Tichys Einblick
Bettina Röhl direkt

1989 – Die Geschichte der Wiedervereinigung

Die rauchenden Ruinen der DDR wurden in den vergangenen Jahren durch ein niegelnagel neues Land ersetzt - jede Fabrik neu, jede Wohnung, jedes Telefonkabel, jede Straße, jeder Kamin, einfach alles. Es bleibt dem Economist vorbehalten, die blühenden Landschaften zu feiern. Deutsche Wirtschaftsmedien schaffen es nicht. Exakt zum Mauerfall titelte Wigitte vom "Stillstandsland Deutschland". Eine groteskere Fehleinschätzung ist kaum denkbar.

Vor 25 Jahren kollabierte die DDR. Deren Wirkmacht ist bis heute ungebrochen.

Der große politische Dialektiker der untergehenden Republik, Marcus Tullius Cicero, selber Chronist seiner Zeit, beflügelte den Mythos des altgriechischen Urvaters der modernen Geschichtsschreibung Herodot. Schon vor mehr als 2000 Jahren war den wachen Geistern der Zeit klar, dass Geschichtsschreibung und  Geschichtswissenschaften eine außerordentlich komplexe Angelegenheit sind. Kaum etwas ist schwerer als die Realität, die Tatsachen und die Kausalitätenverläufe überhaupt zu erfassen und dann auch noch wertneutral zu beschreiben.

Eines erschließt sich in Bezug auf das Jahr 1989, in dem die stalinsche Staatsgründung namens DDR zwar von der Landkarte, aber nicht aus den Köpfen verschwand, relativ einfach: Das tatsächliche Geschehen wurde sowohl von der linken als auch von der konservativen Seite in beiden deutschen Staat diametral anders wahrgenommen. Obwohl die Medien in Echtzeit dabei waren, sind die Räume für unterschiedliche oder gar einander widersprechende Geschichtsschreibungen groß.

Der Linksintellektualismus und der Linksradikalismus, die zwei Seiten der New Left/Westlinken in der Bundesrepublik hatten sich mit der real existierenden DDR vielfältig arrangiert – oft auch zum eigenen Profit oder um operativer, finanzieller und logistischer Unterstützung willen. Die DDR war ein Unrechtsstaat. Sie war eine Diktatur. Dass darüber überhaupt noch gestritten werden muss ist allein schon Beweis für die These, dass die DDR weiterhin schöngeredet wird: Obwohl in der DDR sind politische Todesurteile vollstreckt wurden; trotz der ermordeten Menschen an der Mauer. Und trotz der Tatsache, dass die DDR, die wirtschaftliche Prosperität für alle versprochen hatte, ökonomisch ein Versagerstaat in Mitten einer ökonomischen und ökologischen Trümmerlandschaft war. Gleichwohl gebar die Schicht der satt gefressenen Linksintellektuellen im Westen den eigenartigen Geist der klammheimlichen Verehrung der DDR. Die fiese DDR schönzureden war jahrzehntelang in unterschiedlichster Form Programm. Für diese Linken war die DDR das bessere Deutschland.

So war die DDR in der westdeutschen Öffentlichkeit zwar immer das Land materieller Dürftigkeit, beschränkter Reisemöglichkeit und diktatorischer Freiheitsbeschränkungen. Es war aber zugleich auch der deutsche Staat, der dem eigentlich besseren Sozialismus näher kam als die kapitalistische Bundesrepublik. Die DDR war in vielen Köpfen im Westen der ideale Ausgangspunkt für die Weltverbesserung. Sie wollten durch Demokratisierung und Verbesserung des real existierenden schnöden Sozialismus den dritten Weg zum idealtypischen Sozialismus finden.

