Tichys Einblick
Erdogan will „Turkestan“ in Nordsyrien

Syrer in der Türkei planen „Migranten-Karawane“ in die EU

In der Türkei sinkt die Akzeptanz für syrische Migranten. Erdogan steht vor Wahlen und will die Syrer „freiwillig“ und „ehrenhaft“ in ihre Heimat zurückschicken. Eine Telegram-Gruppe plant nun eine „Karawane des Lichts“ in die EU. Zehntausende Migranten haben sich ihr bereits angeschlossen.

Symbolbild

Getty Images

Im Spätsommer könnte der EU und damit Deutschland eine Neubelebung der Migrationskrise bevorstehen, die erneut von syrischen Migranten angetrieben wird. Hintergrund ist nicht eine verschärfte Lage im Herkunftsland Syrien, es geht vielmehr um die Umstände in der Türkei, wo derzeit noch immer 3,7 Millionen Syrer leben.

Tausende Syrer bereiten sich angeblich darauf vor, die Türkei über die westlichen Landesgrenzen zu verlassen, wie die französische Nachrichtenagentur AFP und griechische Medien übereinstimmend berichten. Unter dem Namen „Karawane des Lichts“ (Al-Nur Karavan) hat sich eine Telegram-Gruppe gegründet, der eine Woche nach ihrer Entstehung bereits mehr als 70.000 App-Nutzer folgen.

Die Migranten wollen eine „Karawane“ oder einen Konvoi bilden, um in die EU zu gelangen. Dabei sollen Gruppen von bis zu 50 Personen gebildet werden, die jeweils von einem Aufseher angeführt werden. Ein „Tausendfüßler“ ist also nicht zu erwarten, sondern kleinere Gruppen, die sich vielleicht auch noch weiter aufspalten könnten, um weniger aufzufallen.

Erdogan will „Turkestan“ in Nordsyrien
Vorerst sollen sich die Migranten mit Schlafsäcken, Zelten, Rettungswesten, Trinkwasser, Konserven und Erste-Hilfe-Sets ausrüsten. Hilfsorganisationen und Medien werden aus der Gruppe heraus aufgerufen, die „sichere Einreise“ der illegalen Migranten in die EU zu unterstützen und zu erleichtern. Ein 46-jähriger Migrant, der anonym bleiben wollte, angeblich ein syrischer Ingenieur, sagte der Nachrichtenagentur: „Wir werden verkünden, wenn die Zeit für den Aufbruch gekommen ist.“ Ihmzufolge leben einige der Organisatoren bereits in der EU.
Die Syrer als Last auf Erdogans Wahlkampf

Die Organisatoren der „Karawane“ beklagen, dass sie seit zehn Jahren in der Türkei leben. „Wir sind hier in Sicherheit … aber westliche Staaten müssen einen Teil der Last tragen“, werden weitere Stimmen aus dem Telegram-Chat zitiert. Doch was sie sagen, ist nur eine Wiedergabe türkischer Regierungspositionen.

In der Türkei leben heute 3,7 Millionen Syrer. Sie beklagen die verschlechterte wirtschaftliche Situation im Land und den gegen sie gerichteten „Rassismus“, wie griechische und arabische Medien wissen. Während Erdogans Regierungspartei AKP die Syrer als Glaubensbrüder willkommen hieß, reagieren die normalen Türken inzwischen mit Unverständnis auf die jahrelangen Kostgänger. Spannungen zwischen einheimischer Bevölkerung und Zuwanderern sind an der Tagesordnung.

So hat Erdogan notgedrungen angekündigt, dass er eine Million Syrer „auf freiwilliger Basis“ zurück in ihre Heimat schicken wolle. Es soll eine „ehrenhafte“ Rückkehr werden, so die syrische Oppositions-Website Al-Hal Net. Dazu dient mutmaßlich sein neuer Feldzug in Nordsyrien, der eine „sichere Zone“ für die syrischen Flüchtlinge schaffen soll. Im Mai kündigte Erdogan die Errichtung von 13 Städten mit insgesamt 250.000 Häusern für syrische Flüchtlinge in Nordsyrien an. Al-Hal Net nennt die Zone „Turkestan“. Auch hier ist Erdogans Migrantenpolitik eng mit seiner Interessenpolitik verknüpft.

Erdogan will „Turkestan“ in Nordsyrien
Andere sprechen gar von zwei Millionen Syrern, die die regierende AKP bis zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr loswerden will. Sie werden auf keinen Fall in dem schmalen Streifen an der Grenze Platz finden. Es scheint also nicht ausgeschlossen, dass die Syrer auch in andere Landesteile zurückgeschickt werden. Angeblich sucht Ankara deshalb eine Verständigung mit Damaskus. Klar scheint, dass die syrischen Flüchtlinge eine (auch finanzielle) Last auf Erdogans Wahlkampf im kommenden Jahr bilden. Wohin er sie loswird, ob nach Osten oder Westen, wird ihm egal sein.
Bulgarien schon über den Sommer vermehrt von Syrern belastet

Die Stellen, an denen die „Karawane“ versuchen wird, in die EU zu gelangen, sind nicht explizit bekannt. Aber es wird wohl auf die Evros-Grenze und die Meerengen zwischen griechischen Ägäis-Inseln und türkischem Kleinasien hinauslaufen. Betroffen sein könnte daneben auch Bulgarien, das in diesem Jahr bereits eine Verdreifachung der Aufgriffe berichtet. Von gewöhnlich 3.000 Aufgriffen in dem für Migranten wenig beliebten Land schnellte die Zahl in diesem Jahr auf 9.000 hoch, wie die Website Dnevnik berichtet. Syrer stellten hier im August bereits die Mehrheit. „Es ist nicht bekannt, was die Ursachen für die meisten Syrer sind, aber höchstwahrscheinlich ist ihre Bewegung auf die Situation in der Türkei zurückzuführen“, heißt es in dem bulgarischen Medium. Der Trend halte schon seit dem Juni an.

Eine Verdreifachung wird auch am Ende der Balkanroute, an den EU-Grenzen zum Westbalkan berichtet. Mehr als 86.000 illegale Grenzübertritte gab es in dieser Grenzregion laut Frontex seit Jahresanfang. Insgesamt verzeichnet die EU in diesem Jahr mit 188.200 illegalen Zuwanderern in acht Monaten die höchste Rate seit 2016.

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