Tichys Einblick
Hauptstadt machte 8. März zum Feiertag

Berlin liegt jetzt zwischen Kirgistan und Uganda

Bitteres Sozialismus-Déjà-vu: Wie eine Russin in Berlin sich am heutigen „Welt-Alibi-Frauentag“ an Unsitten in ihrer alten Heimat erinnert fühlt – denen sie sich entkommen glaubte. Während der Wind des Zeitgeists in Russland weg von dem sozialistischen Experiment weht, hechelt Berlins rot-rot-grüner Senat dem abfahrenden Zug hinterher.

Der 8. März ist ab diesem Jahr gesetzlicher Feiertag in Berlin

Carsten Koall/Getty Images

Es fühlt sich an wie eine Zeitreise, sagt Lena. Und nicht wie eine schöne. Gegen den Weltfrauentag, den 8. März, hat sie Zuhause in Russland und in der Ukraine eine Allergie entwickelt. Doch heute, acht Jahre nach ihrer Ausreise nach Deutschland, hat sie die Vergangenheit eingeholt. Mitten in Berlin. Wo sie inzwischen regelmäßig Sozialismus-Déjà vu´s hat.

„Der 8. März war für mich immer ein Inbegriff der Verlogenheit, der Falschheit“, klagt die elegante Frau mit Ornella-Muti-Gesicht, die ich seit vielen Jahren kenne: „Das ganze Jahr über spürte man nichts von Gleichberechtigung, im Gegenteil, eine völlige Macho-Kultur, in der auch regelmäßige Belästigungen Gewohnheitsrecht waren, und man sich eher darüber aufregte, wenn sich eine Frau darüber aufregte.“ Der 8. März, so findet sie, sei zu einer Art Ablasshandel verkommen in Russland und der Ukraine: „Da gab es dann Blumen, gerade von denen, die einen das ganze Jahr schlecht behandelten oder als Frau nicht für voll nahmen. Ich wünschte mir oft, die würden sich die sonst wo hinstecken – wenn es nicht um die Blumen schade gewesen wäre. Die liebe ich, aber nicht, wenn sie Teil einer solchen scheinheiligen Inszenierung sind, Feigenblätter.“

Als Lena, deren Nachnamen ich aus Gründen der Diskretion nicht nennen will, obwohl sie nicht darauf besteht, 2012 der Liebe wegen nach Berlin übersiedelte, war sie froh, „diesen sozialistischen Ballast 8. März“ – bis auf zahlreiche SMS und Anrufe aus der Heimat – hinter sich gelassen zu haben. Dass sie in den Jahren immer mehr anderen sozialistischen Ballast in der Hauptstadt wiedererkennt, ist eine andere Geschichte.

Armes Berlin
Oh Gott - 8. März – ein gesetzlicher Feiertag!
Als ich ihr einmal unvorsichtig zum 8. März gratulieren wollte, brachte mir das sehr böse Blicke ein, und es erforderte einiges an diplomatischem Geschick, die aufziehende Gewitterfront abzuwenden. In 16 Jahren in Moskau habe ich gelernt, dass nicht wie in Deutschland der Abwasch, falsche Witze oder das Gendern zu den gefährlichsten Mienenfeldern im Zivilverkehr zwischen den Geschlechtern gehören. In Russland und der Ukraine sind die schlimmsten Fettnäpfchenfallen die Auswahl bzw. Großzügigkeit von Geschenken und Komplimenten, das Aufhalten von Türen, Einschenken von Wein sowie das Bezahlen im Restaurant oder Café. Wobei all das nur für Ausländer eine Herausforderung darstellt, russische und ukrainische Männer sind da bestens dressiert, haben dafür andere Schwächen. Aber deren Aufzählung würde hier zu weit führen und sicher den Vorwurf aufbringen, es würden Klischees gehegt.

Zumindest am 8. März sitzen Männer mit russischem, ukrainischem oder westlichen Pass in einem Boot: Sie wissen nicht, wo die Minen liegen. Traditionell gehört es zum guten Ton, jedem nah, näher oder auch nur entfernt bekanntem weiblichem Wesen an diesem Tag mindestens zu gratulieren und im Idealfall Blumen und am besten dazu auch noch Pralinen zu schenken. Wenn sie keine Glückwunsche erhalten, steht das für viele Russinnen und Ukrainerinnen auf Verwerflichtkeits-Stufe irgendwo zwischen Vergessen des Hochzeitstag und Ehebruch – auch ohne Ehering, ja auch ohne jede romantische Komponente in der Beziehung zwischen (Nicht)Gratulierer und Gratulations-Empfängerin. Ein Heer von Ehemännern, viele Chefs, Brüder, Söhne, Kollegen, Hausmeister und anderen Leidensgenossen können ein Lied davon singen – nachdem sie für einen einzigen Gedächtnis-Aussetzer mit wochenlangem Schmollen bestraft wurden.