Der Mythos vom dritten Weg

Die DDR, die in allen politischen, moralischen und ökonomischen Bedingungen dem Westen zutiefst unterlegen war, war auf eine schizophrene Weise zumindestens in der veröffentlichten Meinung immer auch ein Hätschelkind. Dieser DDR der linken Träume wurde vom bösen Kapitalismus Unrecht getan. Der Nobelpreisträger Günter Grass ist leider politisch ein Naivling und von Wirtschaft versteht er nichts, außer dass er selber ein privates Vermögen gemacht hat. Sein Spruch damals, dass die DDR eine „kommode Diktatur“ gewesen wäre, war symptomatisch für diese Art der  Wahrnehmung der DDR in der Bundesrepublik. Es war seine Idee, die DDR, die wirtschaftlich am Ende war und die ihre Bürger nicht länger ernähren konnte, mit Westkrediten künstlich am Leben zu erhalten. So sollte der berühmte, von Niemandem zu Ende formulierten „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus in Gestalt des „wahren Sozialismus“ endlich gefunden werden. Damals wie heute entsprach dieses Denken einer weit verbreiteten Gefühlsduselei der Linken, die damals wie heute den öffentlichen Diskurs beherrscht und die ein weiteres Unrecht verschweigt oder leugnet: Das Leid der Menschen, die flüchteten. Statt als Freiheitshelden zu gelten trugen Ost-Flüchtlinge den Makel des Verräters, der die mögliche, die bessere Welt aus Dummheit verlassen hat.

Auch in der DDR gab es vielfältige Subkulturen und Bürgerrechtsbewegungen, die ein schizophrenes Verhältnis zu ihrem eigenen Staat hatten. Man war verbotene Opposition und träumte zugleich von jenem heiligen dritten Weg eines „demokratischen Sozialismus“. Den Westen jedenfalls wollte man so nicht.

Dabei hätten 99 Prozent aller Deutschen in Ost und West im Zweifel das Leben in der Bundesrepublik bevorzugt. Aber irgendwelche diffusen schwülstigen, kryptokommunistischen, hochintellektualisierten, realiter extrem primitiven Sympathiegefühle für die DDR auf beiden Seiten des sogenannten eisernen Vorhanges waren der Humus, auf dem 1989 nicht nur Phantasien, sondern auch Initiativen wuchsen, die die vom eigenen Volk zu Grabe getragene DDR aufrecht erhalten wollten. Eine Zweistaatenlösung war die Wunschvorstellung. Die Realität der DDR wurde ausgeblendet; ihre Verbrechen romantisiert und geleugnet.

Ohne Staatsvolk kein Staat

Dass die ökonomisch kaputte DDR nicht mit offenen Grenzen neben der Bundesrepublik existieren konnte, hatten die Ostberliner Kommunisten indes schon 1961 erkannt. Um der Abwanderung aus der DDR einen Riegel vorzuschieben, war bekanntlich die Berliner Mauer gebaut worden. Deren Beseitigung hätte jederzeit, also auch 1989, binnen kürzester Zeit zu einer menschenleeren DDR geführt. Kein Staatsvolk –  kein Staat. So eine der recht einfachen Definitionen dessen, was überhaupt ein Staat ist. Die Mauer war also die Voraussetzung für die Existenzfähigkeit zweier Staaten nebeneinander. Einfache Formel: Mauer weg gleich DDR weg gleich faktische Vereinigung von Ost-und Westdeutschland. Genau das war ganz faktisch die einzige historisch mögliche Folge – und so ist ja bekanntlich auch gekommen.

Die linken und teils auch extremistisch linken Phantasien von der Aufrechterhaltung der DDR (ohne Stasi, ohne NVA und ohne Mauer) standen, was den Realitätsbezug anbelangt, auf Kindergartenniveau. Denn sie leugneten, dass wegen der Realität des Terrors im Alltag und des ökonomischen Versagens Stasi, NVA, Volkspolizei und Mauer die schiere Existenzvoraussetzung für die DDR waren und die DDR ohne diese Machtapparate verschwinden mußte. Zwei deutsche Staaten mit zwei unterschiedlichen Währungen hätte es vielleicht für die Dauer der berühmten logischen Sekunde gegeben. Realität wäre gewesen, dass die D-Mark Staatswährung in der Bundesrepublik gewesen/geblieben wäre und dass dieselbe D-Mark auf dem Gebiet der fortbestehenden DDR einzig gültig Schwarzmarktwährung geworden wäre. Die Zwei-Staatenphantasierer haben nicht verstanden, wie kaputt die DDR war und sie haben nicht verstanden, in welchem Ausmaß die Kaputtheit der DDR logisch zwingende Konsequenz der nicht in die Wirklichkeit umzusetzenden Ideologie war, die am Anfang der Staatsgründung der DDR stand und die heute noch durch die SED-PDS-Linkspartei weht. Aber dies anerzuerkennen würde voraussetzen, dass die Linke ein Weiteres anerkennt: Die Tatsache von der Überlegenheit der Marktwirtschaft zur Planwirtschaft. Märkte wirtschaften effizient – Plan-Beamte ruinieren die Wirtschaft. Diese schlichte Wahrheit ist auch in der SPD und in Teilen der CDU nicht mehr vermittelbar. Um so erstaunlicher angesichts dieser Tatsachen, dass die SED den Übergang in die neue Welt der Wiedervereinigung so grandios bewältigt hat.

