Tichys Einblick
Woke-Bewegung in den USA

Transgender-Aktivisten üben Druck auf die „New York Times“ aus – Chefredakteur wehrt sich

Die Aktivisten wollen die journalistische Arbeit der „New York Times“ beeinflussen. In einem offenen Brief fordern sie, dass die Zeitung ihre angeblich „unverantwortliche, vorurteilsbehaftete“ Berichterstattung über Transgender unverzüglich beenden soll. Der Chefredakteur wehrt sich gegen die Forderungen. Zu Recht.

IMAGO / NurPhoto

Es klang nach einer echten Meuterei auf der Bounty, was zuerst die FAZ und wenige Tage später auch die Welt berichteten. Eintausend Mitarbeiter der New York Times hätten dem Blatt in einem offenen Brief vorgeworfen, über „Transgender, nicht binäre und geschlechtsunkonforme Menschen“ voreingenommen zu berichten. Gemeinsam mit Gay & Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD) und weiteren Interessengruppen forderten sie, diese „unverantwortliche, vorurteilsbehaftete“ Transgender-Berichterstattung unverzüglich zu beenden. Wow! Tausend Mitarbeiter? Das klingt nach einem riesigen Laden, in dem scheinbar nur noch die Chefetage und einige wenige, ewiggestrige Redakteure schreiben, was der Rest der Redaktion empört ablehnt.

Ganz so schlimm war es dann doch nicht. Zum einen sprach GLAAD selbst zunächst nur von über 180 Contributors und zum anderen sind Übersetzungsprogramme eben nicht 100 Prozent zuverlässig. Ein Contributor ist kein Mitarbeiter im deutschen Sinne, also kein Angestellter der Zeitung. Ein Contributor ist quasi jeder, der irgendwann einmal seinen Senf in der Zeitung abgegeben hat. Das kann zum einen der „Freie Journalist“ sein, wie wir ihn aus Deutschland kennen, oder der Experte, der sich zu einem speziellen Thema äußert. Aber auch der Aktivist, der seine Sicht der Dinge publik machen möchte und jede Menge A-bis-Z-Prominenz, gerne aus Hollywood, die sich auf diese Art und Weise selbst profilieren möchte.

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Sie erinnern sich vielleicht an den Prozess Amber Heard gegen Johnny Depp? Dabei ging es um ein OP ED, einen sogenannten Meinungsartikel, den die Schauspielerin Amber Heard als „contributor“ in der Washington Post veröffentlichte. Geschrieben mit Hilfe ihrer PR-Abteilung, gab sie sich als Opfer häuslicher Gewalt ihres Ex-Ehemannes Johnny Depp. Skandal, Skandal, riefen alle einseitig Gutmeinenden, ähnlich wie jetzt bei der Transgender-Berichterstattung. Die Sicht von Johnny Depp war nicht gewünscht, er wurde nach diesen Vorwürfen aus Hollywood ausgeschlossen. Allerdings spielte Depp nicht mit, er prozessierte. Das OP ED von Amber Heard war, so urteilten Jury und Gericht, eine glatte Lüge und ihre Anschuldigungen haltlos. Sie wurde auf mehrere Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt. So viel zu „Contributors“.

Trotzdem, Übersetzungsfehler hin oder her, Fakt ist, dass hier Aktivisten versuchen, Druck auf eine Zeitung auszuüben, um kritische oder auch nur reflektierte Berichterstattung zu verhindern. Und sie wurden tatsächlich auch von einigen Journalisten der NY Times dabei unterstützt. Zu Recht hat sich Joseph Kahn, Chefredakteur der Times, gegen diese Forderung zur Wehr gesetzt. Vor allem, da einige seiner Mitarbeiter namentlich angeklagt wurden. „Wir dulden weder die Teilnahme von Times-Journalisten an Protesten, die von Interessengruppen organisiert werden, noch Angriffe auf Kollegen in sozialen Medien und anderen öffentlichen Foren“, antworteten er und Meinungsredakteurin Kathleen Kingsbury in einer E-Mail.

