Tichys Einblick
Inflation und Wahlverlust

Die Wirtschaftskrise in der Türkei hört auf den Namen Erdogan

Nach Schätzungen liegt die Inflation in der Türkei bei mehr als 100 Prozent. Erdogans Wahlgeschenke, wie die Verdopplung des Mindestlohns, helfen weder der Wirtschaft noch bei den Kommunalwahlen. Die Türken sind mit ihrem Präsidenten zunehmend unzufrieden. Von Samuel Faber

IMAGO / APAimages
Diese Wahl gilt als Zäsur. Die AKP um Recep Tayyip Erdogan kam landesweit nur noch auf 35,5 Prozent. Nach Angaben der Behörden gewann die AKP lediglich 24 der 81 Bürgermeisterämter.

Die islamisch-konservative AKP wurde damit erstmals seit ihrer Gründung 2002 nur zweitstärkste Kraft. Sie gewann nach Angaben der Wahlbehörde 24 der 81 Bürgermeisterämter und kam landesweit auf 35,5 Prozent der Stimmen. Ungewohnt selbstkritisch gab sich Erdogan nach der Wahl. Man habe in der gesamten Türkei „an Höhe verloren“, sagte er. „Leider konnten wir neun Monate nach unserem Sieg bei den Wahlen am 28. Mai bei den Kommunalwahlen nicht das gewünschte Ergebnis erzielen“, betonte der Präsident.

So habe das Volk seiner Partei eine Botschaft übermittelt, die sie mit mutiger Selbstkritik analysieren werde. „Wir werden unsere Fehler korrigieren und unsere Unzulänglichkeiten beseitigen“, versprach er. Und zum Ende gab er sich kämpferisch. Dies sei noch nicht das Ende, sondern ein Wendepunkt. Was nach Durchhalteparolen und Zweckoptimismus klingt, hat durchaus einen ernsten Kern. Denn der Zustand der türkischen Volkswirtschaft ist schlecht.

Galoppierende Inflation schadet dem Verbraucher

Ein wesentlicher Grund für die ökonomische Misere ist die galoppierende Inflation. Die Teuerungsrate ist im März auf den höchsten Stand seit mehr als einem Jahr gestiegen. Die Verbraucherpreise lagen durchschnittlich bei sagenhaften 68,5 Prozent über den Werten vom Vorjahresmonat, teilte das türkische Statistikinstitut TÜİK mit. Das ist der höchste Wert seit November 2022. Im Februar lag die Teuerungsrate noch bei rund 67 Prozent.

Und das sind nur die offiziellen Zahlen, die im Ausland, aber sogar in der Türkei selbst angezweifelt werden. So widerspricht die Forschungsgruppe Enag den offiziellen Publikationen von TÜİK und geht von einer Inflation aus, die mit 125 Prozent doppelt so hoch ausfällt, wie die staatliche Behörde es prognostiziert. Seit Jahren erfahren die Institute um Präsident Erdogan einen Vertrauensverlust, der sich auch an den Wahlergebnissen messen lässt.

Langfristig sinkt der Lebensstandard

Inflation wird im Allgemeinen, hohe Inflation im Speziellen, als schädlich für die Wirtschaft angesehen, da sie die Kaufkraft einer Währung untergräbt. Wenn die Preise für Waren und Dienstleistungen steigen, benötigen die Menschen mehr Geld, um die gleiche Menge an Gütern zu kaufen, die sie zuvor mit weniger Geld kaufen konnten. Dies könnte zu einem Rückgang der Verbraucherausgaben führen, da die Menschen tendenziell dazu neigen, Geld zu sparen, anstatt es für teurer gewordene Güter und Dienstleistungen auszugeben.

Zusätzlich kann Inflation es Unternehmen erschweren, zukünftige Pläne zu schmieden, da sie Schwierigkeiten haben könnten, zukünftige Kosten oder Preise vorherzusagen. Eine hohe Inflationsrate kann auch zu sozialen und politischen Unruhen führen, da langfristig der Lebensstandard der Bürger sinkt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Auswirkungen der Inflation oft nicht sofort spürbar sind. Vielmehr ist der Entwicklungszeitraum langfristig.

Viel zu späte Zinswende

In den letzten Jahren hat die Türkei eine hohe Inflationsrate erlebt, was zu einem Rückgang der Kaufkraft der türkischen Lira geführt hat. Dies bedeutet konkret, dass die Menschen mehr Lira ausgeben mussten, um die gleichen Waren und Dienstleistungen zu erwerben, was zu einem Rückgang des Lebensstandards und zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt hat. Diese Situation zeigt deutlich, wie Inflation das tägliche Leben der Menschen beeinflussen kann, bis hin zu Wahlen.

Ein wesentlicher Störfaktor für eine geringere Inflation ist Präsident Recep Tayyip Erdoğan selbst. Der Präsident stand in der Vergangenheit für seine Zinspolitik scharf in der Kritik. Denn obwohl die Preise immer weiter stiegen, trotzte er der Empfehlung von Ökonomen, die Leitzinsen zu erhöhen. Erst nach seiner Wiederwahl im September letzten Jahres leitete er viel zu spät die Zinswende ein. Er erhöhte die Leitzinsen von 8,5 auf 45 Prozent. Im vergangenen Monat wurde der Zins erneut angehoben: Aktuell steht die Türkei bei 50 Prozent Leitzins.

Die Opposition profitiert

Doch der Leitzins ist nur ein Faktor. Ein anderer Grund für die hohe Teuerungsrate in der Türkei liegt am Wertverlust der Lira. Während man im Jahr 2015 noch für einen Euro drei türkische Lira erhalten konnte, ist dies heute undenkbar. Nun liegt der Kurs bei dem zehnfachen Wert von knapp 35 Lira pro Euro. Das Verhältnis zu anderen wichtigen Währungen sieht hierbei nicht besser aus. So erhält man für einen US-Dollar knapp 32 türkische Lira. Durch die schwache Landeswährung verteuern sich viele importierte Produkte auf dem Weltmarkt, zumindest solche, die mit Devisen bezahlt werden müssen.

Ein weiterer Grund für die katastrophale Lage ist die Erhöhung des Mindestlohns im Januar. Es wird vermutet, dass Erdogan dadurch die Kommunalwahl in seinem Land zu seinen Gunsten beeinflussen wollte. Doch selbst eine Verdopplung, gemessen an dem Mindestlohn von Januar 2023 und die Tatsache, dass rund sieben Millionen Türken von der gestiegenen Lohnuntergrenze profitierten, beeindruckte die Wähler wenig. Stärkste Kraft bei dieser Wahl wurde die oppositionelle CHP.

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