Tichys Einblick
Die Macht der Weltgesundheitsorganisation 1

Neue WHO-Verträge ebnen den Weg für die Aushebelung der Grundrechte

Der Bundestag hat einer „Stärkung“ und „Reform“ der WHO zugestimmt. Doch was verbirgt sich hinter diesen Euphemismen? Sind WHO-Empfehlungen künftig verbindlich? Was kommt auf die deutsche Bevölkerung zu? Sind Lockdowns, Testregimes und Impfpflichten schon bald die Regel? Von Antje Maly-Samiralow

IMAGO / Eventpress
„75 Jahre WHO – Stärkung und Reform der Weltgesundheitsorganisation“, titelte ein Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, über den am 12. Mai 2023 im Bundestag abgestimmt wurde.

Was zunächst als hehre Haltung und sowohl rational als auch moralisch nachvollziehbare Motivation anmutet, der sich die Parlamentarier prompt anschlossen – der Antrag wurde mit 497 zu 68 Stimmen angenommen –, könnte sich als Trugschluss erweisen. Die bislang vorliegenden Entwürfe zur Neugestaltung der Verträge zwischen der WHO und den Vertragsstaaten, zu denen auch Deutschland zählt, entpuppen sich möglicherweise als Büchse der Pandora.

Was also verbirgt sich hinter den Euphemismen „Stärkung“ und „Reform“ der WHO?

Eine Bestandsaufnahme

In oben genanntem Antrag, der als Drucksache 20/6712 abrufbar ist, wird die Notwendigkeit zur Stärkung der WHO unter anderem wie folgt begründet:

„In einem komplexen geopolitischen Umfeld ist eine stärkere, effektivere, rechenschaftspflichtige sowie unabhängige und nachhaltig finanzierte WHO im Kern des multilateralen Systems notwendiger denn je“, sowie an anderer Stelle:

„Die COVID-19-Pandemie hat zudem die grundlegende Bedeutung der WHO in der Pandemieprävention, -vorsorge, und -reaktion verdeutlicht.“

Richtig ist, dass die WHO mit Ausbruch der COVID-19-Pandemie Empfehlungen unter anderem für die Regelung und Einschränkung des internationalen Reiseverkehrs, zum Einsatz von Masken, zum Testregime mittels PCR-Methode sowie zur Immunisierung gegen COVID-19 abgegeben hat.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Verlautbarungen aus der WHO bislang – und also auch während der COVID-19-Pandemie – streng formal-juristisch betrachtet keinen verbindlichen Charakter hatten, sondern Empfehlungen waren, die die Vertragsstaaten ablehnen konnten. Das soll sich ab 2025 ändern.

Ein Teil der Organisationen, die die Neuordnung der WHO entscheidend vorantreiben, sind in oben genanntem Antrag explizit erwähnt:

„Verschiedene internationale Foren und Gremien, darunter die G7, die G20, das Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response (IPPPR) und das Global Preparedness Monitoring Board (GPMB), haben konkrete Empfehlungen zur Verbesserung der multilateralen Pandemiepolitik vorgelegt.“

Globale Gremien greifen massiv in das Leben der deutschen Bevölkerung ein

Supranationale Gremien, deren Mitglieder nicht vom deutschen Souverän legitimiert sind, die keinen Bezug zum Grundgesetz und keinerlei Verpflichtungen gegenüber der deutschen Bevölkerung haben, erachten eine besser vernetzte und funktionsfähigere Pandemiepolitik für notwendig und gaben entsprechende Empfehlungen ab, auf deren Grundlage die Erweiterung von WHO-Kompetenzen und -Regelwerken angestoßen wurde, was in oben genanntem Antrag so formuliert wurde:

„Darauf aufbauend wurden zwei wesentliche Prozesse zur Verbesserung globaler Strukturen gestartet.