Die Geheimwaffe Gysi

Sie hat es dem genialischen Politclown Gregor Gysi zu verdanken (ein immer noch aktueller Text über den heiligen Gregor hier). Er weiß die Lacher auf sich zu ziehen, wie kaum ein anderer in der Republik. Als Lockermann hebt er sich wohltuend von den sonst recht verbissen daher kommenden Linksparteipolitikern ab. Im Praxisstresstest allerdings hat er total versagt. Herumtheoretisieren und Wirklichkeits-und Rechtsverdrehen, das ist sein Spielfeld. Er ist ein reines Showtalent. Den einzigen Einsatz in der harten Politik als Berliner Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, der im Februar 2002 begann und im Juli desselben Jahres schon wieder endete, quittierte Gysi als Totalversager im Amt selber. Er war offenbar heilfroh, dass ihm Unregelmäßigkeiten in Sachen Flugmeilensammlerei unterlaufen waren und er so einen perfekten Rücktrittsvorwand fand.

Gysi war es einst gewesen, der von der SED auserkoren war, um als Oberkommunikator die Kommunistenpartei zu retten und als umgetaufte PDS und Sammelbecken der ewig-gestrigen Gläubigen in die erweiterte Bundesrepublik zu überführen. Wie hoch das Parteivermögen der SED auch immer gewesen sein mag, Geldschiebereien und Schwarzgeschäfte haben es unsichtbar gemacht und es ist bis heute verschwunden. Für wen arbeitet dieses Vermögen seit 25 Jahren und heute? Wer macht damit welche Politik? Gysi jedenfalls hat mit seinen Clownerien die Leute müde gemacht, abgelenkt und, wie auch immer, das unsaubere Parteivermögen gerettet. Für eine andere Lesart gibt es kaum Raum. Und die Propaganda der neuen, alten SED/PDS/Linke knüpfte nahtlos an die Lügenmaschine der untergegangenen DDR an.

Die DDR war der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Propaganda haushoch überlegen

Die DDR war auf dem Gebiet der Propaganda und der Politagitation der Bundesrepublik haushoch überlegen. Siehe hierzu das Buch der Autorin dieses Artikels „So macht Kommunismus Spaß

Die DDR war auf dem Feld der Unterwanderung der Bundesrepublik in einem bis heute qualitativ unterschätzten Ausmaß erfolgreich. Man fragt sich, wie es dieser hässlichen DDR mit ihrer noch hässlicheren Mauer gelingen konnte, so viele schäbige Informelle Mitarbeiter, also Spitzel, unter so vielen westlichen sogenannten Intellektuellen in den Medien, in der Wissenschaft und im Kulturbetrieb, in der Politik, in der Justiz, bei den Gewerkschaften, in der evangelischen Kirche und selbst in der Wirtschaft anzuwerben und für sich arbeiten zu lassen. Bezahlt wurde nur mit Kleckerbeträgen – die Spitzel arbeiteten aus innerer Überzeugung.

Die konservativen Parteien in der Bundesrepublik empörten sich jahrzehntelang über die mehr erahnte als durchschaute Unterwanderung. Aber sie hatten dieser nicht das Geringste entgegen zu setzen, auch nicht während der ausgedehnten Zeiten, in denen sie die Bundesregierung stellten. Im Gegenteil, die konservativen Parteien haben alles getan, um als Vertreter des ewig hässlichen Deutschen West dazustehen, die moralisch mit den SED-Lichtgestalten, die nur ein bisschen kommoden Diktaturdreck am Stecken hatten, nicht mithalten könnten.