Aber spielen wir das Aktivistenspiel einmal mit. Was wäre, wenn … kritische Berichterstattung über Transgender, Gender, BLM oder Cancel Culture tatsächlich eingestellt würde? Wenn die liebe Seele endlich Ruhe hätte, also niemand mehr anzweifeln würde, dass alles, was von diesen Aktivisten gefordert wird, seine Richtigkeit hat?

Im Dezember gab es einen Beinah-Fluzeugabsturz der Fluggesellschaft United Airlines. Eine Boeing 777 war kurz nach dem Start vom Flughafen Kahului in Maui/Hawaii um ein Haar in den Pazifischen Ozean gestürzt. Die genauen Umstände sind bis heute unbekannt, aber da der Flug fortgesetzt und die Piloten anschließend aus dem aktiven Dienst mit der Auflage suspendiert wurden, an weitere Schulungen teilzunehmen, ist von einem Pilotenfehler und keinem technischen Problem auszugehen.

Was hat dieser Vorfall jetzt mit unserem Thema zu tun? Der Kapitän war ganz neu auf der United Triple Seven und der Kopilot ein genereller Newbie. Keine gute Mischung. Aber wohl der Tatsache geschuldet, dass Fluggesellschaften die Einstellungsstandards für Piloten gesenkt haben. Auch neue United-Piloten werden jetzt routinemäßig in den Cockpits von Triple Seven und 787 Dreamliner platziert, die lange, internationale Flüge in sehr komplexen Lufträumen fliegen. Vor dieser Aufweichung der Einstellungsstandards durften Piloten ohne langjährige Erfahrung solche Flugzeuge nicht fliegen.

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Zusätzlich hat United im Zuge der Woke-Bewegung Quoten festgelegt, um sicherzustellen, dass die Hälfte der Teilnehmer an ihrer Pilotenakademie Frauen oder „People of Color“ sind. Warum, bitte schön? Soll dadurch die Sicherheit an Bord erhöht werden oder doch eher die Sicherheit vor einem Social-Media-Shitstorm? Zwar müssten alle Probanden das gleiche (herabgesenkte) Minimum an Flugstunden vorweisen, um Linienpilot zu werden. Aber es geht nur noch um Mindestanforderungen, nicht mehr darum, die besten Piloten zu finden, egal welche Hautfarbe oder Geschlecht sie haben.

Die teure Ausbildung der Piloten kann oft nur durch ein Stipendium finanziert werden. Hier greift die heilige Dreifaltigkeit der Erwachten – Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion – auf ganz spezielle Weise. Stipendien werden über Partnerorganisationen von United verteilt, die da wären: Latino Pilots Association, National Gay Pilots Association, Organization of Black Aerospace Professionals, Professional Asian Pilots Association, Sisters of the Skies und Women in Aviation International. Fällt Ihnen etwas auf? Übersetzt bedeutet das: Heterosexuelle weiße Männer bleiben außen vor.

Man kann mich gerne konservativ schimpfen, aber „Quoten-Piloten“, die ihre Ausbildung aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit bekommen haben, sind mir unheimlich. Ich habe überhaupt keine Probleme mit Schwulen, Lesben, Transen oder was auch immer. Mich interessiert es erst dann, was Leute im Bett treiben, wenn es sich um mein Bett handelt. Ich will aber, dass nur die Besten der Besten im Cockpit Platz nehmen dürfen und nicht die Wokesten der Woken oder die Diskriminiertesten der Diskriminierten. Übertreibe ich?

Ginge es nach GLAAD und Konsorten, dürfte ich diese Bedenken nicht laut artikulieren. Weder bei Tichys Einblick noch in der New York Times. Aber ich habe nun einmal Zweifel daran, dass ein Pilot sich durch seine geschlechtliche Identität oder seine Hautfarbe für seinen Job qualifiziert. Die Welt wird nicht gerechter, wenn ich solche Zweifel nicht mehr äußern darf. Ganz im Gegenteil, eine freie Gesellschaft muss Zweifel aushalten können. Insofern stehe ich hinter Joseph Kahn, dem Chefredakteur der Times, und hinter allen andern Chefs in Deutschland oder den USA, die dem woken Druck (noch) standhalten.

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