Tichys Einblick
Wahlkampfhilfe für die AfD?

Berlin: Abgeordnete genehmigen sich 58 Prozent mehr Geld

Die 160 Teilzeit-Parlamentarier im Abgeordnetenhaus erhalten künftig 6.250 Euro Diäten im Monat, neben einer steuerfreien „Kostenpauschale“ von 2.580 Euro. Im Gegenzug erhöhen sie die Zahl der Parlamentssitzungen im Jahr von 16 auf 18.

imago images / Christian Ditsch

Massive Verluste für die etablierten Parteien in Sachsen und Brandenburg, enorme Gewinne für die AfD: Da sollte vielleicht manchem ein Licht aufgehen, denkt man als einfacher Wähler. Da würde jetzt vielleicht endlich über die Gründe für die Verdrossenheit mit CDU, SPD, Grünen und den anderen mehr oder weniger linken Parteien nachgedacht. Und reagiert. Denkt man. Und macht dann in der Früh den Computer an und liest diese Nachricht: „Berlins Abgeordnete gönnen sich was. Die Volksvertreter wollen ihre Bezüge um 2500 Euro im Monat erhöhen.“

Man verzeihe die Grobheit des Ausdrucks, aber anders kann man darauf nicht mehr reagieren: Ticken die noch richtig? Berlin ist faktisch das Armenhaus unter den Bundesländern, nur Milliardentransfers aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und anderen (noch) normal wirtschaftenden Regionen retten die rot-rot-grün regierte Hauptstadt vor dem Bankrott – und dann wollen die Volksvertreter mal eben kurz ihre eigenen Bezüge anheben. Um eine Prozentzahl, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: gut 58 Prozent.

Die Abgeordneten (m/w/d) müssen sich fragen lassen, ob sie völlig den Bezug zur Realität und vor allem zu den Wählern verloren haben. In Zeiten, wo viele sich nur noch mit Zweitjobs über Wasser halten können, wo Wirtschaftsfachleute vor einer Rezession und Krise warnen, und die Politikverdrossenheit und Klagen über die Abgehobenheit von Politikern Rekordniveau erreicht haben. Jetzt geht die Schere zwischen den Einkommen der Wähler und ihrer Vertreter noch ein Stück weiter auf. Erstaunlich, dass dies die linken Parteien mittragen – die sich sonst immer so sehr über genau diese Einkommensschere beklagen.

Zwar sind die Berliner Volksvertreter mit bisher 3.944 Euro (laut Presseberichten – 3.840 Euro laut Eigenauskunft auf der offiziellen Internetseite, aber wahrscheinlich funktioniert nicht mal die aktuell) im Vergleich zu Bundestagsabgeordnete mit 10.083,47 Euro im Monat nicht extrem gut besoldet – aber dafür sind sie ja auch nur Teilzeitparlamentarier und können anderen Berufen nachgehen. Und bekommen neben der Diät zusätzliche noch eine „nicht steuerpflichtige monatliche Kostenpauschale von 2.580 Euro für Schreibarbeiten, Porto, Telefon, Fahrkosten sowie für die Unterhaltung eines Büros außerhalb des Abgeordnetenhauses“.

Auch die 600 Bezirksverordnetenvertreter bekommen nach der Neuregelung, die von den Parlamentarischen Geschäftsführern der Faktionen für den 1. Januar 2020 abgesprochen haben, gut 56 Prozent mehr Geld: Bei ihnen erhöht sich die Entschädigung also von 600 auf 937 Euro/brutto im Monat. Insgesamt müssen nun jährlich 6,9 Millionen Euro mehr vom Steuerzahler berappt werden – gerade auch von denen in Bayern und anderen Bundesländern. Das habe schon seine Richtigkeit, meint etwa Steffen Zillich von der Linken: Dass Berlin ein sogenanntes Halbzeit-Parlament habe, sei eine „Lebenslüge“. Künftig soll nun die sogenannte Mittelpunktregelung gelten wie im Bundestag. Der berufliche Schwerpunkt soll dann im Parlament liegen, aber Nebentätigkeiten durchaus weiter möglich sein. Von einem „erweiterten Teilzeitparlament“ ist die Rede. „Im Schnitt investieren unsere Abgeordneten in der Woche 50 Stunden in Politik“, rechnet SPD-Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider (50) in der BZ vor. „Wir wollen eine Professionalisierung im Parlament, was dann auch zur Ausweitung der Arbeitszeit führt“, so Daniel Wesener (44, Grüne).

Das entlockt manchen nur ein müdes Lachen. Selbst im linken Tagesspiegel mit seiner Maximal-Toleranz gegen rot-rot-grünen Regierungs-Irrsinn darf ein Kolumnist Kritik üben: „Die Arbeit von Regierungsfraktionen und Opposition in Berlin ist gegenwärtig leider so beschaffen, dass sie den Gegenwert von maximal 500 Euro monatlich repräsentiert, oft auch weniger; gerade hat ein grüner Abgeordneter ernsthaft vorgeschlagen, Radfahrern einen zusätzlichen Urlaubstag einzuräumen.“

Tatsächlich scheint die Arbeitsbelastung überschaubar: Die Zahl der Parlamentssitzungen betrug bisher 16 im Jahr. Künftig sollen es 18 sein, und diese sollen von 10 Uhr bis 22 Uhr statt bisher wie 19 Uhr dauern. Ein nicht gerade ehrgeiziges Arbeitsvolumen, auch wenn man die Ausschüsse noch dazu rechnen muss. Und 58 Prozent mehr Geld für 12,5 Prozent mehr Arbeit, nur weil sie künftig statt als nebenberuflich als erweitert nebenberuflich deklariert wird? Wenn jemand in der freien Wirtschaft solche Forderungen anmelden würde, wäre wohl die Frage nach seinem Geisteszustand schnell auf dem Tisch.

Gut, dass Berlins Medien tendenziell eher mit Samthandschuhen mit ihren rot-rot-grünen Regierenden umgehen. Das geht so weit, dass manche plötzlich eine Rechenschwäche bei der Berichterstattung an den Tag legten. In der BZ hieß es, die Diäten steigen „um ein Drittel. Von aktuell 3.944 auf 6.250 Euro/brutto im Monat.“ Das sind 58 Prozent und damit weit näher bei zwei Dritteln als bei einem Drittel (das wäre eine Steigerung auf „nur“ 5.245 Euro).

Die einzige Partei, die gegen die Änderung ist, ist die AfD. Sie spricht von einem „faulen Kompromiss auf Kosten der Steuerzahler“ und fordert sogar eine Halbierung der Parlaments-Sitze. Wetten, dass dies umgehend als Populismus verurteilt wird? Und Hand aufs Herz: Wenn Politiker eine solche Selbstbedienungsmentalität an den Tag legen, müssen sie sich dann wirklich wundern, dass die AfD trotz aller ihrer Probleme wächst, und wächst, und wächst? Ihre Politiker müssten sich eigentlich bei CDU, SPD, Grünen und Linken bedanken.


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Lesen Sie auch Reitschusters Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad»: Darin lüftet der Autor ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainisch-jüdischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik.

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