Was konkret mit der „Verbesserung globaler Strukturen“ gemeint ist und für wen was besser wird, lassen wir vorerst dahin gestellt sein. Der Antrag fährt wie folgt fort:

„Derzeit wird die Novellierung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV), das zentrale Instrument im Umgang mit Krankheitsausbrüchen mit internationalem Gefahrenpotential, verhandelt. Die endgültigen Änderungsvorschläge sollen bis 2024 vorliegen.“

Die IGV sind ein Instrument des Völkerrechts, das für 196 Vertragsstaaten, darunter die 194 WHO-Mitgliedstaaten, rechtsverbindlich ist. Liechtenstein sowie der Heilige Stuhl in Rom sind Vertragsstaaten, aber keine Mitgliedsstaaten der WHO. Was die IGV beinhalten können, wird in Artikel 22 der WHO-Verfassung abschließend geregelt. Welche IGV-Änderungen bis dato konkret vorgesehen sind und welche Auswirkungen diese auf unser aller Leben haben könnten, schauen wir noch genauer an.

Vorerst zum zweiten Vertragswerk, über das aktuell als „Pandemievertrag“ gesprochen wird und das in dem Antrag so angekündet wird:

„Parallel und kohärent zu den Abstimmungsprozessen zur Änderung der IGV laufen die Verhandlungen über ein Pandemieabkommen oder -instrument, dessen Ziel es ist, durch einen ganzheitlichen Ansatz besser auf Pandemien zu reagieren.“

Besagtes Pandemieabkommen wird neu ausgehandelt. Die bisherige Planung sieht vor, dass anlässlich der 77. Weltgesundheitsversammlung, die im Mai 2024 ansteht, ein Verhandlungsergebnis vorliegen soll.

Im vorliegenden Antrag werden die bislang erwogenen Vertragsänderungen sowie die Vertragsbestandteile des neuen Pandemievertrages nicht konkretisiert. Das lässt vermuten, dass die Anfang Mai 2023 im Deutschen Bundestag zur Abstimmung gebetenen Parlamentarier, sofern sie sich nicht selbst in die höchst komplexe Materie eingearbeitet haben, nicht wussten, worüber sie abstimmen.

Andernfalls hätte es nie zu einem Abstimmungsverhältnis von 497 für und lediglich 68 gegen den Antrag abgegeben Stimmen kommen dürfen. Denn die geplante „Stärkung“ der WHO heißt nichts anderes, als dass die WHO unter anderem künftig darüber entscheiden kann, wann und für wie lange eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite (Public Health Emergency of International Concern – PHEIC), mithin eine Pandemie, ausgerufen werden kann und mit welchen global verbindlichen Maßnahmen die Vertragsstaaten zu reagieren haben werden. Das betrifft selbstverständlich auch Deutschland.

Zu besagten Maßnahmen könnten unter anderem Teststrategien, das Verhängen von Lockdowns, Zutrittseinschränkungen mit Zertifikats- bis hin zu möglichen Impfpflichten sowie der Verpflichtung zu anderweitigen pharmakologischen Interventionen zählen.

Damit würde die WHO maßgeblich in das Leben der deutschen Bevölkerung eingreifen und die Wirtschaft bzw. einzelne Wirtschaftszweige im Fall von Lockdowns massiv schädigen können.

Die gravierendsten Neuerungen der WHO-Vertragswerke

Werfen wir zunächst einen Blick auf die gravierendsten Änderungen der IGV:

In Art. 1 IGV war der Terminus „standing recommendation“ – was man als „längerfristige“ oder „permanente Empfehlung“ übersetzen kann, bislang als „non binding“ – also als „nicht bindenden Rat“ bzw. „nicht verbindliche Empfehlung“ der WHO definiert. Die Änderung des Art. 1 IGV sieht vor, „non binding“ zu streichen. Gleiches gilt auch für den nächsten Passus der „temporary recommendation“ – also „vorübergehender, zeitlich begrenzter Empfehlungen“. Auch hier wird die Definition der Freiwilligkeit, der Unverbindlichkeit aus dem Vertragstext gestrichen.

