Tichys Einblick
Gipfeltreffen

Britischer Premier Sunak will Frankreich bezahlen, um Migranten zurückzunehmen

Beim britisch-französischen Gipfel in Paris ging es vor allem um die illegale Migration. Flankierend zum neuen Abschiebungsgesetz seiner Innenministerin hat Premierminister Sunak verstärkte Geldzahlungen an Paris vereinbart – auch um ein Gewahrsamslager in Nordfrankreich zu bauen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfängt den britischen Premier Rishi Sunak im Elysée-Palast in Paris, 10.03.2023

IMAGO / Starface

Sunaks Hoffnungen waren hoch geflogen. Bevor der britische Premier an diesem Freitag nach Paris reiste, sagte er mitreisenden Journalisten im Eurostar-Zug, er hoffe, dass das letzte Woche erreichte sogenannte Windsor-Abkommen mit der EU zum Status von Nordirland die Tür für eine gemeinsame Herangehensweise („a deal“) auch an das Thema Migration öffnen würde. Zum Ende des ersten franko-britischen Gipfels seit fünf Jahren bestätigte Präsident Emmanuel Macron, dass genau das allerdings nötig sein werde. Es könne kein Rücknahmeabkommen nur mit Frankreich geben, sondern nur mit der EU als Ganzem. Es handle sich um eine Angelegenheit der EU. Macron sagte es auf Englisch, damit es auch auf der anderen Seite des Kanals sofort verstanden wird. Hier soll also wieder einmal die EU ins Spiel gebracht und zum Gegenüber des ausgetretenen Vereinigten Königreichs gemacht werden.

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Sunak wusste von diesem Umstand freilich schon, als er noch im Eurostar saß. Sunak sah, wie sich etwa bei Ursula von der Leyens Besuch in London ein Fenster geöffnet hatte, um die Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU zu stärken. Betätigt sich Sunak hier als Kopf eines Remainer-Komplotts, das von vielen auf der Insel befürchtet wird? Das wird man sehen müssen. Zunächst einmal ging es ihm tatsächlich um greifbare Ergebnisse in der Frage der illegalen Migration, die für Großbritannien und folglich für die Regierungszentrale in London von einer Bedeutung ist, die man sich in Deutschland kaum vorstellen kann. Vor allem, wenn man sieht, dass Deutschland im vergangenen Jahr mehr als vier Mal so viele illegale Migranten aufnahm als das Königreich.
In London wird man um jeden Illegalen weniger froh sein

Doch in England gehört das Thema zu den fünf Prioritäten, die Sunak lösen will. Vielleicht ist es der wichtigste der fünf Punkte, denn gerade im Hinblick auf die kommenden Wahlen, ist es einer der Punkte, in dem sich die Konservativen eindeutig von Labour unterscheiden und zudem von einer noch außerparlamentarischen Rechten, die in Britannien aber medial stark aufgestellt ist, unter Druck gesetzt werden.

Auch Sunak hätte ein bilaterales Rücknahmeabkommen mit Frankreich gewollt, einfach weil es einfach und schnell zu erreichen gewesen wäre, aber vorerst auf Stahl gebissen. Was er aber erreicht hat, sieht auch nicht so uninteressant aus, zumindest wenn man der Abschlusspressekonferenz mit Macron glauben kann. Denn demnach soll die Londoner Regierung in Zukunft – wie schon in den vergangenen Jahren – nicht nur Geld für die französischen Polizeikräfte am Kanal geben. Über die kommenden drei Jahre sollen so nochmals 479 Millionen Pfund (541 Millionen Euro) in ansteigenden Beträgen in die Pariser Staatskasse fließen. Damit werden die britischen Zahlungen an Frankreich sich fast verdreifachen und ein, so Sunak, „ungesehenes Niveau“ erreichen. Also außer Spesen nichts gewesen? Aber in London wird man sich sagen, dass jeder Illegale, der die englische Kanalküste nicht erreicht, ein unschätzbarer Gewinn für das Land ist.