Selbst auf dem Felde der Umwelt hatte die Bundesrepublik die Karte des kapitalistischen Drecksfinken, während die DDR bei einer ganz entscheidend niedrigeren Wirtschaftsleistung tatsächlich pro Kopf faktisch der größte denkbare Umweltsünder war. In Bezug auf den Rechtsstaat muss man nicht viel sagen. Die DDR war ein Unrechtsstaat, die SED hatte immer recht, und die BRD war ein Rechtsstaat. Aber selbst hier gab es immer das Image der höheren, der sozialeren, der menschenfreundlicheren Justiz der DDR, natürlich mit ein paar mörderischen Schönheitsflecken. Aber diese wurden schnell weggeschminkt.

Die Mauer als Schutzwall

Die DDR unterstützte die Linksterroristen der Bundesrepublik zum Zwecke der Destabilisierung der Bundesrepublik von innen heraus logistisch mit Geld und als Rückzugsgebiet. Gleichzeitig verkaufte sie sich selbst als der seligmachende deutsche Teilstaat, der so menschenfreundlich war, dass niemand zum Stilmittel des Terrors zu greifen brauchte, um seine schlimmen Lebensverhältnisse erträglicher zu gestalten.

Die Liste der „Kuriositäten“, mit denen die moralische Waage zwischen Bundesrepublik und DDR zu Lasten der Bundesrepublik und zu Gunsten der DDR verdreht wurde und bis heute verdreht bleibt, ließe sich nahezu beliebig verlängern. Man kann das Propagandagenie der SED-Genossen nur anerkennen und in diesem Sinne loben. Wer es fertig bringt, eine Knastmauer als Schutzwall gegen die Bundesrepublik zu verkaufen, und an diese Mär glaubten hüben wie drüben durchaus viele Menschen, der muss ein Propagandakünstler sein und es zeigt, wie stark die kommunistische Ideologie in allzu vielen Köpfen Spuren hinterlassen hat.

Die Mauer, die vor 25 Jahren fiel, hat eine bis heute unerkannte politische Bedeutung. Sie war in der gesellschaftlichen Wahrnehmung eben nicht nur der Gefängnisstacheldraht, sondern sie ist den Menschen auch als antiimperialistischer Schutzwall eingetrichtert worden. Die Mauer war das brutale Symbol des guten und hehren Kampfes der Kommunisten gegen die ewigen Revanchisten, Imperialisten, Kapitalisten und ewig gestrigen Faschisten in der Bundesrepublik. Die Mauer war die Grenze zwischen Gut und Böse. Und das Böse ist im Westen, immer.

Mit Hilfe der Mauer ist es der DDR gelungen, der Bundesrepublik das Stigma des hässlichen latenten Nazis oder Neonazis aufzudrücken. Noch in der Todesstunde der SED 1989 gehörte es zu den üblen Rettungstricks, sich als das eigentliche Bollwerk im Kampf gegen Rechts zu verkaufen, als Bollwerk gegen den Faschismus. Eine neue Volte der DDR-Propaganda verselbständigte sich seither und lebt in Saft und Kraft in der neuen Bundesrepublik. Jeder will am Kampf gegen Rechts beteiligt sein und jeder will jeden bei diesem Kampf übertreffen. Und jeder fühlt sich 70 Jahre nach Hitlers Tod ein bisschen so, wie der eigentliche Widerstandskämpfer gegen den braunen Diktator. Dieser Wahn ist das vergiftete Erbe der DDR. 

Das faschistische Element der DDR

Das faschistische Element, das der DDR-Diktatur inne wohnte, ist so in die neue Bundesrepublik hinübergetragen worden. Hilfreich war, dass die untergehende DDR und die SED ihr eigenes, sie selbst belastendes Material großzügig vernichten konnten und dass die Spitzelstrukturen der DDR-Propaganda im Westen ganz und gar unangetastet blieben. Die deutsche Justiz hat sich mit der Aufarbeitung dieser Spionagestrukturen eigenartig schwer getan. Selbst bei dickster Beweislage, die jeden mutmaßlichen Bankräuber in den Knast gebracht hätte, wurden aus IMs immer wieder Bürger mit besonders weißer Weste.

Es ist ein Spiel mit sich ständig ändernden Masken – ist Gysi gleich IM Notar (was nicht behauptet werden darf) oder  ist er vielleicht auch noch IM mit sonstigem Namen; wozu es ebenfalls Anhaltspunkte, aber keine gerichtlich anerkannten Beweise gibt? Diese Fragen werden seit 25 Jahren gequirlt. Eigentlich schade, dass sich soviele unerkannte IMs so nachhaltig feige vor ihrer eigenen Vergangenheit drücken. Siehe hierzu auch diesen Text aus 2008, als es wiedermal zu Veröffentlichungen zu Gregor Gysi Vergangenheit kam, die wie immer keine Chance hatten.

