfen den Planern Blauäugigkeit vor. Das Verteidigungsministerium aber will weitermachen. Es sehe trotz aller Schwierigkeiten die Investitionen „als gerechtfertigt an“. Dass weiterhin Probleme auftauchen, sei dabei sogar „sehr wahrscheinlich“ bei „durchschnittlich 35 Jahre alten Flugzeugen“. Anders als bei der Gorch Fock braucht die Bundeswehr aber die Orion-Flieger, um ihren NATO-Verpflichtungen im Rahmen von Einsätzen nachkommen zu können.

Einsatz der P3C-Orion für die EU-Mission „Irina“

Kaum einsatzklare Flugzeuge, dennoch soll die deutsche P3C bei dieser miserablen technischen Ausgangslage nun also für die EU in den Einsatz im Mittelmeer gehen. Sie soll in Deutschland stationiert bleiben und von ihrem Heimatflughafen Nordholz in Schleswig-Holstein aus operieren. Damit keine Verlegung einer ganzen technischen und Einsatzkomponente erfolgen muss. Die Entfernung Hamburg – Malta beträgt ca. 2.000 km. Bei einer Reisegeschwindigkeit von etwas über 600 km/h werden über drei Stunden für den Anmarsch ins Einsatzgebiet benötigt, die gleiche Zeit für den Rückflug. Nachdem der Flieger über 13 Stunden in der Luft bleiben kann, verbleiben immerhin eine Hand voll Stunden in der Luft im Einsatzgebiet.

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Vielleicht sollten die Helden, die eine derartige Murksmission planen, einmal die Europakarte und die Seekarte des Mittelmeers in die Hand nehmen. Es ist schlicht und einfach nur lächerlich, unter diesen Rahmenbedingungen von einer Überwachungsmission zu reden. Wenn ein Schweizer Käse nur mehr aus Löchern besteht, fehlt der Käse und der Käufer wird sofern er nicht auf die Waage schaut, hinters Licht geführt. Aber vielleicht ist der Blick auf die Waage gar nicht erwünscht. Es reicht anscheinend bei diesen Ausgangsparametern allen Beteiligten, eine Scheinmission durchzuführen, so kommt man auch der Türkei nicht ins Gehege. Erdogan hat schließlich Truppen nach Libyen zur Unterstützung der dortigen schwächelnden Regierung entsandt, sie wird auch von Italien unterstützt. Dagegen stehen Franzosen und Russen auf Seiten des Rebellengenerals Haftar. Mit einer ernstgemeinten Mission müsste die EU hier Flagge zeigen und sich gegen die Interessen eines EU-Mitglieds positionieren. Da scheint eine Scheinmission vordergründig alle Beteiligten zufrieden zu stellen. Immerhin kommen dabei mal wieder die miserablen Fähigkeiten der Bundeswehr, in diesem Fall der deutschen Marine zum Vorschein. 
Schluss: 

Der deutsche Michel ist in den letzten 15 Jahren vollends zu einem Dukatensesel für unterschiedliche Interessen geworden:

  • Für Partner, die sich ob deutscher Entscheidungen in Rüstungsangelegenheiten auf die Schenkel klopfen; in diesem Fall waren es die Niederländer, die einen fliegenden Schrotthaufen zu Lasten des deutschen Steuerzahlers los geworden sind.
  • Für die Rüstungsindustrie, die, je abwegiger die Ausgangsentscheidungen geraten, umso mehr Verträge bekommt und damit höhere Gewinne einstreichen kann. 

Nicht zuletzt werden die Partnerländer ob der deutschen irrationalen Politik von einer Bredouillie in die nächste getrieben, davon hat sie unabhängig von derartigen Pirouetten eigentlich bereits mehr als genug. Die EU ist mit den gegensätzlichen Positionen der wichtigsten Partnerländer offenkundig mal wieder handlungsunfähig, als typisches Ergebnis dieser Lage werden Scheinlösungen produziert. So kann das mit der EU nicht weitegehen. Wo ist der Ausweg aus dieser verfahrenen Gesamtlage?

Und die Bundeswehr? Einige Basisentscheidungen müssen endlich zurück auf NULL gestellt und politisch wie militärisch dem Grunde nach neu anfasst werden. Dabei wird eine grundlegende Korrektur z.B. der Fehlentscheidung zum Kauf der P3C Jahre dauern und erneut zusätzliche Milliarden kosten. Die Kraft dazu darf getrost bezweifelt werden. Nicht nur die deutsche Marine leidet, unser gesamtes Land leidet an dieser Lage, so kommen wir nicht weiter.