Tichys Einblick
Benehmen Sie sich!

Endzeiten sind stillos

Angela Merkels Fall ist auch ein Fall von Anstand und Benimm. Sie selbst hat allerdings durch falsches Verhalten dafür gesorgt.

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Es sind Endzeiten. Und was für welche! Die Endzeiten einer Kanzlerin, die Endzeiten einer einstmals ehernen Fraktionsgemeinschaft und Endzeiten einer Koalition, die aus den Windeln direkt aufs Totenbett verlegt wurde. Endzeiten für späte Karrieren (Seehofer) wie für frühe (Spahn), Endzeiten vor allem aber für vertraute politische Abläufe. Vor allem aber: auch jetzt wie leider fast immer in emotionalen Wallungen sind es Endzeiten für Stil und Anstand!

Wie sehr hatte sich die Kanzlerin gewünscht, ihren Abgang eines Tages selbst bestimmen zu können und aus freiem Willen und unter freiwilliger Nennung eines Datums abzutreten. Dafür aber es hätte es auch ihrerseits einer anderen Stil-Form bedurft. Kann schon sein, dass Naturwissenschaftler sich mit solchen Petitessen nicht aufhalten. Aber Angela Merkel verrichtete ihr Tagwerk nicht in irgendeinem verstecktem Physik-Labor, wo man mit emotionaler Intelligenz keinen Preis gewinnt, sondern am „ersten“ Schreibtisch eines der bedeutendsten und wirtschaftlich stärksten Ländern der Erde. Dummerweise wollen Bürger, die alle vier Jahre zu Wählern werden, ja ab und zu Erklärungen, wollen sogar Führung. Und das ist und war ihre Sache nicht. Angela Merkels Stil ist ja nicht so weit entfernt vom „Basta“ ihres autoritären Vorgängers. „Ich hab‘s verstanden, und wenn ich‘s verstanden hab, ist alles gut, macht Euch keine Sorgen, ich bin da, Eure Mutti“. Zu wenig für epochale Entscheidungen wie Finanzkrise, Energiewende, Flüchtlingsströme. Erklären, emotionale Begleitung, das berüchtigte „Mitnehmen“ der Gesellschaft also und ihrer Bürger mag für eine Physikerin „Gedöns“ sein, für eine Kanzlerin ist es mehr denn je unverzichtbares politisches Handwerkszeug.

Die Ära ist beendet, sie endet unrühmlich und auch schmählich, vor allem aber endet sie stillos.

Jeder Hund darf jetzt sein Bein heben, jeder zu Recht unbekannte Hinterbänkler „hab ich doch schon immer gesagt“ kläffen, die gratismutigen (weil ehemals so liebedienerischen) Journalisten dürfen sich erheben und öffentlich-rechtlich den Rücktritt fordern und jeder Provinzpolitiker sich mit unbedarften bis blödsinnigen Vorschlägen zur Nachfolge melden.

Kapitulation
Rien ne va plus, Merkel, in Brüssel geht nichts mehr
Der Sozen-Erzengel Gabriel macht sich heuchlerisch Gedanken um den Geisteszustand der Unionsparteien („sind die völlig wahnsinnig?“) und vergisst dabei wohlweislich, dass es um eben diesen bei seiner eigenen Partei schon längst geschehen ist, woran er, der so öffentlich Besorgte, einen ordentlichen Anteil hat. Die grüne Betschwester Katrin Göring-Eckardt, vom neuen Grünen-Vorsitzenden Habeck mit Bedacht in den medialen Schatten gestellt, will die Kanzlerin nicht stützen, „bei der Politik, die sie jetzt macht“. Ach Gottchen: als wenn solche versteckten Stillosigkeiten jetzt einer sehen will. Und allzumal, KGE: im Zweifel sind die Absprachen schon weiter gediehen, als Sie glauben, Ihnen hat es halt noch keiner gesagt, wird schon seinen Grund haben.

Bundes-Steinmeier, der auch mehr als ein Jahr nach seiner Wahl nicht aus dem grauen Kleid der Beamtenseele gefunden hat, darf natürlich nicht fehlen mit einer pseudogravitätischen Aussage: „Ich habe mich dieser Tage häufiger gefragt, wie sollen wir eigentlich erfolgreich für Vernunft und Augenmaß in der politischen Debatte werben, wenn auf höchster Ebene und selbst im Regierungslager mit Unnachsichtigkeit und maßloser Härte über eigentlich doch lösbare Probleme gestritten wird.“ Manchmal, Herr Bundespräsident, ist nix sagen irgendwie staatstragender!

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig weiß auch noch was: die SPD werde in dieser Frage zwar nicht weiter zugucken. „Aber die SPD ist auch nicht das Kindermädchen von Herrn Seehofer und Frau Merkel.“ Na vielleicht doch, Frau Schwesig, das würde immerhin deren gruslige Umgangsformen erklären!
Damit wir uns nicht falsch verstehen: das „Schicksal“, also das politische Ende der Angela Merkel ist selbstverschuldet, durch eigene Verstöße gegen Stil und Anstand auch durchaus berechtigt. Mag es sich jetzt auch noch hinziehen, was uns bitte erspart bleiben möge, so ist das Totentremolo, die Begleitmusik derer, die noch bis vor kurzem nicht nah genug an der Kanzlerin dran sein konnten und deren Kotau vor ihrer Flüchtlingsentscheidung nicht tief genug sein konnte, vielleicht politischer Alltag, es bleibt aber dennoch heuchlerisch und deswegen schlechtes Benehmen. Und darauf darf, darauf muss eine Benimm-Kolumne durchaus aufmerksam machen!