Das bedeutet, dass die bisherigen Empfehlungen der WHO verpflichtenden Charakter annehmen. Diese Tendenz findet sich auch im Entwurf zum Art. 13A IGV wieder. Hier heißt es: „1. States Parties recognize WHO as the guidance and coordinating authority of international public health response during public health Emergency of International Concern and undertake to follow WHO’s recommendations in their international public health response.“ Zu deutsch: Die Vertragsstaaten anerkennen die WHO als Leitungs- und Koordinierungsbehörde und versprechen, ihren Empfehlungen folge zu leisten. Damit werden bislang unverbindliche Empfehlung zu verpflichtenden Vorgaben, die von der deutschen Regierung umgesetzt werden müssen und zwar unverzüglich.

In Art. 42 IGV steht zu lesen, dass alle Vertragsstaaten die vorgegebenen Gesundheitsmaßnahmen ohne Verzögerung umsetzen und zudem Maßnahmen ergreifen, um sicher zu stellen, dass sich auch nichtstaatliche Akteure an die Maßnahmen halten. Welche „Non-State-Actors“ darunter fallen, ist nicht näher definiert. Vermutlich dürfte es sich um niedergelassene Ärzte, private Pflegeheime, private Träger von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen, etwa Kitas, aber auch Unternehmer in Hotellerie und Gastronomie handeln, um nur einige zu nennen.

In Art. 6 IGV wird die Mitteilung des Ausbruchs einer Epidemie in den Vertragsstaaten an die WHO geregelt, die innerhalb von 48 Stunden zu erfolgen hat. Dass es bei dieser kurzen Zeitspanne zu Fehlalarmen kommen kann, liegt nicht auf der Hand, ist aber nicht auszuschließen.

Fraglich ist, auf Basis welcher Daten der Ausbruch einer Epidemie auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland als solches definiert wird und welche Institutionen ein solches meldepflichtiges Ereignis feststellen. Kurzum: Was unterscheidet ein „normales“ Infektionsgeschehen wie die saisonale Grippe von einem meldepflichtigen epidemischen Infektionsgeschehen? Und welchem Ziel folgt diese extrem kurzfristige Meldefrist?

Erst kürzlich wurde für Deutschland die Meldepflicht des RSV gesetzlich festgeschrieben. RSV, das Respiratorische Syntizal Virus, ist ein Erreger, der am saisonalen Erkältungsgeschehen beteiligt ist und vor allem Kinder in den ersten Lebensjahren befällt. Die damit einhergehende eilige Änderung des Infektionsschutzgesetzes sorgt bei Fachpersonal für Irritationen, kann man beispielsweise in der Bayerischen Staatszeitung lesen.

Damit wird es künftig möglich werden, im Fall größerer, durch das RSV hervorgerufener, Infektionszahlen Schul- und Kitaschließungen anzuordnen. Dass ein bislang kaum beachtetes Erkältungsvirus, das am „normalen“ Infektionsgeschehens beteiligt ist, plötzlich als so gefährlich erachtet wird, dass RSV-Infektionen gemeldet werden müssen, wirft die Frage auf, welchem Zweck diese Meldepflicht geschuldet ist.

Darüber hinaus darf man sich fragen, welche bislang als „unscheinbar“ betrachteten Erreger als nächstes meldepflichtig werden und ob die in Folge solcher gesetzlich festgelegten Meldepflichten konsequenterweise vermehrt eingehenden Meldungen bei den Gesundheitsämtern und letztlich beim RKI einen gesundheitlichen Notfall von epidemischer Tragweite auslösen, der dann innerhalb von 48 Stunden an die WHO gemeldet werden muss?

Zukünftig umfassende Machtbefugnisse für den Generaldirektor der WHO

Eine weitere Änderung der IGV betrifft die Zuständigkeit und Ermächtigung des Generalsekretärs der WHO, geregelt unter anderem in Art. 12 IGV. Wenn der amtierende Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus aufgrund der von einem der Vertragsstaaten bei der WHO eingehenden Meldungen einen potenziellen oder tatsächlichen Notfall feststellt, wird er alle Vertragsstaaten informieren. Zukünftig soll er sogar ohne Zustimmung der direkt betroffenen Vertragsstaaten den Internationalen Gesundheitsnotstand ausrufen können.