Die Gefahr des Vergessens wäre dank moderner Technik zu minimieren. Viel riskanter ist es für den potentiell gratulationsbereiten Mann mit gutem Erinnerungsmanagement, an eine 8.-März-Verächterin wie Lena zu geraten. Und davon gibt es immer mehr. Sie lassen im besten Fall die Gratulation mit einem genervten Blick Richtung Decke oder Himmel über sich ergehen. In mittelschweren Fällen verwickeln sie den Gratulierer in eine Diskussion über Emanzipation bzw. deren Schwierigkeiten (um die böse Formulierung „deren Fehlen“ zu vermeiden). Im schlimmsten Fall muss sich der männliche Unglücksrabe mit dem Blumenstrauß in der Hand Beschimpfungen gefallen lassen, wobei dieser Fall angeblich nur theoretisch bekannt ist. Das versichert zumindest Lena – die russischen und ukrainischen Frauen seien zu friedlich für so etwas, es seien auch keine Fälle aktenkundig, in denen die erhaltenen Blumen weiblicherseits als Schlaginstrument eingesetzt wurden, sagt sie, und es ist schwer herauszuhören, ob sie das als Lob oder als Vorwurf meint.

Frauenkampftag als arbeitsfreier Feiertag
Das rot-rot-grüne Berlin hat endlich die DDR überholt
Kurzum, Lena, die sowohl in der Ukraine als auch in Russland aufwuchs und jüdische Vorfahren hat, hatte das Datum, das sie stets fürchtete, schon fast vergessen in „Germania“ – da kam die Nachricht, dass Berlin den 8. März zum Feiertag machen will. Wie im echten Sozialismus. Im sowjetischen – denn was der Berliner Senat mit der in SED umbenannten „Linken“ jetzt auf die Beine stellte, hatten in 40 Jahren DDR nicht mal Ulbricht und Honecker geschafft. Bei denen gab es zwar gute Worte und für Damen mit gut vernetzten Männern im Glücksfall auch die im März im Sozialismus noch seltenen Blumen. Doch die Produktion hatte Vorrang und es musste geschlechterübergreifend gearbeitet werden– während ihre SED-Nachfolger mit ihren Bündnisgenossen im Senat eher losgelöst von solchen faktischen Zwängen ihre Ideologie umsetzen. Bezahlen für den Spaß müssen ja eh die Bayern, via Länderausgleich.

Zuerst hielt Lena die Nachricht nur für einen Scherz: „Ihr braucht ja zum Flughafenbau Jahrzehnte und jede Baustelle zieht sich ewig hin, bis das umgesetzt wird bin ich verrentet!“ Von wegen! Während Säuglinge in der Bürokraten-Hauptstadt ihre Geburtsurkunden erst ausgestellt bekommen, wenn sie zahnen, und selbst simpelste Bürgeramtstermine zuweilen eine monatelange Wartezeit erfordern, ging bei dieser ideologischen Entscheidung alles ganz schnell: Nur sechs Wochen lagen zwischen Beschluss des Abgeordnetenhauses und der Umsetzung. Wobei es noch schlimmer hätte kommen können. So war auch der 8. Mai im Gespräch als Feiertag – der in Russland einen Tag später als „Tag des Sieges“ über Deutschland gefeiert wird. Lena beteuert zwar, dass hätte nicht zu Spannungen in ihrer deutsch-russischen Beziehung geführt und wäre die weitaus entspanntere Variante gewesen – aber man weiß nie, wenn es um die friedliche Koexistenz von Mann und Frau geht …

Ein weiterer Schock erwartete Lena, als sie gestern an einem Zeitungsständer vorbeikam. Da lag die Berliner Morgenpost mit einer Titelseite, auf der einzig und allein Portraits von Frauen abgebildet waren. Überschrift: „Ein Tag für alle Frauen“. Lenas erster Gedanke: „Das ist ja wie früher die Prawda“. Die Assoziation ist zwar leicht schief – die Prawda hatte kaum Bilder und schon gar keine farbigen – aber in der Sache nachvollziehbar.

Auch über den arbeitsfreien Tag kann sich Lena nicht freuen, weil sie Freiberuflerin ist und eigentlich trotzdem arbeiten müsste – aber ihr Nachwuchs jetzt nicht in die Kita kann. „Dumm gelaufen“, wie sie meint – in fast akzentfreiem Deutsch, das sie in vielen Jahren schon vor dem Umzug mühsam erlernte. Aber nun eigentlich gar nicht braucht in Charlottengrad, wie Charlottenburg hier aufgrund der vielen Russen genannt wird. Die meisten ihrer Freundinnen – auch sie zum Großteil 8.-März-Muffel, kommen hier mit extrem bescheidenen bis nicht vorhandenen Deutsch-Kenntnissen bestens klar. „Wenn es so weiter geht, müssen die Deutschen hier irgendwann russisch lernen“, scherzt Lena mit einem Hollywood-Lächeln.

