Tichys Einblick
Trump vor dem New York County Criminal Court

In Manhattan Anklageverlesung, in Mar-a-Lago Wahlkampfauftritt

Dienstagmorgen um sieben war vor dem New York County Criminal Court in Lower Manhattan die Welt schon nicht mehr in Ordnung. Etwa 100 Personen standen Schlange, um sich einen der begehrten Plätze bei der Anklageerhebung gegen Donald Trump zu sichern. Die Mehrheit von ihnen Reporter.

Donald Trump verlässt am 4. April 2023 den Trump Tower auf dem Weg zum Strafgericht in New York City

IMAGO / UPI Photo

Nur sehr wenige Privatpersonen waren um diese frühe Stunde in Manhattan unterwegs. Auch wenn der durchschnittliche New Yorker den Prozess nicht wirklich wichtig nahm, die Leute in der Demokraten-Hochburg Manhattan freuen sich darüber, dass es für Trump ein „stormy Tuesday“ werden sollte.

Bei den Medien war das Interesse enorm. Wohin man schaute, standen TV-Übertragungswagen. Die Straßen rund um das Gerichtsgebäude waren für den normalen Verkehr gesperrt, Polizeihubschrauber kreisten. Starke Polizeipräsenz herrschte auch am Hintereingang des Gerichtsgebäudes, was Reporter sofort zum Schluss brachte, dass Trump dort reinkommen sollte. Hektisches Telefonieren mit der Redaktion. Längst ging es nicht mehr um seriöse Berichterstattung, sondern, wie bei einem Boxkampf, um die besten Bilder eines angeschlagenen, derangierten, am Boden liegenden Kämpfers. Die meisten Journalisten wünschten sich ein k.o. in der ersten Runde. Ein früher Passant im „Make America Great Again“-Hoodie murmelte „Fake News“, bevor er weiterzog.

Seit im August Trumps Anwesen Mar-a-Lago durchsucht wurde, schießen seine Zustimmungswerte bei den republikanischen Anhängern nach oben. Mittlerweile liegt er bei fast 60 Prozent. Wer diesen Umfragen nicht glaubt: Die Spendeneingänge sind eindeutig. Allein in den fünf Tagen seit Bekanntgabe der Anklageerhebung gegen ihn hat er 10 Millionen US-Dollar eingesammelt – überwiegend mit sogenannten „grass root“-Spenden, also Summen zwischen einem und fünfzig Dollar. 25 Prozent der Spender hatten nie zuvor für Trump gespendet, der Prozess beschert ihm also eine ungeahnte Zustimmung in bisher nicht erreichten Wählerkreisen. Es scheint fast so, als seien das FBI und der New Yorker Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg Trumps beste Wahlhelfer.

Der emeritierte Harvard-Jura-Professor Alan Dershowitz prophezeite am Vorabend der Anklageerhebung auf Fox bei Sean Hannity, dass Trump in Manhattan unmöglich einen fairen Prozess bekommen könne. Warum? Zum einen natürlich, weil Bezirksstaatsanwalt Bragg bereits seinen Wahlkampf darauf stützte, dass er Trump zu Fall bringen wird und dafür finanziell von George Soros unterstützt wurde. Zum anderen, weil kein Richter in Manhattan es sich leisten könne, Trump ungeschoren davonkommen zu lassen. Seine Familie, sein Freundes- und Kollegenkreis würde sich von ihm abwenden. Zu stark sei der Wunsch im demokratisch wählenden Bezirk New Yorks verankert, Trump gerichtlich ausschalten zu können. Dershowitz’ Forderung: Der Prozess müsse in eine andere Gerichtsbarkeit abgegeben werden.

Trump selbst scheint das ähnlich zu sehen. Auf Truth Social beklagte er, dass es ein unfairer Prozess in einer Gegend würde, in der nur ein Prozent der Anwohner republikanisch wählen würden. Seine Forderung: Der Prozess müsse in den nahe gelegenen District Staten Island verlegt werden, wo die Verhältnisse ausgeglichener seien. Allerdings würde das nur bedeuten, dass die Jury gewechselt würde, Richter Juan Merchan würde den Fall weiterhin betreuen.

Dershowitz beklagte zudem die politische Komponente im Prozess. Üblicherweise ermittle ein Staatsanwalt in einer Straftat und suche gemeinsam mit der Polizei nach dem Täter. In diesem Fall sei es umgekehrt gewesen. Man wollte Trump an den Karren fahren und suchte nach einem passenden Vergehen. CNN sah das naturgemäß anders und nahm den Anwalt, den Trump in letzter Minute zusätzlich nominiert hatte, als Indiz dafür, dass die Schlinge um Trumps Hals eng würde.

Immerhin: Alle waren sich einig, dass ein T-Shirt mit dem Mug Shot von Trump wahrscheinlich das meistverkaufte T-Shirt Amerikas werden würde. Egal welcher Partei man angehöre, mit dem passenden Spruch zum Mug Shot könne es sowohl von Demokraten als auch von Republikanern getragen werden. Vielleicht war das der Grund, warum vor Gericht auf das Foto verzichtet wurde. Zu groß war die Angst, Trump als cleverer Geschäftsmann könne Profit daraus schlagen. Somit wurde nur ein offizielles Foto aus dem Gerichtssaal veröffentlicht. Ähnlichkeiten des Fotos mit Motiven aus dem OJ-Simpson-Prozess schienen vom Richter gewünscht zu sein.