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500 neue Grenzbeamte samt neuem Kommandozentrum sollen von den Zahlungen finanziert werden. Drohnen und anderes Überwachungsgerät kommen dazu. Doch Sunak will zudem auch erstmals ein Gewahrsamslager in Nordfrankreich finanzieren, um Menschen von der Ärmelkanalküste zu „entfernen“. Das alles sind freilich Aufwendungen des britischen Staates, um sich ein Problem vom Hals zu halten, für das er eigentlich gar nicht zuständig ist. Wie schon oft an dieser Stelle gesagt, müssten die EU-Staaten – auch Frankreich – entweder ihre Grenzen besser schützen oder den ankommenden Migranten Asyl gewähren. Sunak beendete seine Ansprache in Paris dennoch mit einem heiteren „Merci, mon ami“, bevor ihm Macron um den Hals fiel.
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Der Gastgeber freute sich über den Besuch des „lieben“ Rishi und die „exzellenten Gespräche“, die beide miteinander geführt hätten. Der Parisien sprach etwas forsch von einer neuen „bromance“ des französischen Präsidenten. Nach dem fünfjährigen Brexit-Krieg erinnerte sich Macron der verbindenden Geschichte der beiden Länder. Natürlich vereint das Thema Russland und Ukraine die beiden jungen Staatenlenker, auch das Bemühen um Energiesicherheit. Dann kam Macron aber sehr schnell auf das Thema illegale Migration, bei dem er mit London zusammen im „Gleichschritt“ marschieren wollte. Das hört sich dann doch etwas einengend an, als ob der kontinentale Partner für jeden Schritt, den er den Briten erlaubt, eine Gegenleistung verlangen will. Die Diskussionen um die Rücknahmen illegaler Migranten durch Frankreich oder die EU dürfte spannend bleiben. Mit dem Gewahrsamslager im Ausland hat die britische Regierung einen ersten Schritt auf die Auslagerung des Problems zu gemacht. Als nächstes muss Innenministerin Suella Braverman die Abschiebungen in Drittstaaten ausbauen.

Man könnte das anglo-französische Abkommen so lesen, dass Sunak ein wenig den Dampf aus diesem Kessel nimmt. Aber die britische Migrationszahlen sind in einem Maße gestiegen, die Diskussion ist auf eine Weise angeheizt, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist. Wenn erst die ersten illegal eingereisten Migranten in einem Flugzeug mit „sicherem Ziel“ sitzen, dürfte die EU-Haltung zur Migration sich noch einmal verändern, vielleicht auf ungeahnte Weise verschärfen oder aber – einknicken. In der italienischen Regierung fanden die Forderungen Londons schon jetzt deutlichen Anklang. Vize-Premierminister und Infrastrukturminister Matteo Salvini nannte den britischen Gesetzesplan „hart aber fair“. Auch der französische Politiker, Ex-Präsidentschaftskandidat und Ex-Journalist Éric Zemmour gratulierte der britischen Regierung zu ihrem Vorhaben, die Boote zu stoppen, und lobte die „klare Botschaft“: „Im Vereinigten Königreich sind illegale Einwanderer nicht willkommen und werden nicht bevorzugt behandelt. Glückwunsch an den britischen Premierminister, der sich im Gegensatz zu Macrons Regierung dafür entscheidet, sein Volk vor der Migrationsflut zu schützen.“

In seinen eigenen Worten sagte Sunak, man habe „zwar die EU verlassen, aber wir haben nicht Europa verlassen“, was schon aus geographischen Gründen kaum möglich sein wird. Man strebe eine „enge, kooperative und kollaborative Beziehung mit unseren europäischen Partnern und Verbündeten“ an. Und das beginne natürlich mit dem engsten Nachbarn, Frankreich. Sunak ist auch angetreten, um die aus dem Brexit resultierenden Probleme zu reparieren. Die Entente cordiale, das herzliche Einvernehmen, das die beiden Länder seit dem Ersten Weltkrieg gepflegt haben, sei damit erneuert worden: „Entente renewed“. Doch auch dieses innige Verständnis zweier Länder wird am Ende auf der Straße – und an den Stränden – gemessen werden, nicht in den blumigen Worten der beiden Politiker.

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