Um beim Beispiel RSV zu bleiben: Wenn es im Winter 2023/24, wie in jedem anderen Winter auch, zu Infektionen durch RSV kommt, müssen diese Infektionen von Ärzten und Laboren an die zuständigen Behörden gemeldet werden. Ab welcher Fallzahl die zuständigen Stellen in Deutschland dann Alarm schlagen und die WHO informieren, bleibt abzuwarten. Spätestens nach Eingang der Meldung bei der WHO hätte Deutschland kein Mitspracherecht mehr.

Selbst wenn sich wenige Tage nach der an die WHO ergangenen Meldung einer erhöhten Inzidenz von RSV-Infektionen herausstellen sollte, dass man zu voreilig war und zu früh Meldung erstattet hat, ist die Maschinerie der WHO dann bereits angelaufen und kann durch eine Entwarnung von deutscher Seite nicht mehr zum Stillstand gebracht werden. Das ergibt sich aus Änderungen in Art. 12 IGV.

„… If the Director-General determines that the event constitutes a public health emergency of international concern, and the State Party are in agreement regarding this determination, the Director-General shall notify all the States Parties …“ Der hier kursiv dargestellte Einschluss „and the State Party are in agreement regarding this determination”, was übersetzt bedeutet, dass der Vertragsstaat mit der Festlegung des WHO-Generaldirektors, dass es sich im konkreten Fall um eine Pandemie handelt, übereinstimmt und das auch so sieht, wurde gestrichen.

Das hieße im beispielhaften RSV-Fall, dass nach einem möglichen Fehlalarm zumal eine bislang völlig normale und weitestgehend ungefährliche Erkältungserkrankung betreffend, der Generaldirektor der WHO eine Pandemie feststellen und umgehend alle Vertragsstaaten informieren könnte.

Nachdem die Vertragsstaaten nach Inkrafttreten der neuen IGV verpflichtet wären, die von der WHO empfohlenen Maßnahmen unverzüglich umzusetzen, könnten wir in Deutschland Schul- und Kitaschließungen sowie weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens und nachgelagerte 2G- bzw. 3G-Regelungen erleben und zwar so lange, bis die WHO bzw. deren Generaldirektor die Pandemie für beendet erklärt.

Nachdem es bereits einen Impfstoff unter dem Namen „Arexvy“ gegen RSV gibt, der am 6. Juni 2023 von der EMA zugelassen wurde, ist durchaus denkbar, dass die Bevölkerung – wie schon bei COVID-19 – zu einer solidarischen Impfung aufgerufen wird.

„Arexvy“ wurde übrigens in einem beschleunigten Bewertungsverfahren geprüft und zugelassen, was auf der Seite des Paul-Ehrlich-Instituts wie folgt begründet wird: „… da die Vorbeugung von RSV-Infektionen in der älteren Bevölkerung als von großem Interesse für die öffentliche Gesundheit angesehen wird“. Das war dem Sinn nach auch die Begründung für die beschleunigte Zulassung der Impfstoffe gegen COVID-19.

Nun könnte man auf die Idee verfallen, dass Deutschland die WHO auf den irrtümlich ausgelösten Fehlalarm aufmerksam machen und im Fall der Fälle auf Entwarnung drängen könnte. Ob Deutschland oder ein anderer Vertragsstaat dies im Ernstfall könnte und welche Mitspracherechte den Vertragsstaaten im Rahmen der neu verhandelten Verträge zugestanden werden: Diese Frage habe ich an den Schweizer Rechtsanwalt Philipp Kruse gerichtet. Lesen Sie das Interview mit Philipp Kruse hier bei TE:


Antje Maly-Samiralow ist Medizinjournalistin.

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