Die schon von Helmut Kohl forcierte Politik des Wegschauens und Verdeckens alter Stasiverstrickungen, weil es angeblich für die schnelle Stabilisierung der Nachwendeverhältnisse klug wie notwendig war, hat zu einer Unkultur des Vergessens geführt; trotz Gauck-Birthlerbehörde. Der politische Schaden dieser Politik des Wegwischens und Vertuschens überwiegt den Nutzen nachhaltig.

Die Bundesrepublik ist der kritisierte Rechtsstaat

Der Stasi-Unterdrückungsapparat der DDR war einer der größten Arbeitgeber des Landes mit besten Westkontakten. Diese Tatsache aus dem öffentlichen Bewusstsein erfolgreich verdrängt zu haben, ist eine der wesentlichen Bedingungen dafür, dass die systematische Vergoldung der DDR wie ein perpetuum mobile läuft.

Die Bundesrepublik ist bis heute der kritisierte Rechtsstaat und die Bundesrepublikaner sind die miese, rechte, verdächtige Bevölkerung. Das jedenfalls ist die Lesart der guten, also linken Deutschen, die sich selber als die eigentlichen Erben der in der Nazizeit verfolgten Kommunisten oder Sozialisten sehen. Als Nutznießer der ererbten Moral, die man allerdings schlechterdings nicht erben kann, deuten sie mit dem Finger auf die als latent rechten „anderen“ Deutschen, die es eigentlich zu beseitigen gelte: „Nie wieder Deutschland“. Es ist eine Art perverse Geschichte-Revisionismus: Die BRD möge untergehen und die DDR wiederauferstehen.

So wie die DDR/SED bereits seit den fünfziger Jahren die Botschaft in die Welt trug, dass sie keine, wie auch immer geartete Verantwortung für die Naziverbrechen hätte und im Gegenteil eigentlich selber flächendeckend aus den Deutschen bestünden, die die wahren Opfer der Nazidiktatur gewesen wären, so setzte sich erfolgreich die Botschaft durch, dass die DDR eben das bessere antifaschistische Deutschland gewesen wäre. Die SED führte durchaus ein linksfaschistisches oder kryptokommunistisches Machtregime mit einer hoch aktivierten Denunziationsunkultur im eigenen Land. Einer der Wahlsprüche der Kommunisten lautete: der schlimmste Feind im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant. Dieser Spruch galt aber nur für die anderen. Sie selber verlangten Denunziation am Fließband.

D-Mark und die DDR

Im sogenannten Kampf der Systeme in den Zeiten des Kalten Krieges, der mit dem Mauerfall vor 25 Jahren zu Ende ging, haben die Regierungen der Staaten des Westens kein Ruhmesblatt erworben. Letzten Endes war die Grundbedingung für den politischen Untergang der DDR die Existenz der D-Mark. Diese westdeutsche Mark hatte sich nach dem Dollar zur härtesten Währung der Welt entwickelt. Diese D-Mark führte zu einem derart großen Gefälle zwischen westdeutscher und ostdeutscher Wirtschaft, dass der Kollaps der DDR, der mehrfach auch mit westlichen Milliardenkrediten verschoben worden war, nicht mehr zu verhindern war.

Der große Meister der Wiedervereinigung war der letzte westdeutsche und später erste gesamtdeutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und das ziemlich allein. Sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Ich, Ich, Ich, ich,…. „Ich bin heute zu Ihnen gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise…“ (30.September 1989 in der bundesrepublikanischen Botschaft in Prag) hat einen weit geringeren Anteil am Wendewunder der Jahre 89/90.

Und die SPD mit ihrem damaligen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine spielte eine kontraproduktive Rolle im frühen Vereinigungsprozess. Lafontaine sah die DDR vor allem als finanzielle Last – unvergessen seine Forderung, den Zuzug der vor dem Sozialismus flüchtenden Deutschen-Ost nach West zu unterbinden um sein heimliches Traumland-Ost mit einer Art Mauer-West zu stabilisieren.

