Tichys Einblick
Digitalisierung

Spaniens schnelle Datennetze zahlen sich jetzt aus

Die Pandemie hat Spanien in vielen Bereichen zurückgeworfen, aber nicht bei der Digitalisierung. Gerade die Gesundheitsverwaltung profitiert jetzt in der Krise davon. Anders als in Deutschland haben Telekomanbieter schon früh auch auf digitale Inhalte gesetzt.

Madrid

Der spanische Telekom-Experte Romà Andreu glaubt, dass Deutschland nicht nur im eigenen Land den Zeitpunkt verpasst hat, rechtzeitig in schnelle Netze zu investieren, sondern derzeit Markt-Chancen in Afrika verpasst: „Das Geschäft teilen sich derzeit französische, chinesische und auch spanische Anbieter“. Er selbst ist in Äquatorial-Guinea für ein katalanisches Unternehmen der Branche tätig: „Die Spanier haben schnell verstanden, dass Glasfasernetze nur das Sprungbrett sind zu einem viel verlockenderen Geschäft. Und das sind jetzt die ganzen digitalen Inhalte“.  Hier ist wegen der niedrigen Endpreise die Masse wichtig und Afrika ist ein interessanter Markt, glaubt Andreu, weil trotz Armut viele schon ein Smartphone besitzen.

Schon Anfang 2000 sagte der damalige Telefónica-Boss César Alierta in einem Interview: „Wir sammeln Kunden, deswegen wachsen wir international so stark und verschulden uns auch. Die brauchen wir, um ihnen später Inhalte zu verkaufen, denn das wird bald das eigentliche Geschäft für uns sein“. Die Deutsche Telekom und Deutschland insgesamt haben diesen Moment verpasst, glaubt Andreu. 

Spanien in der digitalen Spitzengruppe

In dem von der Europäischen Union erstellten Bericht „The Digital Economy and Society Index“ belegt Spanien den 11. Platz von 28 und liegt damit weit über dem Durchschnitt der Europäischen Union – und einen Platz vor Deutschland. Der Einsatz von Glasfasernetzen ist ein zentrales Thema bei der digitalen Entwicklung.  Dessen Einsatz beim Breitband ist nach Daten der OECD in Spanien von 51,8% im Jahr 2018 auf 69,7% im Jahr 2020 gestiegen. Geholfen hat dabei auch die Konsumfreude und Techfreundlichkeit der Spanier, sagt Andreu: „Es gibt weniger Berührungsängste mit dem e-Wallet und Datenschutz bei digitalen Daten als in Deutschland“. So funktioniert bereits seit Monaten eine Pandemie-App für alle, die nach Spanien einreisen, wo sie alle Daten eingeben, einen QR-Code generieren und dann auch ihren PCR-Test vorzeigen müssen.

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Ganz schlecht steht Deutschland im Vergleich da, wo nur knapp 5 Prozent der Breitbandanschlüsse auf Hochgeschwindigkeit laufen und die digitale „Einreiseanmeldung“ in der Pandemie im Vergleich zur spanischen Vorschulniveau hat. Die Konsequenzen bekamen die Deutschen doppelt zu spüren: „Es ist eine Katastrophe, was hier digital abgelaufen ist im vergangenen Jahr“, berichtet der deutsche Musiker Paul Radau. Der kreative Kölner hat drei schulpflichte Kinder, leitet eine Musikschule und musste sich in den vergangenen Monaten nicht nur mit Einnahmeverlusten, sondern auch mit vielen technischen Problemen herumschlagen: „Die Bürokratie in diesem Land macht vieles kaputt“. 
In Spanien funktionieren e-health und e-Bürokratie besser als in Deutschland 

Anders als Deutschland ist Spanien besonders stark bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und der Nutzung von Open Data. Natürlich stören auch hier viele bürokratische Hürden das Wirtschaftsleben, aber 82 Prozent der Spanier nutzen bereits elektronische Verwaltungsdienste und auch das Bezahlen mit dem Handy ist viel weiter verbreitet als in Deutschland. Das könnte langfristig auch dazu beitragen, die überdurchschnittlich hohe Schwarzarbeit zu verringern. Im spanischen Gesundheitssystem gibt es in den meisten autonomen Regionen bereits eine einheitliche digitale Patientenakte, auf die verschiedene Ärzte zurückgreifen können. Das erspart vor allem Kosten: Das spanische Gesundheitssystem gilt als eines der effizientesten der Welt. Auch die Versicherungskarten sind digital. Per App können darüber Arzttermine gemacht werden und Rezepte digital in der Apotheke eingelöst werden. 