Sie hofft, dass ihr möglichst wenige Männer gratulieren. Lieber wäre es ihr, meint sie verschmitzt, auch das Jahr über öfter mal ein Kompliment zu bekommen, oder sei es nur ein Augenzwinkern, ein Tür-Aufhalten oder ein Aufstehen in Bus oder Bahn, wenn sie mit dem Nachwuchs unterwegs ist: Anders als bei Russen und Ukrainern habe sie bei Deutschen oft den Eindruck, die würden sich so zurückhalten, als stünde jedes Zeigen von Interesse oder auch nur elementare Höflichkeit unter strengster Strafe. „Was das Flirten angeht, haben wir in Russland und der Ukraine eher zu viel des Guten und es wird schnell zu heftig, in Deutschland dagegen gibt es fast gar nichts davon, man fühlt sich hier nicht mehr so recht als Frau, es bräuchte eine Mischung“, sagt sie mit sehnsüchtigem Lächeln.

VERFALL EINER HAUPTSTADT
Wird Berlin zum neuen alten Moskau?
Als sie sich in ihrem Ärger etwas kundig machte über den 8. März, fand Lena neues Material für ihren schwarzen Humor. „Endlich gehöre ich wieder zum progressiven Teil der Menschheit, denn den 8. März kann ich, wie sich herausstellt, heute gemeinsam feiern mit Angola, Armenien, Aserbaidschan, Burkina Faso, Eritrea, Georgien, Guinea-Bissau, Kasachstan, Kambodscha, Kirgisistan, Kuba, Laos, Madagaskar, Moldau, der Mongolei, Nordkorea, Nepal, Russland, Sambia, Tadschikistan, Turkmenistan, Uganda, der Ukraine, in Usbekistan, Vietnam und Weißrussland. Da passt Berlin doch genau hin, in die Liste. Irgendwo zwischen Kirgistan und Uganda.“

Während die Bundeshauptstadt auf den vermeintlich progressiven Zug aufspringt, geht es in Russland in eine andere Richtung. Der kremlkritische Internetsender „Doschd“ machte sich in einer Reklame-Aktion über den Feiertag lustig: „Der 8. März ist ein Atavismus“, also so veraltet und unnötig wie der Blinddarm, schreibt eine Frau vom Sender in einem Newsletter: „Blumen und Geschenke dafür, dass ich XX Chromosomen habe und Ihr XY-Chromosomen – das ist natürlich angenehm, aber unverdient. Fragt die Frauen, die ihr liebt – die willkommensten Geschenke und Umarmungen sind die, die ohne irgendeinen Anlass kommen. Deshalb bieten wir heute einfach so, ohne jeden Anlass, und nicht wegen des einen einzigen Tags im Jahr, der ein Frauentag ist, einen Discount auf unseren Abo-Preis an.“

DDR lebt. In Berlin
Ein neuer Feiertag für Berlin
Clever! Ich nutze inzwischen eine ähnliche Taktik, um die Klippen zwischen 8.-März-Nostalgikerinnen und der wachsenden Verweigerungsfront zu umschiffen: Statt zu gratulieren wünsche ich Ihnen, dass sie so behandelt werden, wie sie es sich wünschen, so viel Respekt und Aufmerksamkeit bekommen, wie sie verdienen, und so viele Blumen, wie sie gar nicht erwarten – und zwar nicht nur am 8. März, sondern das ganze Jahr.

Die Reaktionen sind zu 95 Prozent positiv. Der Wind weht in Russland also weg von dem sozialistischen Experiment mit dem Welt-Alibi-Frauentag. Berlins rot-rot-grüner Senat hechelt einem abfahrenden Zug hinterher.

Olga Romanowa, bekannte russische Menschenrechtlerin und Journalistin, die erst seit nicht allzu langer Zeit in Berlin lebt, leistet passiven Widerstand. Wenn auch zufällig, denn sie fühlte sich – was für ein Leichtsinn – an der Spree sicher vor sozialistischen Feiertagen und verplante den 8. März als Arbeitstag mit diversen Treffen. Als sie von der „Ver-Feiertagung“ erfuhr, und auch noch von einem geplanten Feministinnen-Streik mit Demonstration, erklärte die stets kämpferische Powerfrau auf facebook: „Auf Demos sollen die selbst gehen, was ist denn das für ein Feminismus, für den man streiken muss! Ich finde, Frauenrechte, das sind Rechte die man sich selbst nimmt. Ohne zu fragen.“

Damit liegt Romanowa trotz ihrer Weltfrauentags-Skepsis dem westlichen Ansatz – den 8. März als einen Kampftag für Frauenrechte zu sehen – weitaus näher als er gängigen Praxis in Russland und der Ukraine – wo an diesem Tag nicht die Frauen um ihre Rechte kämpfen, sondern die Männer um ihre Gunst und Absolution für das zuweilen 364-tägige Ignorieren dieser Rechte. Romanowa nimmt das mit dem Kampf wörtlich. Für deutsche Feministinnen wohl zu wörtlich. Empfiehlt sie doch eine handfeste Problemlösung im Kampf der Geschlechter zur Sicherstellung der Gleichberechtigung: „Man kann einem auch einfach eine aufs Auge hauen, so habe ich das im vergangenen Sommer gemacht, und ich hatte Spaß daran.“