Tichys Einblick
Spanien riegelt ab

Tourismus und Immigration – Der Clash der Kulturen auf den Kanaren

Auf den Kanaren brodelt es, weil die Not auf beiden Seiten wächst. Die Komplexität der irregulären Einwanderung und der Abhängigkeit vom Tourismus wird nirgendwo so deutlich wie hier.

picture alliance / Pacific Press | Mercedes Menendez

Rangeln am Hotel-Buffet und um die Sonnenliegen am Pool ist eine Spezialität von Deutschen und Briten. In diesem Jahr ist dies jedoch nicht notwendig. „Die Hotels auf den Kanaren sind weitgehend leer“, berichtet der deutsche Ökonom und Uni-Professor Dirk Godenau, der auf Teneriffa lebt und arbeitet. Stattdessen kamen in den vergangenen Monaten fast 30.000 Afrikaner, vor allem aus der Westsahara und Marokko. Beim großen Ansturm im November wurden zunächst Hunderte in leerstehenden Hotels untergebracht.

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Die meisten von ihnen kamen im Süden Gran Canarias an, wo sich auch das Tourismusgeschäft konzentriert, das im vergangenen Jahr allerdings wegen der Pandemie mit 71 Prozent weniger Urlaubern auskommen musste. Die zweite und dritte Viruswelle haben die Wintersaison ebenfalls ins Wasser fallen lassen. Ein Problem, das das ganze Land betrifft. Die afrikanischen Migranten kommen hingegen weiter auf irregulärem Weg übers Meer, auch wenn in wenigen Monaten bereits rund 500 von ihnen dabei ihr Leben verloren. Es sind weniger als vor ein paar Monaten, aber für viele Kanaren reicht es jetzt. Mit der wachsenden wirtschaftlichen Not steige die Aggressivität auf der Insel, warnen die Lokalpolitiker und fordern Hilfe von der EU und auch von der Madrider Regierung. Tourismus macht etwa Dreiviertel der Wirtschaftsleistung der Kanaren aus.
Pandemie und irreguläre Migranten heizen das politische Klima an

Godenau bestätigt, dass auch in den Lagern der Frust steige und damit die Konflikte der Migranten untereinander: „Sie fühlen sich auf den Kanaren wie in einem Gefängnis“. Einige spanische Medien und die rechte Partei Vox sprechen deswegen von einer zunehmenden Kriminalität auf den Inseln. Tatsächlich „haben wir 2020 mit einer niedrigeren Kriminalitätsrate abgeschlossen“, stellt der auf den Kanaren amtierende spanische Regierungsvertreter Anselmo Pestana richtig. In den letzten 80 Tagen wurden nach Angaben der Nationalen Polizei 122 Straftaten von Migranten begangen. Davon haben 60 mit Dokumentfälschung zu tun und 45 beziehen sich auf Raufereien untereinander, Raubüberfälle und Diebstähle unter den eigenen Leuten. „Heute leben auf den Kanarischen Inseln 2.000 minderjährige afrikanische irreguläre Migranten und etwa 9.000 erwachsene. 16.500 haben Spanien verlassen,“ stellt Pestana klar. Laut Godenau sind jedoch nur ein paar Dutzende wirklich zurückgeführt worden, die anderen seien wahrscheinlich weitergezogen in andere Länder oder aufs Festland: „Wirkliche Transparenz gibt es nicht“, sagt er.

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Die spanische Nationalregierung hat jedoch noch Ende vergangenen Jahres die Polizeipräsenz auf den kanarischen Flughäfen verstärkt, um zu verhindern, dass Migranten auf eigene Faust gen Europa abreisen. „Das erste, was getan wird, ist sie zu identifizieren. Sie werden im Anschluss über ihre mögliche Ausweisung informiert. Dies kann jederzeit und an jedem Ort getan werden: auf einem Flughafen, in einer Straße, in einem Einkaufszentrum, überall“, warnt Pestana.

Aber Abschieben sind auch in Spanien nicht einfach durchzuführen. Und egal ob schwarz oder weiß, die Aussichten für Jugendliche auf den Kanaren sind äußerst schlecht. Es gibt hier bereits viele Einwanderer aus Südamerika und Europa, obwohl die Kanaren mit 57 Prozent Jugendarbeitslosigkeit den höchsten Wert Spaniens erreicht haben. Wer eine Ausbildung fern von Tourismus hat, findet auf den Inseln schwer einen Job. Ingenieure und medizinisches Personal gehen nach Deutschland, Frankreich oder England.

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Hin und zurück
Schleuserbanden haben Spanien ganz oben auf der Agenda
Marokko wurde durch Entwicklungshilfeabkommen mit Deutschland und Versprechungen von Spanien dazu angehalten, seine Grenzen, auch die zur Westsahara, besser zu kontrollieren und die Schlepperbanden zu zersprengen. Auch Mauretanien und der Senegal wurden dazu angehalten. Antonio Morales, dem Regional-Regierungschef von Gran Canaria, reicht das nicht. In einer Videobotschaft lädt er die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen ein, sich über die missliche Lage vor Ort zu informieren. Morales warnt davor, dass die Kanaren sich in Lampedusa oder Lesbos verwandeln könnten.

Die spanische Nonne Regina, mit bürgerlichem Namen Etelvina Casado, ist da etwas pragmatischer. Sie baut gerade ein Ausbildungszentrum für junge Senegalesen, die sich auf den gefährlichen Weg der irregulären Einwanderung nach Europa begeben und derzeit auch auf den Weg zu den Kanaren: „Wir wollen ihnen ein Handwerk beibringen, damit sie einen Grund haben hier zu bleiben. Viele gehen, weil sie keine Perspektive haben und völlig falsche Vorstellungen. Sie sind schon hier oft aus der Bahn geraten. Wir wollen sie wieder einspulen ins Leben, wie wir das mit jungen Frauen und Müttern gemacht haben, die jetzt für sich selbst sorgen können“. Die meisten seien Muslime, aber Religion spiele keine Rolle: „Es geht darum, einen Lebensunterhalt und damit Selbständigkeit zu erlangen, eine gewisse Bildung“.

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