Bertelsmann-Stiftung

Das alles hat bei der aktuellen Pandemie nicht viel gebracht, weil es an anderen Dingen fehlt, wie Intensivbetten und Personal, „aber die frühe politische Weichenstellung in allen 17 autonomen Regionen Spaniens, die erlaubte, dass schon Ende der 90er Jahre private Wettbewerber beim Ausbau der Hochgeschwindigkeitsnetze zugelassen wurden, hat uns einen enormen Schub gegeben. Gegen den marktbeherrschenden Riesen Telefónica konnten viele nicht anders agieren als in die Zukunft und damit in Glasfaser zu investieren. Das Problem der teuren letzten Meile zum Privatkunden wurde dann in Kooperation mit den Gemeinderegierungen gelöst“, erklärt Ignacio de Benito, der als Telekom-Berater arbeitetet und lange Zeit Geschäftsführer bei Telefónica tätig war. Telefónica sei am Anfang des Netzausbaus bewusst von der Politik benachteiligt worden, um mehr Markt für regionale Anbieter und auch Nachfrage zu schaffen. „Die Verbreitung von Mobiltelefonie, Smartphones und anderen Geräten in der Gesellschaft funktionierte hier schneller als in Deutschland. Jetzt spielt sich alles nur noch über das Handy ab. Wir schauen dort Filme, laden auf Instagram hoch, bezahlen mit dem Handy, das deswegen immer größer wird“, sagt Andreu. 

Deutsche Telekomanbieter haben den Einstieg in digitale Inhalte verpasst

Auf einmal hat Spanien, das sonst bei allem immer hinterherhinkte, einen Vorteil. Schon vor 20 Jahren begann hier das Buhlen der Verlage und Telefonanbieter um TV-Sender, also um Inhalte. Telefónica ergatterte Canal+, auf dessen Erfahrung und Infrastruktur nun die eigene Plattform Movistar+ basiert, die vor allem bei hispanischen Inhalten mit Netflix konkurriert. Telefónica produziert bereits eigene Serien und Filme, was einige als finanziellen Wahnsinn ansehen angesichts der Konkurrenz. Andere glauben, dass das Risiko sich lohnt. Denn alleine beim Mobilfunk kommen die Spanier auf über 100 Mio. Kunden weltweit, die bereits die eigenen Dienste nutzen und denen Rundumpakete angeboten werden können. „Wir können sehr gut improvisieren und das haben wir im vergangenen Jahr gemacht“, sagt Dozent Ricardo Pérez, der an der IE Business Schule in Madrid lehrt. Er glaubt auch, dass dank dieses Talentes jetzt auch immer mehr Startups in einem Ökosystem rund um digitale Zahlungen, Logistik und e-Gesundheit in Spanien entstehen: „Die groβen spanischen Unternehmen, egal ob Telefónica, Iberdrola oder BBVA, investieren seit Jahren in neue Technologien und haben ihre eigenen Inkubatoren für Startups. Das trägt jetzt Früchte“, glaubt Pérez. 

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Aber auch in Spanien ist nicht alles Gold, was glänzt. „Wir haben zwar eine sehr gute Infrastruktur, aber nicht alle haben Zugang zu ihr. Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist auch hier enorm,“ kritisiert Andreu. Außerdem könnten viele Institutionen wie zum Beispiel einige Schulen nicht damit umgehen: „Es fehlt noch an einem breiten Verständnis, um Lerninhalte adäquat zu vermitteln,“ sagt der Ökonom. Lebrija, ein 30.000 Einwohner-Ort in Andalusien, will jetzt gegensteuern mit einer digitalen Währung, die im Januar eingeführt wurde. Der „Elio“, benannt nach dem Erfinder der spanischen Grammatik, der auch aus dem Ort kommt, ist an den Euro gebunden. „Wir wollen damit digital nicht nur besser die Sozialleistungen steuern, die wie jetzt im Fall der Covid19-Hilfen an die Familien zahlen, weil sie diese mit dem Elio nur bei der Lokalwirtschaft ausgegeben können, die sich an dem Projekt beteiligt hat,  wir wollen unsere Stadt und ihre Einwohner auch fitter machen für das digitale Zeitalter und damit neue Arbeitsperspektiven für unsere sehr vom Tourismus und Landwirtschaft abhängige Region schaffen“, sagt Bürgermeister José Barroso. 
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