Tichys Einblick
Immigranten-Poker

Spanische Doppelmoral geht weiter

Pedro Sánchez hat in seiner kurzen Amtszeit bereits 17.000 illegale Immigranten wieder zurückschickt, doppelt so viel wie sein Vorgänger Mariano Rajoy 2018.

JORGE GUERRERO/AFP/Getty Images

Der Auftakt von Pedro Sánchez als neuer Premier Spaniens begann im Juni direkt mit einem Paukenschlag: Er nahm in Valencias Hafen das „Flüchtlingsschiff” „Aquarius“ auf. Für das Medienspektakel bekam er wochenlang Schelte von der sich immer mehr auf das Thema Immigration konzentrierenden Rechten. Mit der “guten“ Tat sei ein enormer Sogeffekt entstanden, den er nicht mehr kontrolliere. Für Fernando Cacho, Sicherheitsexperte und Uni-Professor, ist es aber vor allem Marokko, das Spanien nicht mehr kontrollieren kann: „Wir sind hier nichts anderes als ein moralischer Vermittler und lassen uns immer wieder erpressen“. Ein Treffen zwischen dem marokkanischen König und dem Premier wie es in Spanien bei Amtsantritt einer neuer Regierung üblich ist, fand immer noch nicht statt.

Inzwischen gibt es nicht nur den konservativen Partido Popular, sondern auch eine politische Stimme in Spanien rechts davon, die deswegen Druck ausübt auf Sánchez: Vox (Stimme). Die Partei existiert zwar schon seit ein paar Jahren, war aber bisher bedeutunglos. Das könnte sich schnell ändern, denn nach spanischen Zeitungsberichten soll sie von der deutschen AfD finanziert werden. Auch wenn in der spanischen Gesellschaft andere Sorgen den Alltag bestimmen wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit und Korruption, gewinnt Vox mit diesem „Immigranten“-Diskurs Anhänger. Sie verbindet ihn mit der Katalonien-Frage und „verzaubert“ dort die Hardliner gegen die Separatisten mit der Idee eines neuen spanische Reichs, in dem keine autonome Regionen mehr existieren und Gibraltar wieder zu Spanien gehört. Der charismatische Gründer Santiago Abascal verbindet damit das Thema „Flüchtlinge” geschickt mit dem historischen Problem Spaniens, eine nationale Einheit zu garantieren, die nicht nur auf dem Papier existiert.

Sánchez pflegt Doppelmoral wie Rajoy

Sánchez reagiert auf diese gefährlichen Entwicklungen in seinem Land jedoch deutlich schneller als Angela Merkel. Angesichts der 10.000 immigrantes ilegales die nach UN-Angaben alleine im Oktober an Spaniens Küsten ankamen, bleibt ihm auch nichts anderes übrig, als hinter seiner groβen politischen und immer globaler werdenden Bühne aufzuräumen: Der seit Juni 2018 amtierende Premier schickte in den vergangen fünf Monaten fast 17.000 Immigranten, teilweise „kalt“ wieder zurück, also direkt an den Grenzzäunen der spanischen Exklaven in Ceuta und Melilla. Das waren doppelt so viele wie unter seinem Vorgänger Mariano Rajoy in den ersten fünf Monaten 2018. Offiziell hält Sánchez aber weiter an seinem Menschenrechts-Diskurs fest.

Bei Marokko weiß der spanische Premier, dass die Kontrolle dort an der Grenze nur mit Geld funktioniert. Dank seines Einsatzes in Brüssel soll Marokko jetzt von der EU weitere 140 Mio. Euro bekommen, um konsequenter seinen Kontroll-Pflichten nachzukommen. Ein sehr ironisches Spiel, weil in den vergangenen Monaten vor allem Tausende von minderjährigen Marokkanern nach Spanien übersetzten und die Kontrollen scheinbar absichtlich lax waren, um Druck auf die EU auszuüben, glaubt Cacho. Sánchez hat den europäischen Partnern klar machen können, dass egal wie erpresserisch Marokko ist, ohne diese harte Hand in Nordafrika der Zustrom nicht gestoppt werden kann. Geht die Zahl an Immigranten nun tatsächlich zurück, dürfte das aber vor allem an den Wetterbedingungen liegen. Es geht auch in Spaniens Süden auf den Winter zu.

Illegale Immigration als gefährliches Geschäft

Die Menschenrechtsorganisation “La Asociación Pro Derechos Humanos de Andalucía (APDHA)” lamentiert, dass bei diesem Interessenskonflikt zwischen Marokko und Spanien oder anders gesagt zwischen Afrika und Europa in den vergangenen 30 Jahren 8.000 Menschen ihr Leben verloren haben. Allein in diesem Jahr sind es über 500, die bei der Überfahrt über die Enge von Gibraltar umkamen bzw. nicht mehr im Meer aufzuspüren waren. „Dieser Wahnsinn kann nur aufgehalten werden durch eine klare Einwanderungspolitik, die auch von den Unternehmen in den jeweiligen Ländern unterstützt wird“, sagt Cacho.

Sánchez fährt zweigleisig

Bisher orientiert sich Sánchez aber weniger an den Unternehmen als an den europäischen Nachbarstaaten und deren Strategie. Deswegen müssen Palästinenser, die über den Libanon kommen, ab sofort ein Visum für den Transit über Spanien beantragen. Bisher war das nicht nötig. Damit, so glaubt die spanische Hilfsorganisation CEAR, werde eindeutig der Asylantrag in Europa erschwert. Spanien erkenne zwar ihre schwierige Situation an, aber sieht sie nicht mehr als politisch Verfolgte. Hier kommt wieder die Doppelmoral ans Licht: “Auf der einen Seite erkennt Sánchez an, dass sie internationalen Schutz brauchen, aber dann will man ihn diesen nicht gewähren“, heißt es bei Hilfsorganisation.

De facto schützt Sánchez damit aber vor allem Staaten wie Deutschland. Merkel ist ein wichtiger Partner für die neue spanische Regierung. Die meisten Palästinenser nutzen Spanien als Transit-Flughafen, um dann weiter zu ziehen in ein Land, wo kein Visum fällig wird. Im Schengen-Bereich sind es nur Frankreich, die Tschechische Republik und Spanien, die ein Visum von den Palästinensern verlangen. Cear glaubt, dass dieser Weg der Visa für Transitverbindungen nach Spanien falsch ist: “Die Menschen werden im Libanon, wohin die meisten Palästinenser als erstes fliehen, komplett vom Leben ausgeschlossen und werden alles tun, auch mit illegalen Mitteln, um von dort wegzukommen“, warnt Paloma Favieres von Cear.