Tichys Einblick
Richter beschimpft

Oberstes US-Gericht will wieder strengere Abtreibungsgesetze ermöglichen

Die Entscheidung des US-Supreme Courts wurde vorab geleakt – US-Bundesstaaten könnten demnach wieder härtere Abtreibungsgesetze erlassen. Es kam zu Demonstrationen gegen die Richter, die als „faschistischer Abschaum“ diffamiert wurden.

IMAGO / UPI Photo

Ein Leak der US-Nachrichtenseite Politico erschütterte am Montagabend das politische Washington: Ein Entwurf einer Mehrheitsentscheidung des Obersten Gerichtshofs, geschrieben von Richter Samuel Alito, enthielt die Aufhebung der hochumstrittenen Gerichtsentscheidung Roe v. Wade aus den 1970ern, die Abtreibungsverbote vor der 24. Schwangerschaftswoche untersagt. Es wäre eine historische Entscheidung.

Gegenstand im konkreten Fall, Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization, ist ein Gesetz aus dem Bundesstaat Mississippi, dass Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbieten soll (zum Vergleich, die Fristenlösung in Deutschland sieht Straffreiheit bis zur 14. Schwangerschaftswoche vor). Entscheidet der Supreme Court, dass Mississippis Gesetz verfassungsgemäß ist, so müssten mindestens Teile von Roe v. Wade aufgehoben werden. Nach Alitos geleakten Entwurf scheint eine Mehrheit des Gerichts dazu bereit zu sein.

US Supreme Court
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Der Richter schreibt dort über Roe v. Wade und eine nachfolgende Entscheidung, Casey v. Planned Parenthood: „Die Verfassung verbietet es den Bürgern der einzelnen Staaten nicht, Abtreibungen zu regulieren oder zu verbieten. Roe und Casey beanspruchten diese Autorität. Wir setzen diese Entscheidungen jetzt außer Kraft und geben diese Autorität an das Volk und seine gewählten Vertreter zurück.“ Mit so einem Urteil würde die Entscheidung über Abtreibungsverbote zurück an die einzelnen Bundesstaaten gehen, die in den USA nämlich Verantwortung für das Strafrecht tragen. Ein Wunsch, den Republikaner schon lange hegen – und die Demokraten ablehnen.

Bereits Minuten nachdem der Politico-Artikel Montagabend online ging, errichteten Polizisten vor dem Sitz des Supreme Courts Polizeisperren. Kurze Zeit später waren schon die ersten Demonstranten da. Bald darauf rief die Menge: „Faschistischer Abschaum muss weg“, gemeint waren damit offensichtlich die konservativen Richter des Gerichtshofs, die wie alle US-Bundesrichter auf Lebenszeit ernannt wurden.

Der Leak selbst ist ein Novum. Normalerweise arbeitet das neunköpfige Richtergremium auch trotz ideologischer Unterschiede eng und freundschaftlich zusammen. So gut wie nie zuvor kam es zu so einem Vertrauensbruch, gerade in einem solch wichtigen Fall, der das Potenzial hat, der bedeutendste des Jahrzehnts zu sein. Spekuliert wird, dass einer der Gerichtsmitarbeiter verantwortlich ist.

Enorme Auswirkungen hat der Leak bereits jetzt. Demokratische Politiker wie Bernie Sanders fordern noch vor der offiziellen Entscheidung lautstark ein Bundesgesetz, das die Entscheidung Roe v. Wade festschreibt. Das dürfte allerdings schwierig werden, einerseits da ihre Mehrheit im Senat hauchdünn ist und unter anderem von Senatoren aus konservativen Bundesstaaten, Joe Manchin aus West Virginia etwa, abhängt und gleichzeitig die Gesetzgebungskompetenz beim Strafrecht, wie oben angemerkt, eigentlich bei den Bundesstaaten liegt.

Auch auf Drohungen gegen die höchsten US-Richter muss man sich nun wohl einstellen. Dabei ist die Entscheidung noch nicht final, Richter können ihre Meinung noch ändern – sollte das vor dem Hintergrund der heftigen Reaktionen auf den Leak passieren, dürfte das auf konservativer Seite zu einem großen Aufschrei führen.

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