Die Anklageverlesung selbst verlief relativ unspektakulär. Trump, am Abend vorher bereits mit seinem Trump-Jet eingeflogen, verließ um 1.08 Uhr den Trump Tower und startete Richtung Gericht. Wie immer im dunklen Anzug mit roter Krawatte. Unterwegs postete er auf Truth Social. „Auf dem Weg nach Lower Manhattan. Es scheint so surreal. Wow, sie wollen mich wirklich verhaften. Ich kann nicht glauben, dass das gerade in Amerika passiert. MAGA“. Vor dem Gericht angekommen, gab er sich siegessicher, reckte die geballte Faust und verschwand dann im Gerichtsgebäude, wo im 7. Stock erkennungsdienstlich Fingerabdrücke aufgenommen wurden.

Trump enthüllte kurz vor der Fahrt ins Gericht, dass die Tochter des Richters, Loren Merchan, für Kamala Harris gearbeitet hätte, und heute für die Biden-Harris-Kampagne tätig sei. Trump nannte es einen Känguru-Prozess, der Vater transportiere die Anliegen der Tochter. Gut möglich, dass Richter Merchan vom Trump-Team im Laufe des Prozesses noch Befangenheit vorgeworfen werden wird.

Im Gericht wurden Trump 34 Anklagepunkte präsentiert. Er plädierte jedes Mal auf „nicht schuldig“. Die vollständige Anklage Braggs läuft, kurz zusammengefasst, unter der Überschrift „The Catch and Kill Scheme to Suppress Negative Information“; er wirft Trump also vor, mit rechtswidrigen Maßnahmen negative Veröffentlichungen verhindert zu haben. Maximal drohen Trump, sollte er in allen Punkten schuldig gesprochen werden, 136 Jahre Gefängnis.

In der Pressekonferenz nach der Klageverlesung erklärte Alvin Bragg: „Die Klage beinhaltet Geschäftsunterlagen-Fälschung in 34 Fällen, die gemacht wurden, um andere Verbrechen zu verstecken.“ Ein Jurist der George-Washington-Universität erklärte nach Durchsicht der Anklagepunkte, es gäbe kein „there there“. Er wäre sehr gespannt auf die Punkte hinter den bisher bekannten Vorwürfen gewesen. Aber da sei nichts.

Es geht nur um die bereits bekannten Vorwürfe zu den Umständen der Schweigegeldzahlungen von Trumps damaligem Anwalt Michael Cohen an Stormy Daniels und ein Playboymodel, sowie eine Zahlung an einen Concierge im Trump Tower über 30.000 US-Dollar sowie verschiedene Buchungen in Trumps Büchern. Trumps Anwälte werden die Vorwürfe jetzt studieren und eine Strategie entwickeln. Der nächste Termin wurde auf den 4. Dezember gelegt, Trumps Anwesenheit ist gefordert. Pikant: Ausgerechnet heute erklärte ein Gericht, Stormy Daniels müsse 121.962,56 US-Dollar Anwaltskosten an Trump zahlen. Kann man sich nicht ausdenken!

Bezirksstaatsanwalt Bragg schrieb auf Twitter, dass er Geschäftsleuten in New York nicht erlauben würde, ihre Unterlagen zu fälschen, und dass vor dem Gesetz alle gleich seien. Ob eben jene Geschäftsleute es gut finden, dass der gleiche Bragg die Verfolgung bewaffneter Raubüberfälle in New York neuerdings als Vergehen und nicht mehr als Verbrechen einstuft? Fragen über Fragen.

Was bedeutet der Prozess allgemein, unabhängig davon ob Trump schuldig gesprochen wird oder nicht, für die Zukunft? Nicht wenige Juristen und Politiker sind sich einig, dass hier die Büchse der Pandora geöffnet wurde und sich zukünftig jeder Präsident darauf gefasst machen muss, aus politischen Motiven heraus angeklagt zu werden. Sollte Trump gewinnen, wird sein Sieg gewaltig sein. Nichts wird ihn dann mehr daran hindern können, um die Präsidentschaft 2024 zu kämpfen.

Seine Rede am Ende des 1. Gerichtstages aus Mar-a-Lago glich daher auch einem Wahlkampfauftritt. Trump ließ noch einmal alles Revue passieren, was ihm in den letzten Jahren vorgeworfen wurde: von konspirativen Kontakten mit Russland bis zu illegalen Telefonaten oder der Mitnahme von Geheimdokumenten in sein Privathaus. Gleichzeitig ließ er keine Gelegenheit aus, die Biden-Regierung und die Biden-Familie zu diskreditieren und auf Hunter und Joe Bidens Verstrickungen in ukrainische Geschäfte hinzuweisen sowie an die vielen Orte zu erinnern, an denen man bei Biden geheime Dokumente fand. Er betonte, dass seine Familie durch die Hölle gegangen sei.

Über die Anschuldigungen Braggs sagte Trump lapidar: „there is no case“. Der Kriminelle sei Bragg, weil er Millionen für die Klage ausgibt, wobei er doch wissen müsse, dass sie keinen Bestand haben wird. Er wies noch einmal auf den Richter und seine demokratische Familie hin. Trumps Fazit:  Es ist wie in der ehemaligen Sowjetunion. „Sie konnten uns nicht an der Wahlurne schlagen, jetzt versuchen sie es mit dem Gesetz.“ Mit dem Satz „We will make Amerika great again“ schloß er unter tosendem Beifall.

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