Historischer Geniestreich Helmut Kohls

Der Einheitskanzler hat in der Tat die Alliierten in London und Paris im Ergebnis sehr rasch auf seinen politischen Kurs gebracht, wenn auch mit Zugeständnissen. Die entscheidenden Präsidenten in Moskau, Michael Gorbatschow, und in Washington George Bush waren allem Anschein nach sehr willig, die deutsche Einheit zu unterstützen. So gesehen überschätzt man vielleicht die weltpolitische Leistung Kohls. Das eigentliche Wendewunder, das Helmut Kohl vollbracht hat, bei dem ihm der SPD-Ehrenvorsitzende Willi Brandt mit seiner Haltung „Es wächst zusammen, was zusammen gehört“ half, ist das Wunder, das sich innerhalb Deutschlands vollzogen hat: Die inneren Fliehkräfte, die kontraproduktiven Ideologen in beiden Teilen Deutschlands zu überwinden und die ewig-gestrigen Linken in Ost und West zu übertölpeln. Kohl hat sie daran gehindert, den Einigungsprozess zu verhindern, das war sein eigentlicher historischer Geniestreich. Nur durch sein Wirken konnte der Einigungsprozess gelingen.

Die innerdeutschen Feinde der Wiedervereinigung, die Stänkerer, die Putzmacher – das waren die Kräfte, die Helmut Kohl in Schach halten musste und die auch dem folgenden Vereinigungsprozess Sand ins Getriebe streuten. Eine der wirksamsten Sandstreumaschinen war und ist die Linkspartei, die keinen einzigen konkreten politischen Ansatz zu bieten hat und dabei immerhin knapp zehn Prozent der Wähler im ganzen Bundesgebiet anlockt. Wolf Biermann hatte mit seiner kleinen Attacke gegen die Linkspartei im deutschen Bundestag mehr als recht. Typisch, dass ihm ein paar linksverdrehte Spinner ihren hässlichen Mittelfinger, teils rechtskapitalistischen Finger zeigen. Helmut Kohl war der richtige Mann am richtigen Platz zur richtigen Zeit und das war das historische Glück der heute gesamtdeutschen Bundesrepublik.

Vera Lengsfeld „89- Tagebuch der Friedlichen Revolution“

Das „Tagebuch der Friedlichen Revolution“, das Vera Lengsfeld zum 25. Jubiläum der Wiedervereinigung beisteuert, bietet eine sorgfältig und neutral ausgewählte Faktensammlung der Ereignisse auf der Ostseite der Mauer. In einem durchgängigen Tagebuch vom 1. Januar 1989 bis zum 31.Dezember des Jahres erfährt der Leser Mosaikstein um Mosaikstein, welche widerstrebenden Ideen, Gruppierungen und Bündnisse in der untergehenden DDR um Macht und Einfluss rangen.

Das Buch ist vielleicht noch interessanter für diejenigen, die die Zeit miterlebt haben und ungefähr noch wissen, was die DDR war. Aber es ist auch ein klassisches Schulbuch für junge Leute, die noch gar nichts wissen und deren Lehrer einen Leitfaden benötigen. Die Bürgerrechtlerin und wahrhaftige Zeitzeugin Vera Lengsfeld nimmt sich persönlich ganz zurück und referiert die Fakten und zeigt Zusammenhänge auf.

Das Buch kommt unscheinbar und auch nicht sonderlich ansprechend verpackt daher, aber es ist ein guter Wegweiser durch die letzten Tage der DDR und es belegt mit welchen innerdeutschen, hausgemachten Problemen und Stolpersteinen der Einigungsprozess gepflastert war.

Die Historisierung der Geschichte der deutschen Einheit ist nach wie vor eine diffizile Angelegenheit, weil allzu viele interessengesteuerte Gewissheiten verbreitet werden und im öffentlichen Bewusstsein festsitzen, die von der Realität weit weg sind.

Diejenigen, die die deutsche Teilung veranstaltet haben, waren Stalins Kommunisten und deren Nachfolger im Geiste und heute betrachten es letztere als ihre vornehmste Aufgabe, die eigene Geschichte und die Geschichte der DDR zu vergolden. Die Ausgangsposition für die Vergolder derlei Positionen sind zum Nachteil der Bundesrepublik nach wie vor all zu gut. Wie so oft in der Politik gilt: Aufklärung tut Not.

Vera Lengsfeld, „1989, Tagebuch der Friedlichen Revolution“
Erschienen 2014 im TvR Medienverlag, Jena