Tichys Einblick
Papst-Besuch Ungarn

„Wer wagt, gewinnt”

Papst Franziskus’ Besuch in Ungarn brachte die Gläubigen, aber auch die Politik in Wallung. War der Besuch etwa ein Erfolg für Viktor Orbán? Oder kritisierte ihn der Papst? Franziskus selbst hatte vor allem die Jugend im Sinn.

IMAGO / Independent Photo Agency Int.

Papst Franziskus besuchte am Wochenende Ungarn. Es war ein langer Aufenthalt, mit drei wichtigen öffentlichen Auftritten: Am Freitag vor der St. Stefans-Basilika, am Samstag vor Schülern und Studenten in einer Sportarena, und am Sonntag vor dem Budapester Parlamentsgebäude, wo Franziskus am Kossuth-Platz eine Messe zelebrierte.

Für die Gläubigen war es ein spirituelles Erlebnis, aber auch politisch geriet der Besuch spektakulär. Der Papst sagte Dinge, die Ungarns Regierung auch oft und gerne sagt, und damit regelmässig Abscheu und Entsetzen auslöst in diversen Medien sowie bei mitteilungsbedürftigen Europa-Parlamentariern.

So nannte Franziskus gleich nach seiner Ankunft am Freitag die „sogenannte Gender-Theorie” eine Form „ideologischer Kolonisierung”. Ideologische Kolonisatoren seien auch jene, „die das sinnlose „Recht auf Abtreibung” als Fortschritt preisen” – dabei sei Abtreibung stets „eine tragische Niederlage”.

Franziskus ist bekannt für seine Neigung, auch vor politischen Bemerkungen nicht zurückzuschrecken. Aber selten lobt oder tadelt er ganz konkret eine Regierung, wenn er das betreffende Land besucht. In Ungarn machte er eine Ausnahme, um die Familienpolitik der Orbán-Regierung zu loben – und indirekt die EU zu kritisieren. „Wieviel besser wäre es, ein Europa zu bauen, das sich auf seine Menschen und Völker konzentriert, mit einer wirkungsvollen Politik für Geburtenreichtum und Familien – eine Politik, die in diesem Land mit Aufmerksamkeit betrieben wird”, sagte er am Freitag vor Budapests St. Stefans-Basilika.

Was Orbáns Kritiker in der EU ganz besonders schmerzen dürfte: Franziskus zitierte Ungarns Verfassung, die in Brüssel oft heftig kritisiert wird, als richtungsweisend für die EU: „Wir glauben, dass unsere nationale Kultur ein reicher Beitrag ist zur Diversität der Europäschen Einheit.” In einer Union von 27 Staaten, fuhr Franziskus fort, dürfe „das Ganze nicht die Teile überwältigen”.
Das ist zwar alles kompatibel mit offiziellen EU-Positionen, aber Ungarns Verfassung überhaupt positiv hervor zu heben, mit einem Zitat, in dem das Wort „national” vorkam – das würde, um ein Beispiel aus der Luft zu greifen, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vermutlich niemals passieren.

Der Papst wünschte, und betete für, „Frieden in der Ukraine” – eine Formel, die in der EU nur die ungarische Regierung benützt. Er bat die Jungfrau Maria, nicht nur das ukrainische, sondern auch das russische Volk zu beschützen.
Kein Wunder, dass innenpolitisch das regierungsfreundliche Lager diese Botschaften freudig aufgriff, während von der Opposition und ihren Sympathisanten eher säuerlich-bittere Töne, eher aber gar nichts zu hören war. Eine Ausnahme war Budapests links-grüner Bürgermeister Gergely Karácsony, der auf Facebook respektvolle Worte postete, mit Fotos, auf denen er gemeinsam mit Franziskus zu sehen war.

Ganz anders war es gelaufen, als Franziskus Budapest zum ersten Mal besuchte, im September 2021 zum Eucharistischen Weltkongress. Damals kam er nur für die Abschlussmesse, und reiste danach weiter zu einem mehrtägigen Besuch in die Slowakei. Da waren die Medien voll von Analysen, wonach dies eine Ohrfeige für Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sei, dessen harte Migrationspolitik der Papst verurteile.

Zwar sieht Franziskus dieses Thema tatsächlich ganz anders als Orbán, aber die Geschichte verlief etwas anders als berichtet. Mehr als Orbáns politische Positionen lag dem Papst damals der Verdacht auf der Seele, dass Orbán den Glauben und die Gläubigen als politisches Instrument missbraucht.

Daran schien sich noch während dem Besuch 2021 etwas zu ändern. Länger als geplant dauerte damals Franziskus’ Gespräch mit Orbán. Orbán schenkte ihm die Kopie eines Briefes des ungarischen Königs Béla IV. an den damaligeb Papst, aus dem Jahr 1250. Also acht Jahre nach dem Mongolensturm, der Ungarn fast zerstörte. Béla IV. wies in diesem Brief darauf hin, dass die Gefahr nicht vorüber sei, dass der Vatikan in keiner Weise geholfen habe, und bat darum, Ungarn nicht im Stich zu lassen.

Orbán verband das Geschenk mit einer ähnlichen Bitte: Der Papst möge nicht zulassen, dass das christliche Ungarn verloren gehe.
Seither scheint Franziskus nicht nur Ungarns Familienpolitik, sondern auch Budapests einigartige politische Kraftanstrengung zu beobachten, verfolgten Christen weltweit zu helfen. Kein anderes westliches Land widmet diesem Thema gesondert Aufmerksamkeit.

Gleich nach dem Besuch 2021 war zu hören, dass Franziskus „sehr bald” nach Ungarn zurückkehren wolle.
Nun war er also da, und fand vor allem ein Land und ein Volk, in dem Glaube und christliche Identität tatsächlich noch vorhanden ist – auch bei vielen, die nicht in die Kirche gehen und den Glauben in ihrem Alltag noch nicht einmal für sehr wichtig halten. Aber die christliche Botschaft ist den meisten immer noch sympathisch.

Natürlich fand er zu manchen Themen auch kritische Worte, für die die Opposition dankbar sein dürfte. Ausdrücklich begrüsste er es, dass er sich auch mit „zivilen Organisationen” austauschen könne, und betonte, dass Katholizismus nie „ausgrenzend”, sein dürfe, sondern immer willkommen heissend. Da klang seine frühere Kritik an, Politik dürfe Flüchtlinge nicht ausgrenzen. Er traf auch welche, nur lag der Fokus diesmal auf Flüchtlingen aus der Ukraine. Da muss Ungarn sich nicht schämen: Mehr als eine Million Ukrainer kamen seit Kriegsbeginn über die Grenze, man tat viel für sie, und wer bleiben wollte, konnte bleiben.
Für Franziskus selbst war die wichtigste Begegnung wohl sein Auftritt vor Schülern und Studenten in der Papp László Arena am Samstag. Um sie anzusprechen, wählte er Vergleiche aus dem Sport: Im Spiel „gebt alles, was ihr habt”, sagte er – alles, um Gottes Ruf zu hören und ihm zu folgen.

Und: „Wer wagt, gewinnt”.
Es waren Worte eines Seelenhirten.

Könnte aber auch als Viktor Orbáns persönliches Motto durchgehen.

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